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AKZENTE/089: Eine Verbesserung des Menschen? (mundo/Universität Dortmund)


mundo - Das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 4/05

Eine Verbesserung des Menschen?

Von der Science Fiction zur künftigen Wirklichkeit


Ein Interview, geführt von Joachim Hecker

Ein Mini-U-Boot jagt durch menschliche Adern und zerstört Blutgerinnsel-, Menschen bewegen sich mit ihren Gedanken in einem Computerhirn; zäher, grauer Schleim aus Nanorobotern überzieht alles Lebendige. Zukunftsvisionen sind extrem, befremdlich, manchmal erschreckend. In Büchern hat die Zukunft dieses Jahrhunderts längst stattgefunden. Und nicht immer verheißt sie extrem großartiges für uns Menschen. "Science Fiction" ist spätestens seit dem französischen Autor Jules Verne, dessen 100. Todestages dieses Jahr gedacht wird, eine eigene Gattung in der Literatur. Kann man aus ihr lernen, ja sogar konkrete Voraussagen oder Maßnahmen für unsere Zukunft ableiten?

Die Amerikanistin Jeanne Cortiel und der Physiker und Friedensforscher Jürgen Altmann wagen in ihrem interdisziplinären Seminar "Verbesserung des Menschen? Konvergenz der Wissenschaften als neuer Trend in den USA" den Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft. "mundo" fragt die beiden, was wir aus Science Fiction lernen könn(t)en.

Frage: Noch ist vieles Science Fiction, wie in dem Film "Matrix", in dem Menschen verkabelt sind und ihr Leben in Gedanken leben. Wo die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum und Fiktion verwischen. Kann man Science Fiction zu Rate ziehen, um einen Einblick in die Zukunft zu bekommen? Da werden ja alle möglichen und unmöglichen Szenarien bereits durchgespielt.

Cortiel: Science Fiction kann keine Voraussagen für die Zukunft treffen. Science Fiction ist eine Aussage über die Gegenwart, ein Vorspiel zu einer Zukunft. Früher wurden Utopien in andere Länder verlegt, auf irgendwelche Inseln, die noch nicht entdeckt waren. Das sind räumliche Utopien. Jetzt, wo die Erde vollkommen entdeckt ist, werden Utopien in die Zukunft gesetzt.

Es ist immer eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was "jetzt" ist. Und was mich daran interessiert ist nicht, wie wird sich die Welt entwickeln, um irgendwelche Vorhersagen zu treffen, sondern: Wie funktioniert die Kultur jetzt? Nanotechnologie ist da ein ideales Feld, sie klingt wie Science Fiction, weil sie im Prinzip von Science Fiction nicht zu unterscheiden ist. Was mich interessiert ist nicht, Aussagen zu treffen, wie es weitergehen wird, was sollten wir tun, sondern zu zeigen, wie funktioniert die Kultur in diesem Bereich, welche Funktion hat die Technologie, welche Kräfte, welche politische Macht zeigt sich in den Texten.

Altmann: Aber würdest du mir zustimmen, dass Science Fiction mögliche Zukünfte entwirft und damit auch hilft, für die Gestaltung, die heute oder in den nächsten Jahren möglich ist, ethische Fundamente zu legen oder abzutasten, was passieren könnte?

Cortiel: Auf jeden Fall hat es eine Wirkung, wenn es gelesen wird. Aber ich kann mit meinem wissenschaftlichen Instrumentarium jetzt keine Aussagen darüber treffen, diese Wirkung würde es haben oder wir sollten mehr Science Fiction lesen, damit wir bessere Menschen werden.

Frage: Sie, Herr Altmann, trauen der Science Fiction offensichtlich mehr Vorhersagekraft zu?

Altmann: Science Fiction, das literarische Ausmalen von möglichen Zukünften, kann viel plastischer machen, was an Möglichkeiten passieren kann und dient damit+ dem Schärfen von öffentlichem Bewusstsein; einerseits in der allgemeinen Öffentlichkeit, andererseits bei den Leuten, die dann nachher im Bundestag, in Ethikkommissionen usw. entscheiden müssen, was etwa in Sachen Gentechnik erlaubt werden soll.

Aktuell läuft die Entwicklung der "RFID-Technik". Solche drahtlosen "Radiofrequenzidentifikations-Chips" werden etwa in Spanien bei Barcelona schon in Strandbars in Reiskorngröße Gästen unter die Haut gesetzt. Das ist erst einmal etwas Harmloses, ein kleines Spielchen ...

Frage: Das funktioniert dann wie ein elektronischer Skipass - als drahtlose Zugangskontrolle und für die Abrechnung?

Altmann: Genau. Das Bier, das man trinkt, wird gleich vom Konto abgebucht. Die Information dazu ist im Körper drin und kann nicht mehr so leicht entfernt werden. Eine solche Kennzeichnung ist bei Vieh und Haustieren bereits üblich.

Damit könnte vieles beginnen, und später hat man vielleicht alle fünf Meter auf dem Bürgersteig ein Auslesegerät, und irgendeine höhere Instanz kann jederzeit feststellen, wo wer ist.

Das ist ohne Nanotechnik und ohne große Visionen denkbar, aber damit fängt es an, und es wäre interessant eine Science-Fiction- Story zu lesen über eine Zukunft, in der alle Menschen RFID schon als Kleinkind eingesetzt bekommen, damit sie etwa bei Entführungen leichter geortet werden können.

Und was das bedeutet in Richtung auf eine Diktatur. Die Diskussion, sollen wir so etwas erlauben oder sollen wir das verbieten, kann nur leben mit vorgestellten Auswirkungen von neuen Techniken auf die Gesellschaft und/oder die Individuen.

Frage: Der britische Kybernetiker Kevin Warwick von der Universität Reading bei London macht es ganz praktisch. Er hat sich als erster Mensch einen solchen RFID-"Reiskorn-Transponder", wie er bei Tieren zur drahtlosen Identifizierung dient, unter die Nackenhaut setzen lassen. Und jetzt macht er mit Mikroelektroden im Arm als "Cyborg 2.O" von sich reden. Das klingt doch wie Science Fiction?

Altmann: Das ist bisher noch ein Einzeltäter, aber es gibt einen Strang in der Technikdiskussion, der sagt, das ist eine natürliche Fortentwicklung, dass wir Elektroden nicht nur Patienten implantieren, die krank sind, sondern Gehirn-Chips sind das ideale Mittel, um ohne Handy am Ohr zu telefonieren oder Verbindung zum Internet zu bekommen.

Cortiel: Es heißt, der Mensch sei ein "Story telling animal", ein "Geschichten erzählendes Wesen".

Natürlich haben Geschichten viel mehr Macht als irgendeine abstrakte Darstellung der Möglichkeiten. Manche argumentieren, dass nur deshalb so viel Geld für das US-amerikanische Raumfahrtprogramm da war, weil es durch Science Fiction popularisiert wurde. Und ähnliche Prozesse gibt es sicherlich bei der Nanotechologie, wo es sowohl positive als auch negative Visionen gibt. Eine Utopie mit Nanotechnologie, in der alles wunderbar ist, ist etwa "The Diamond Age" von Neal Stephenson.

Altmann: Ein dicker Roman!

Cortiel: Die Hauptfigur darin kommt über ein interaktives, intermediales "Buch" das mit Nanotechnologie funktioniert, dazu, ein umfassend gebildeter Renaissance-Mensch zu werden. Im Prinzip durchläuft dieses Kind, ein Mädchen, seinen ganzen Entwicklungsprozess mit Hilfe dieses Buches, und als sie erwachsen wird, erreicht sie die höchste Stufe - die Beherrschung der Nanotechnologie - und damit die Möglichkeit, alles Wissen in sich zu vereinen.

In diesem Roman ist Nanotechnologie vollkommen umgesetzt, da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder einen "matter compiler" im Wohnzimmer stehen hat, der beliebige Geräte, sogar Essen aus einem Strom von Molekülen und Atomen zusammensetzt.

Frage: Also ein Gerät, das Dinge aus den kleinsten Bestandteilen der Materie komponiert. Statt etwas zu bauen, wird es direkt aus Materie "gegossen"?

Cortiel: Eine Matratze, ein Reisgericht, ein Toupet. Die Materie ist vollkommen programmierbar. Das bedeutet natürlich auch, dass die Grenzen des Körpers nicht mehr gewahrt sind, das finde ich als Kulturwissenschaftlerin interessant, weil Körper und Körperlichkeit - Was ist der Körper? Wo sind seine Grenzen? - eine große Rolle in meiner Arbeit spielen. Wenn die ganze Luft verseucht ist mit kleinen Nanopartikeln, dann hat das eine militärische Komponente. Gruppen, die miteinander kämpfen, haben jeweils kleine Teilchen, die sich gegenseitig bekämpfen und das funktioniert im Prinzip wie ein Immunsystem. Die Abwehr arbeitet nicht mit Raketen, sondern es gibt eine vollständige Analogie, eine Körperlichkeit, die durch diese kleinen Nanoroboter erzeugt wird.

Altmann: Der Kampf findet vielleicht rund um den eigenen Körper statt.

Cortiel: Oder im eigenen Körper, das ist noch radikaler!

Frage: Das ist beinahe unvorstellbar: Die eigenen und die fremden Nanoteilchen kämpfen in mir selbst gegeneinander...

Altmann: Jeder überwacht jeden, die eigenen Nanoroboter passen auf und überwachen jede Pore auf fremde Eindringlinge.

Cortiel: Wenn man anfängt, Materie zu programmieren, dann gibt es eine Analogievorstellung zum Computer. Wenn man sich das Windows- Betriebssystem anschaut, ist es ja vergleichsweise anfällig. Das ist nicht so bedrohlich, da verliert man ein paar Daten. Aber wenn die Materie programmierbar ist, dann kann ja jemand einen Virus schreiben und materiell losschicken, damit er etwa Menschen mit genau einer bestimmten genetischen Zusammensetzung, einer bestimmten Hautfarbe beispielsweise, angreift.

Altmann: Da braucht man gar nicht Nanotechnik. Das könnte in fünf oder zehn Jahren allein schon aufgrund des technischen Fortschritts in der Medizin kommen. Nanotechnik wird aber jede Menge zusätzliche Werkzeuge zur Verfügung stellen, um das geschickter, selektiver zu machen.

Cortiel: Ich stelle mir das ähnlich vor wie beim Computer. Dass man dann ein Betriebssystem für den eigenen Körper braucht, das in der Lage ist, mit diesen künstlichen Viren fertig zu werden. Und das immer wieder upgedatet werden muss.

Frage: Eine zweite Haut oder ein Schild um mich herum, was ich pflegen muss, was ich auf dem neuesten Stand halten muss?!

Cortiel: ... so wie ein Immunsystem. Ein zweites Immunsystem.

Altmann: Oder innen drin, im Blutkreislauf etwa.

Frage: Ich bin dann nicht mehr autonom, weil ich ohne fremde Hilfe von außen nicht mehr überlebensfähig bin.

Altmann: Sie sind auf die Updates angewiesen, sozusagen die Antiviren-Software, sonst sind sie im Nu hinüber. Ich meine, da kann man viel spekulieren.

Cortiel: Da kommt man in den Bereich, wo sich Kulturwissenschaftler damit auseinandersetzen, was "Post Human" oder was der "Post-Mensch" ist.

Altmann: Das "nachmenschliche" Zeitalter.

Cortiel: Es gibt visionäre, die sagen, ja gut, dann ist der Mensch halt obsolet, dann müssen wir damit leben, dass unsere Nachkommen nicht Menschen sind, sondern Computer.

Frage: Der Mensch würde also eines Tages abgelöst durch seine eigene Schöpfung, den Computer. Wie ein weiterer Schritt in der langen Geschichte der Evolution?

Cortiel: Genau. Immer wieder kommt die Evolution. Die Evolution ist die Lieblingsgeschichte dieser Visionäre. Der Mensch ist beschränkt, damit müssen wir uns abfinden. Wir werden abgelöst von irgendwelchen Maschinen und das ist gut so - finden manche. Der Film "Matrix" geht in diese Richtung. Und Science-Fiction- Filme kombinieren die Macht der Geschichten mit der Macht der Bilder. Sie haben eine unheimliche kulturelle Wirkung. Sie haben jetzt schon einen enormen Einfluss darauf, wie das "Menschsein" konzipiert wird.

Frage: Dann müssen wir uns also jetzt schon um Grundwerte für eine drohende Zukunft kümmern. Welche Rolle spielt die Wissenschaft dabei?

Altmann: Die Grundwerte kann man nicht aus der Wissenschaft beziehen. Es ist dem Universum nicht eingeschrieben, dass die Menschheit überleben soll. Die Menschheit kann entweder durch irgendeine fürchterliche Naturkatastrophe zugrunde gehen oder, was viel wahrscheinlicher ist, durch die von ihr in Gang gesetzten Entwicklungen. Von einer naturwissenschaftlichen Warte kann man nicht sagen, man muss sich dafür einsetzen, dass das nicht passiert. Ich kenne kein wissenschaftliches Kriterium, das sagt, warum man verhindern müsste, dass es eine Nachfolgegeneration eine Stufe weiter in der Evolution gibt, die viel mehr kann als unsereins heutzutage.

Andererseits ist man als Mensch Teil dieses Kollektivs und fühlt sich von der Biologie her, aber auch von der Psychologie und wie man dazu geworden ist, dem Wohlergehen dieses Kollektivs verpflichtet. Aber vorausgesetzt, das mit der Nachfolgegeneration klappt nicht, dann könnte man auch fast naturwissenschaftlich sagen: Es gibt bisher keinen Beleg dafür, dass irgendwann das Universum noch einmal etwas so Intelligentes entwickelt hat wie uns. Und das zu retten ist - allein schon aus musealen Gründen - wichtig genug. Von daher kann man doch wieder Verbindungen ziehen von der Naturwissenschaft zu einem gewissen Wertesystem.

Frage: Dann gibt es ja vielleicht doch einen Grund und damit Hoffnung für die Spezies "Homo sapiens". Das war ein schönes Schlusswort. Wir danken ihnen beiden für das Gespräch!


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zur person

Dr. Jürgen Altmann, geboren 1949 in Lübeck, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit naturwissenschaftlicher und interdisziplinärer Forschung zu Abrüstungsfragen. Er möchte in und mit der eigenen Wissenschaft zur Stärkung des Friedens beitragen. Seit einiger Zeit beschäftigt ihn auch die Infragestellung des Menschenbildes bei militärischen Anwendungen der Nanotechnologie/konvergenten Technologien. Jürgen Altmann ist Physiker, hat 1980 im GKSS- Forschungszentrum promoviert und arbeitete danach bis Mitte der Achtziger Jahre in Marburg. Altmann ist Mitbegründer des "Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit" (FONAS), stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises "Physik und Abrüstung" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) sowie Mitherausgeber der Zeitschrift "Science and Global Security".

Dr. Jeanne Cortiel wurde 1966 im österreichischen Salzburg geboren. Ab 1986 studierte sie in Graz, Dresden und am Hendrix College im US-amerikanischen Arkansas Amerikanistik, Anglistik und Germanistik. 1994 schloss sie ihr Studium mit dem M. A. an der TU Dresden ab. Danach wechselte sie an das Institut für Anglistik und Amerikanistik der Fakultät Kulturwissenschaften an der Universität Dortmund, wo sie im Jahr 2000 promovierte. Derzeit arbeitet Jeanne Cortiel am Abschluss ihrer Habilitation zum Spannungsverhältnis zwischen "race" und "ethnicity" in der US- amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts.


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Quelle:
mundo - das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 4/05, Seite 34
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit
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