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BUCHBESPRECHUNG/256: Giuliano Turone - Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen (Gerhard Feldbauer)


Den Sumpf offengelegt

Aus dem Geflecht von Faschisten mit Größen der Wirtschaft und Politik, der Mafia und des Vatikans gingen Regierungen unter Berlusconi und heute von Giorgia Meloni hervor

von Gerhard Feldbauer, 19. Juli 2024


In sei­nem 416 Sei­ten um­fas­sen­den Buch "Ge­heim­sa­che Ita­li­en" legt Gi­ulia­no Tu­ro­ne den Sumpf des Ge­flechts von Fa­schis­ten mit Grö­ßen der Wirt­schaft und Po­li­tik, der Mafia und des Va­ti­kans offen, aus dem Re­gie­run­gen unter Sil­vio Ber­lus­co­ni und heute von Gior­gia Me­lo­ni her­vor­gin­gen. In 14 Ka­pi­teln deckt der Autor die Rolle der äu­ßerst rech­ten Putsch­lo­ge Pro­pa­gan­da Due (P2), der Füh­rungs­zen­tra­le des Mor­des an dem christ­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­füh­rer Aldo

Moro, auf; die Ein­be­zie­hung der von Ge­heim­dienst­agen­ten un­ter­wan­der­ten links­ex­tre­men Roten Bri­ga­den in das Mord­kom­plott; die Kom­pli­zen­schaft des mehr­ma­li­gen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Gi­ulio Andreot­ti mit der Mafia und wie das P2-Mit­glied, der "Ban­kier Got­tes" ge­nann­te Chef der Am­bro­sia­no-Bank, Ro­ber­to Calvi, als Fi­nanz­ma­na­ger des Va­ti­kans bei des­sen Zu­sam­men­wir­ken mit der Mafia und Fa­schis­ten die Fäden zog. Tu­ro­ne war in Mai­land als Rich­ter und Mit-

glied der na­tio­na­len An­ti­ma­fia-Kom­mis­si­on des Par­la­ments ma­ß­geb­lich an den Er­mitt­lun­gen zu die­sen Ka­pi­tal­ver­bre­chen be­tei­ligt. An­hand sei­ner Re­cher­chen, dar­un­ter bis­lang un­ver­öf­fent­lich­te oder in Ur­tei­len nicht aus­ge­wer­te­te Do­ku­men­te, legt er ein bis­her nicht vor­han­de­nes, fun­dier­tes Werk vor.

Er deckt auf, dass Mit­glie­der der P2 in den hohen Rän­gen des Mi­li­tärs, der Ge­heim­diens­te, der Pres­se­welt, der Fi­nan­zen, der Po­li­tik, dar­un­ter drei Mi­nis­ter und drei Staats­se­kre­tä­re der Re­gie­rung Andreot­ti, saßen. Ihrem Mit­glied Sil­vio Ber­lus­co­ni fi­nan­zier­te die P2 die Bil­dung sei­ner Rechts­au­ßen-Par­tei Forza Ita­lia (FI) und hiev­te ihn 1994 das erste Mal an die Re­gie­rung. In den mit der Fahn­dung nach den Ent­füh­rern Moros be­faß­ten Stä­ben saßen 57 P2-Mit­glie­der, dar­un­ter fünf di­rekt im Kri­sen­stab von In­nen­mi­nis­ter Cos­siga, die alle Maß­nah­men, wel­che zur Be­frei­ung des DC-Vor­sit­zen­den hät­ten füh­ren kön­nen, ver­hin­der­ten. Ver­tuscht wurde, dass 39 der am Tat­ort ge­fun­de­nen Pa­tro­nen­hül­sen aus Be­stän­den der Spe­zi­al­mu­ni­ti­on für Ein­hei­ten der ge­hei­men CIA-Trup­pe Gla­dio stamm­ten. Der dienst­ha­ben­de Of­fi­zier im Po­li­zei­prä­si­di­um ver­schlepp­te die Aus­lö­sung der Fahn­dung; der Di­rek­tor des rö­mi­schen Fern­sprech­am­tes sorg­te nach dem Über­fall eine Stun­de lang für den Aus­fall der Te­le­fon­ver­bin­dun­gen, was die Ko­or­di­nie­rung der Fahn­dung er­schwer­te; der lei­ten­de Staats­an­walt ließ Fotos von den un­mas­kier­ten At­ten­tä­tern und ihren Fahr­zeu­gen, die der Lei­ter einer Kfz-Werk­statt geis­tes­ge­gen­wär­tig ge­macht hatte, ver­schwin­den. Hin-

wei­sen auf einen BR-Stütz­punkt, die sich spä­ter als rich­tig er­wie­sen, wurde nicht nach­ge­gan­gen. Am Tat­ort be­ob­ach­te­te der Gla­dio-Oberst Ca­mil­lo Gu­gliel­mi den Ab­lauf der Ent­füh­rung Moros. Er war auf dem NATO-Stütz­punkt Capo Mar­r­ar­giu auf Sar­di­ni­en für die Aus­bil­dung von Un­der­co­ver-Agen­ten für Ein­sät­ze in den Bri­ga­te Rosse ver­ant­wort­lich.

Tu­ro­ne legt offen, dass die Schlüs­sel­fi­gur des Mord­kom­plotts gegen Moro der mehr­ma­li­ge Mi­nis­ter­prä­si­dent von der De­mo­cra­zia Cris­tia­na (DC) Gi­ulio Andreot­ti war, der am 27. März 1993 wegen Kom­pli­zen­schaft mit der Mafia an­ge­klagt wurde. In einem zwei­ten Pro­zess in Pe­rugia wegen An­stif­tung zum Mord an dem von Mafia-Kil­lern er­schos­se­nen Her­aus­ge­ber des Os­ser­va­to­re Po­li­ti­co, Mino Peco­rel­li, der an­ge­kün­digt hatte, seine Rolle bei der Er­mor­dung Moros zu ent­hül­len, wurde er 1999 frei­ge­spro­chen. U. a. wurde be­kannt, dass die "Eh­ren­wer­te Ge­sell­schaft" auf Be­trei­ben Andreot­tis der DC in Süd­ita­li­en jahr­zehn­te­lang Wäh­ler­stim­men be­schafft hatte, wofür die­ser an­ge­klag­ten Ma­fio­si Straf­frei­heit ver­schaff­te. In zwei­ter In­stanz wurde Andreot­ti 2002 zu 24 Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Der Ein­spruch der Staats­an­walt­schaft gegen die­ses Ur­teil wurde letzt­in­stanz­lich 2003 vom Obers­ten Kas­sa­ti­ons­ge­richt zu­rück­ge­wie­sen; es war man­gels an Be­wei­sen ein Frei­spruch "zwei­ter Klas­se".

Zur Spra­che kom­men in Tu­ro­nes Werk die Ver­wick­lun­gen des Va­ti­kans in un­ge­heu­re Be­trugs­af­fä­ren, so

die du­bio­sen Ge­schäf­te des Prä­si­den­ten der Va­tikan­bank, Erz­bi­schof Mar­cin­kus, mit Fi­nanz­hai­en wie dem Mafia-Ver­trau­ten Mi­che­le Sin­dona und dem P2-Ban­kier Ro­ber­to Calvi.

Opfer des Ter­rors von Mafia und Fa­schis­ten wurde auch Pier­san­ti Mat­ta­rel­la, Bru­der des heu­ti­gen Staats­prä­si­den­ten Ser­gio Mat­ta­rel­la. Nach­dem er auf Si­zi­li­en nach dem Bei­spiel Moros eine Re­gio­nal­re­gie-

rung mit den Kom­mu­nis­ten an­ge­kün­digt hatte, wurde er am 6. Ja­nu­ar 1980 er­mor­det.

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Giuliano Turone:
Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen
Marixverlag, Wiesbaden 2023. ISBN 9783737412056
Gebunden, 416 Seiten, 29,90 EUR

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Quelle:
© 2024 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 23. Juli 2024

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