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AKZENTE/131: Der große Mythos und die kleine Lady - Harriet Beecher Stowe (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011

Der große Mythos und die kleine Lady
Harriet Beecher Stowe

Von Hanjo Kesting


"So this ist the little lady who made this big war", soll der amerikanische Präsident Abraham Lincoln gesagt haben, als er die Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe kennenlernte - "Das also ist die kleine Dame, die diesen Krieg gemacht hat." Gemeint war der Sezessionskrieg zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA, der sich 1861 an der Sklavenfrage entzündet hatte. Harriet Beecher Stowe, vor 200 Jahren am 14. Juni 1811 geboren, hatte ihren Anteil daran: mit ihrem Roman "Onkel Toms Hütte", dem literarischen Pamphlet gegen die in den Südstaaten noch verbreitete Sklaverei.


Uncle Tom's Cabin ist eines der berühmtesten Bücher der amerikanischen Literatur. Es erschien 1851/52 zunächst als Fortsetzungsroman in der weitverbreiteten Zeitschrift National Era, dem Sprachrohr der Gegner der Sklaverei. Bevor sie sich an die Arbeit machte, schrieb die Autorin an den Verleger der Zeitschrift: "Bis zu diesem Jahr habe ich immer kein besonderes Bedürfnis gespürt, mich in dieser Frage einzumischen, und ich fürchtete immer, meine eigene Meinung der ganzen Kraft der herrschenden Mächte auszusetzen. Aber nun fühle ich, daß die Zeit gekommen ist, wo sogar eine Frau oder ein Kind, das ein Wort für Freiheit und Menschlichkeit sprechen kann, sprechen muß. Die Frauen von Karthago haben beim Untergang ihres Staates sich ihre Haare abgeschnitten und zu Bogensehnen gedreht für die Verteidigung ihres Landes; so ein Niedergang und so eine Scham, wie er nun über diesem Staat hängt, ist schlimmer als die Sklaverei Roms, und ich hoffe, daß jede Frau, die schreiben kann, nicht stumm bleibt."


Ein Schrei der Entrüstung

Selten hat ein Buch so weitreichende Wirkungen gehabt. Von der Buchausgabe wurden im ersten Jahr allein in Amerika über dreihunderttausend Exemplare verkauft, und auch in England erschienen noch 1852 zwölf verschiedene Ausgaben. Natürlich war das Buch auch kommerziell erfolgreich, und Harriet Beecher, verheiratete Stowe, die einen angesehenen Professor der Theologie geehelicht hatte, verdiente damit mehr Geld als ihr Mann, der ihren literarischen Ambitionen wohlwollend gegenüberstand. Doch durfte sie die Verlagsverträge nicht selbst unterzeichnen, das ließ die rechtliche Stellung der Frau im Bundesstaat Ohio nicht zu. Ohio ist im übrigen der Nachbarstaat von Kentucky, wo die Geschichte Onkel Toms beginnt, dieser Staat südlich und jener nördlich der Demarkationslinie der Sklaverei, so dass die Beecher Stowes mit der im Buch beschriebenen Wirklichkeit auch selber oft konfrontiert waren. Sie halfen entlaufenen Sklaven und versorgten sie mit dem Nötigsten, bis ein Gesetz im September 1850 festlegte, dass Sklaven auch in den Bundesstaaten des Nordens als solche anzusehen und ihren Besitzern nach Entdeckung wieder auszuliefern seien.

Große Wirkungen haben meist große Ursachen. Onkel Toms Hütte ist der immense Erfolg eher zum Nachteil ausgeschlagen. Nicht weniger als drei Dutzend Anti-Uncle Toms erschienen binnen kurzer Zeit. Vor allem legte man das Buch auf die Goldwaage des literarischen Geschmacks und erklärte es für rührselig und sentimental. Viele schwarzamerikanische Autoren des 20. Jahrhunderts wollten Onkel Toms Hütte auch nicht als soziale Anklageschrift gelten lassen, sie wehrten sich gegen die Haltung einer weißen Autorin, die sie als herablassend empfanden. Die Einwände sind nicht von der Hand zu weisen, und sie werden scheinbar durch die spätere Familienlegende bestätigt, die berichtet, Harriet Beecher Stowe habe Gestalt und Geschichte Onkel Toms wie eine Erleuchtung empfangen: "Sobald sie nach Hause kam", heißt es da, "griff sie zu Feder und Papier und schrieb nieder, was sie in ihrem Innern mit einer Deutlichkeit gesehen hatte, daß sie meinte, es mit Händen greifen zu können. Hierauf versammelte sie die ihrigen und las ihnen die Szene vor. Zwei ihrer Kleinen von zehn und zwölf Jahren fingen bitterlich an zu schluchzen. So entstand ihr Onkel Tom. Seine Gestalt ist im ursprünglichen Sinn nichts anderes als ein Schrei der Entrüstung, als der unmittelbare Ausbruch der tief innerlichen, leidenschaftlichen Emotion einer wahrhaft mitleidenden Mutter."


Rührseligkeit als Waffe

In Wirklichkeit ging die Autorin, die später sagte, Gott selber habe ihr die Feder geführt, mit klarem Verstand und einem sicheren Gespür für Wirkung an ihre Aufgabe heran: "Meine Berufung", schrieb sie, "ist einfach die eines Malers, und mein Thema wird sein, auf möglichst lebendige und anschauliche Weise die Sklaverei darzustellen, ihre Kehrseite, Veränderungen und den Charakter der Schwarzen, den zu studieren ich reichlich Gelegenheit hatte. Es gibt kein Argumentieren über Bilder, von ihnen ist jeder beeindruckt." Harriet Beecher Stowe war auch weit davon entfernt, den Skandal der Sklaverei unter rein moralischen Gesichtspunkten zu betrachten. Die Rührseligkeit, die man ihrem Buch zum Vorwurf machte, war das Instrument, um nicht zu sagen die Waffe, die ihrer wohlkalkulierten Kampfschrift erst zur Wirkung verhalf. Man denke an das Gespräch zwischen Augustin St. Clare und seiner Cousine Ophelia mit seiner durchaus vielschichtigen Analyse des Problems Freiheit und Sklaverei. "Ist das englische Proletariat in den 1830er und 40er Jahren etwa besser daran als die Schwarzen in den Südstaaten?" fragt St. Clare da. Die Autorin erkannte durchaus die soziale Dimension des ethnischen Konflikts. Und während bei den St. Clares, den alteingesessenen Südstaatlern, zwischen den weißen Herrn und der schwarzen Dienerschaft die Eintracht einer großen Familie besteht, sind die Nordstaatler, die wie Miss Ophelia aus Vermont so entschlossen für die Freiheitsrechte der Schwarzen streiten, weit davon entfernt, deren bürgerliche Gleichberechtigung anzuerkennen und sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen.


Ein Werk, das die Welt veränderte

Harriet Beecher Stowe, bis dahin hauptsächlich Verfasserin sentimentaler Erzählungen, wurde mit Onkel Toms Hütte von einem Tag auf den anderen weltberühmt. Tolstoi stellte ihr Buch neben die Romane von Dickens, Heinrich Heine las es mit Bewunderung (ein Reflex der Lektüre war sein Gedicht vom Sklavenschiff), und der Dichter Longfellow schrieb an die Autorin: "Erlauben Sie, daß ich Ihnen zu dem ungeheuren Erfolge und Einfluß, den Onkel Toms Hütte erlangt, meinen herzlichen Glückwunsch sage. Es ist einer der größten Triumphe, den die Geschichte der Literatur zu verzeichnen hat - von dem höheren moralischen Triumph ganz zu schweigen." Man muss diese Urteile nicht nachvollziehen und Harriet Beecher Stowes Roman für eines der großen Bücher der Weltliteratur halten, doch wird es allemal seinen Platz in der Literaturgeschichte behaupten: als Vorläufer der modernen Massenliteratur und als eines der seltenen Werke, die die Welt veränderten. Den amerikanischen Bürgerkrieg hat Harriet Beecher Stowe nicht entzündet, aber ihr Roman war einer der Funken, der die große Explosion herbeiführte.


Hanjo Kesting (*1943) Kulturredakteur dieser Zeitschrift. Zuletzt erschien bei Wallstein: Ein Blatt vom Machandelbaum. Deutsche Schriftsteller vor und nach 1945.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011, S. 68-70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2011