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ITALIEN/015: Wer ist dieser Berlusconi (Gerhard Feldbauer)


Wer ist dieser Berlusconi

Zweite Gefängnisstrafe innerhalb sechs Wochen für den dreimaligen Premier

von Gerhard Feldbauer, 4. Juli 2013



Mit ihm haben die italienischen Sozialdemokraten sich mit einem "Duce" der Neuzeit eingelassen. Im Mai hat die Demokratische Partei (PD) mit der faschistoiden Partei Volk der Freiheit (PdL) des 2011 gestürzten Premiers, Silvio Berlusconi, eine Regierungskoalition gebildet. Berlusconi soll dabei die Einstellung der gegen ihn laufenden Strafverfahren zugesichert worden sein. Als Regierungschef und gleichzeitig Besitzer des Firmenimperiums Fininvest von rund 300 Unternehmen hatte er sich Urteilen bisher durch immer neue gesetzliche Tricks bis hin zu einem Regierungsdekret, die so genannte Lex Berlusconi, die ihm Immunität gegen Strafverfolgungen sicherte, entzogen. Jetzt setzten die Mailänder Richter dem ein Ende. Als Erstes bestätigen sie im Mai in zweiter Instanz ein 2012 wegen Steuerbetrugs gefälltes Urteil zu vier Jahren Gefängnis sowie zur Zahlung von zehn Mio. Euro an die Staatskasse. Über 20 Jahre habe Berlusconi mit "beachtlicher krimineller Energie" auf schwarze Konten von über 60 im Ausland illegal gegründeten Gesellschaften Millionen Euro transferiert und den Staat betrogen. Schon die Bestätigung dieses Urteils in (von der Staatsanwaltschaft angekündigter) dritter Instanz würde das politische "Aus" für den Ex-Premier bedeuten. Den zweiten Hieb hat das Mailänder Gericht am 24. Juni ausgeteilt und gegen ihn im sogenannten Ruby-Prozess in Erster Instanz wegen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch weitere sieben Jahre Gefängnis verhängt. Außerdem wird ihm die Ausübung öffentlicher Ämter auf Lebenszeit untersagt, was bei Inkrafttreten auch den Ausschluss aus dem Parlament bedeutet ("Für Berlusconi wird es eng", jW 26. Juni). In Neapel steht als nächstes eine Anklage wegen Bestechung eines Senators der Partei der Werte Italiens (IdV) an, dem der Mediendiktator für einen Wechsel zu seiner PdL drei Millionen Euro gezahlt haben soll. Das ermöglichte es 2008 die Mitte Links-Regierung Romano Prodis zu stürzen.

Den Fängen der Justiz will Berlusconi jetzt auf ähnliche Weise wie 1993/94 entgehen, als er in die Politik einstieg, um als Premier seine durch eine Mitte Links-Regierung vom Bankrott bedrohte Fininvest zu retten. Er befürchtete damals, die 1991 aus der IKP hervorgegangene Linkspartei PDS könnte an die Regierung kommen und sein Fernsehmonopol beschneiden. Wie "La Repubblica" enthüllte, plane er jetzt, über den Sturz der von seiner PdL abhängigen Regierung Neuwahlen zu erzwingen, um ein weiteres Mal als Spitzenkandidat anzutreten, während der Wahlkampagne die Aussetzung seiner Strafverfahren und in Folge deren Verjährung zu erreichen. Für das im Mai ergangene Urteil würde das bereits im Juli 2014 eintreten. Dazu will der Mediendiktator, wie die "Unita" schrieb, seine jetzige PdL wieder nach dem Gründungsnamen Forza Italia nennen, mit der er 1994 die Parlamentswahlen gewann.


Der Mann der P2

Berlusconis wirtschaftliche und politische Karriere managte die von dem Altfaschisten Licio Gelli Anfang der 1970er Jahre mit Hilfe der CIA gebildete Putschloge P2, derem Dreierdirektorium er angehörte. Die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino haben in "Berlusconi. Showmaster der Macht" (Berlin 1994) nachgewiesen, dass er "fest in das korrupte Netz der P2 verwoben war, sogar zu denen gehörte, die es knüpften", und die Bankiers der Loge ihm Finanzierungshilfen "weit über jede Kreditwürdigkeit" hinaus verschafften. Die P2 dirigierte Berlusconi in den Bereich der Massenmedien, in deren Händen sie "die wahre Macht" sah. Mit ihren Geldern machte Berlusconi aus dem kleinen "Telemilano" das landesweite TV-Netz "Canale 5", kaufte danach "Rete 4" und "Italia 1" auf und besaß damit das private Fernsehmonopol. Zu seinem Medienimperium kamen noch zirka 40 Prozent aller italienischen Presseerzeugnisse hinzu, was ihm einen ungeheuren Masseneinfluss sicherte. 1994 bestritt Berlusconis Fernsehmonopol den Großteil der täglich 700 Werbeminuten, was noch vor den USA (540) Weltrekord war. Für das derartig seinem Masseneinfluss dienende Imperium wurde der Begriff Telekratie oder Mediendiktatur geprägt.

1992 brach das System der Regierungsparteien mit den Christdemokraten und Sozialisten an der Spitze in einem kaum vorstellbaren Korruptionssumpf zusammen. Die Ermittlungen der Untersuchungsrichter der Mailänder Staatsanwaltschaft im Rahmen der "Mani pulite" (Saubere Hände) erfassten etwa 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, Minister, Stadt- und Provinzräte. 1993 saßen 1.350 Staatsfunktionäre und Wirtschaftsmanager in Haft. Für die Vergabe von Aufträgen, an Verkehrsbetriebe, Kliniken oder Bauunternehmen hatten sie laut Turiner Einaudi-Institut jährlich zehn Mrd. Dollar Bestechungsgelder kassiert. Der Sozialistenführer Craxi, der u. a. 200 Mio. kassierte, wurde zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt und floh nach Tunesien ("Korrupter Verschwörer", jW, 9./10. Februar 2013).


Im Korruptionssumpf geboren

Berlusconi war mit seiner Fininvest bei einem Betriebswert von 30 Mrd. Euro der reichste Kapitalist des Landes und stand mit rund 13 Mrd. Euro persönlichem Vermögen an 14. Stelle der Weltrangliste der Reichen. Obwohl er als "Saubermann" demagogisch gegen die Bestechungspraxis auftrat, war er bereits 1990 wegen Meineid (Leugnung seiner P2-Mitlgliedschaft) rechtskräftig verurteilt worden. Später folgten in insgesamt 13 Verfahren Urteile wegen Geldwäsche, Waffenhandel, Führung von Tarnfirmen, Bestechung, illegalen Kapitaltransfers Urteile zu über zehn Jahren Freiheitsstrafe und zehn Mio. DM Geldstrafe, deren Aufhebung seine Anwälte vor seiner erneuten Berufung zum Premier 2001 teilweise durchgesetzt hatten. Berlusconi griff nach der politischen Macht, um seine Fininvest vor dem Bankrott zu retten. Laut "Repùbblica" vom 15. Oktober 1993 war er mit sieben Mrd. DM verschuldet. Eine PDS-Regierung hätte seinen Ruin bedeuten können. Unter ihr wäre er, wie der Publizist und Mafia-Experte Rolf Uessler gegenüber "Neues Deutschland" am 3. Dezember 2009 einschätzte, "durch die Korruptionsuntersuchungen 'Saubere Hände' weggefegt worden".

Um einen Sieg der PDS im März 1994 zu verhindern und Strafermittlungen gegen sich zu entkommen, trat der Mediendiktator als Spitzenkandidat für das Amt des Premiers an. Im November 1993 gründete er eine Partei, bei deren Aufbau er sich, wie die deutsche Parteienforscherin Elisabeth Fix in "Italiens Parteiensystem im Wandel" (Frankfurt/Main 1999) schrieb, an der 1945 von Mussolinifaschisten geschaffenen Uòmo Qualunque (Jedermann), Vorläufer der 1946 als Movimento Sociale Italiano (MSI) wiedergegründeten Partei des "Duce" orientierte. Als Namen wählte Berlusconi den Schlachtruf seines Fußballclubs AC Milan, der aber das Kampfgeschrei aller italienischen Fußballfans bei internationalen Spielen ist: Forza Italia. Das löste bei den Millionen zählenden Anhängern des Berlusconi-eigenen Clubs, aber nicht nur bei diesen, wahre Begeisterungsstürme aus.

Nach Meinung von Ruggeri und Guarino als auch weiterer Kenner der Lage hatte die P2 auch die Forza Italia (FI) programmiert. Als Führungsstruktur setzte Berlusconi Manager seiner Fininvest ein, als Sekretariat fungierte sein Meinungsforschungsinstitut Diakron Spa, das die in Parteifunktionäre verwandelten Manager auch bezahlte. In Form von Clubs, deren Präsidenten er selbst ernannte, bildete Berlusconi eine "Parteibasis". Die Klubstruktur, schrieben Ruggeri und Guarino, war ebenfalls direkt den Plänen der P2 entnommen, die an den faschistischen Theorien von Herrenmenschen und Auserwählten anknüpften. In den Klubs sollten nur "Wirtschaftsunternehmer, Freiberufler und Verwaltungsbeamte" und nur "einige ausgewählte" Berufspolitiker vertreten sein. Im "Europeo" vom 22. Dezember 1993 brüstete sich Berlusconi, die FI sei "ein unternehmerisches Projekt", das "bis zum geringsten Detail" von ihm entworfen worden sei. 1996 wurde er wegen illegaler Parteifinanzierung verurteilt, der Richterspruch später aufgehoben. Konsequenter war die Internationale Vereinigung Demoskopischer Institute ESOMAR, die Diakron bereits im Oktober 1994 wegen parteipolitisch gebundener Tätigkeit ausschloss.


Ein neuer "Duce"

Der angesehene liberale Philosoph Norberto Bobbio schrieb in "La Stampa" vom 22. Dezember 1994, dass der FI jegliche "demokratische Merkmale" und eine "Transparenz der Macht" fehlten. Ihre Klubs seien ein "Netzwerk halbklandestiner Gruppen". Der Mailänder Rechtswissenschaftler Mario Losano enthüllte in "Sonne in der Tasche" (München 1995) die Mediendiktatur Berlusconis als eine "Medien-Agora" und "Erbin der 'ozeanischen Versammlungen' der Mussolinizeit", mit welcher der "Duce" in der Massenbeeinflussung noch übertroffen werde.

In seiner im Stile eines Goebbels geführten Wahlkampagne malte Berlusconi das alte Gespenst der "kommunistischen Gefahr" an die Wand, vor der er das Land retten müsse. Dabei hatte sich die 1991 mehrheitlich als Sozialdemokratie konstituierte IKP zur kapitalistischen Ordnung bekannt. Die neu gegründete KP Rifondazione Comunista (PRC) hatte 1992 gerade einmal 5,6 Prozent erreicht. Zu den Auswüchsen der Hetztiraden gehörte, die Chinesen hätten unter Maozedong kleine Kinder gekocht, um die Felder damit zu düngen. Der konservative Starjournalist Indro Montanelli ordnete im "Espresso" vom 21. Januar 1994 Berlusconi, der Hitlers "heldenhaften Versuch, Europa vor dem sowjetischen Imperialismus zu retten" bewunderte, in einen Faschisierungsrahmen ein und schrieb, er könnte als "nationalistischer Einpeitscher" und eine Art "lächelnder Diktator" der "neue Mussolini" sein.

Die Parlamentswahlen 1994 gewann Berlusconi im Bündnis mit der MSI, die sich dazu in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, und der rassistischen Lega Nord. Dazu hatte er ferner mit seinem Medieneinfluss in einem Referendum das nach dem Ersten Weltkrieg aufgehobene reaktionäre Mehrheitswahlrecht zu 75 Prozent durchgesetzt. 100 Prozent scheiterten am Widerstand der Linken. Erstmals wurde eine Vier-Prozent-Sperrklausel festgelegt. Ziel der Direktwahl war, die Kommunisten aus dem Parlament auszuschließen. Dem schlossen sich später die Linksdemokraten an, die sich 2007 mehrheitlich mit dem katholischen Zentrum zur heutigen PD vereinigten. Bei den Wahlen 2008 und nochmals 2013 wurde es dann erreicht. Die Mehrheitswahl verfälschte in grober Weise die Wahlergebnisse. So kam 1994 die Lega Nord mit 8,4 Prozent auf 118 Parlamentssitze, die PDS mit 20,3 nur auf 115, die Kommunisten mit sechs nur auf 40, die AN mit 13,5 Prozent auf 105.

In der ersten Regierung Berlusconi gehörten drei Minister der P2 an. Berlusconi nahm - erstmals in der Nachkriegsgeschichte - die Faschisten der in AN umgetauften MSI in die Regierung auf. Deren Führer, Gianfranco Fini, erklärte Mussolini "zum größten Staatsmann des Jahrhunderts" und forderte, das in der Verfassung verankerte Verbot der Partei Mussolinis aufzuheben ("Das Chamäleon", jW, 17. Dezember 2012). Das linke "Manifesto" charakterisierte das Kabinett am 15. Mai 1994 als "Governo néro": "Faschisten und Monarchisten, Lega-Leute und christdemokratischer Schrott, Anwälte und Manager der Fininvest sind die Minister der Berlusconi-Regierung." In den Fernsehsendern Berlusconis angekündigte "Säuberungen in den öffentlichen Einrichtungen" erinnerten an die Putschpläne der P2. In der staatlichen RAI wurde u. a. die kritische Sendereihe Milano-Italia eingestellt. Als es zu Unruhen und Warnungen vor einem "faschistischen Regime" kam, wurde das Vorgehen vorerst gestoppt, die Maßnahmen dann nach und nach durchgesetzt. Dem Konzept der P2 entsprachen auch die Pläne zur Errichtung eines Präsidialregimes, die u. a. vorsahen, den Staatspräsidenten und Premier direkt zu wählen und ihnen größere Kompetenzen und Unabhängigkeit von der Legislative zu übertragen.

In typisch faschistischer Weise unterdrückte Berlusconi rigoros den Arbeiterwiderstand gegen seinen bis dahin beispiellosen Sozialabbau. Er hebelte den Kündigungsschutz aus, griff in die Tarifpolitik ein, setzte sogenannte Collegato Lavoro (Schiedsrichter) ein, die Klagen der Beschäftigten vor Arbeitsgerichten verhinderten. Vor seinem Sturz 2011 setzte er ein Sparpaket von über 100 Mrd. Euro durch.


Von Kohl befördert

Gegen Berlusconis Regierung protestierten Francois Mitterand und Andreas Papandreu, Minister und EU-Abgeordnete, Opfer faschistischer Verfolgung, Jüdische Organisationen. In der Bundesrepublik dagegen frohlockte die FAZ am 23. April, in Italien sei ein "Tabu des Vergangenheitserbes gebrochen", das "habe Auswirkungen im ganzen 'westlichen Europa'", womit das Blatt Recht behalten sollte. Bundeskanzler Helmut Kohl, der Berlusconi zu dessen ersten Staatsbesuch empfing, nannte die rechtsextreme Wende in Italien einen "historischen Augenblick" und schwadronierte vom "gemeinsamen Aufbau der Demokratie in beiden Ländern".

Um sich aus der Schusslinie zu bringen, würgte Berlusconi die Ermittlungen der Mailänder Staatsanwälte ab und ordnete an, rund 5.000 Strafverfahren einzustellen, darunter Hunderte Fälle von Mafiaverbrechen, illegalem Waffenhandel, Drogengeschäften und Bandenkriminalität. Nach seinem Amtsantritt 2001 erließ er Regierungsdekrete, nach denen fünf gegen ihn noch laufende Strafverfahren bzw. Urteile der ersten Instanz eingestellt oder kassiert wurden. Bilanzfälschungen, deren er in großem Stil angeklagt war, wurden nicht mehr strafrechtlich verfolgt oder fielen unter Verjährung.

Im hemmungslos antikommunistischen Stil ging es nicht nur bei Wahlkampagnen, sondern durchgehend weiter. Kernelemente bildeten Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie und die Untergrabung der antifaschistischen Grundlagen der Verfassung. Berlusconi verkündete, "ich bekämpfe den Kommunismus, wie Churchill den Nazismus bekämpft hat". Seine Anhänger skandierten "Silvio, erlöse uns von den Kommunisten". Den Linksdemokraten Walter Veltroni, später Führer der heutigen PD, nannte Berlusconi "einen alten Bolschewisten", einen "Erzlügner" und "recycelten Stalinisten, der in seinem ganzen Leben noch keinen Tag gearbeitet" habe. Er geiferte, "jeden nur denkbaren Gegner in der Luft zu zerreißen". Gegen ihn ermittelnde Juristen attackierte er als "rote Richter", welche die Regierung stürzen wollten, beschimpfte sie als "Taliban", "Schwerverbrecher", "Eiterbeulen der Gesellschaft". Das flankierten Äußerungen, die von ausgesprochenem Größenwahn zeugten: "Es gibt niemanden auf der Welt, der sich mit mir messen kann (...). Mein Können steht außer Frage, meine menschliche Substanz, meine Geschichte"; oder: "Ich stehe ethisch höher als die anderen Protagonisten der europäischen Politik".


Berlusconis chilenische Nacht

Auf dem G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua kam es gegen Proteste zu blutigen faschistischen Ausschreitungen, die Augenzeugen als eine "chilenische Nacht" schilderten. Über 600 Personen wurden festgenommen und Gefangenensammelstellen" (so die offizielle Bezeichnung) zugeführt. Über 300 Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt, der Student Carlo Giuliano aus einem Polizeijeep heraus gezielt mit einem Schuss getötet. Festgenommene, darunter Verletzte, wurden unter Hitler und Mussolini-Bildern gefoltert und mussten "Viva il Duce" rufen. Professor Bodo Zeuner von der FU Berlin warnte, "wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt." Nach Protesten erklärte Innenminister Claudio Scajola, die Polizei habe "ihre Aufgabe würdevoll erfüllt", Vizepremier Fini: die Demonstranten "hätten bekommen, was sie verdienten". Kommunikationsminister Maurizio Gasparri verbot der RAI, Sendungen über die blutigen Ausschreitungen auszustrahlen.

Berlusconi versuchte, die in den 1970/1980er Jahren von der CIA mit Hilfe der Faschisten inszenierte Spannungsstrategie wieder zu beleben und für Terroranschläge Täter im linken Spektrum zu suchen. Die Gewerkschaften bezichtigte er, als Organisatoren von Generalstreiks Mittäter von "Terroristen" zu sein.


Erbe des "übelsten Faschismus"

Namhafte Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler sprachen von der Etablierung eines faschistischen Regimes unter Berlusconi. Nobelpreisträger Dario Fo warnte vor dem Zusammenbruch der Demokratie". Für Umberto Eco verkörperte Berlusconi ein Erbe des "übelsten Faschismus". Er habe zwar äußerlich nichts mit dem aus der Vergangenheit zu tun, aber der Geist der dahinter stecke, die totale Kontrolle und Ausbeutung, die Zensur, die Gleichschaltung der Medien, die Lügen, der selbstgemachte Terror, der Sicherheitswahn, die Unterdrückung von Andersdenkenden, die Militarisierung der Gesellschaft und die Angriffskriege seien dieselben Resultate. Antonio Tabucchi nannte seine Erzählung "Im Reich des Heliogabal" einen "Aufruf gegen die Diktatur des Wortes", verglich Berlusconi mit eben jenem grausamen Soldatenkaiser und nannte seine Mediendiktatur "eine orientalische Form der Despotie". Nanni Morettis Film "Der Kaiman" entlarvte die übelsten Charakterzüge Berlusconis. Wenn am Ende Anhänger des Despoten nach dessen Verurteilung den Justizpalast in Brand steckten, erinnerte auch das daran, dass über den Amtszeiten Berlusconis immer der Schatten der P2 hing und die Drohung, mit den aus den 1960/70er Jahren bekannten Putschversuchen die Macht zu behaupten.

Historiker, Wissenschaftler, Politologen, auch außerhalb Italiens, enthüllten die von Berlusconi verkörperte faschistische Gefahr. Neben den schon zitierten Publizisten Ruggeri und Guarini sowie Losano gehörten dazu Piero Ignazi (Potfaschisti), Giovannini Fabio (Nel Paese di Berlusconia), Aram Mattioli ("Viva Mussolini!"), Valeska Roque (Die Stunde der Leoparden) und Stefan Walisch (Aufstieg und Fall der Telekratie).


Verfassungswidriges Machtstreben

Dass Berlusconi von einer Bevölkerungsmehrheit Konsens erhielt, bezeichnete der Professor für Allgemeine Rechtstheorie an der Universität von Rom-3, Professor Luigi Ferrajoli, als besonders besorgniserregend. Man sollte "nicht vergessen, dass der Faschismus ebenfalls lange Zeit die Zustimmung der Mehrheit der Italiener besaß". Die "Idee der Allmacht des Ministerpräsidenten ist verfassungswidrig, weil sie das System der Bedingungen und Beschränkungen entwertet, welche die Verfassung den Machtbefugnissen der Mehrheit auferlegt." Auch der faschistischen Demagogie habe "die Idee der Regierung von Personen oder, schlimmer, eines Mannes statt einer Regierung der Gesetze" zugrunde gelegen. Derartiges "Allmachtstreben sei "tödlich für die Demokratie".

Bleiben am Ende zwei Schlüsse: Dass erstens Italiens neue Sozialdemokraten (PD) sich mit diesem hochgradig kriminellen faschistoiden Mediendiktatur auf eine Regierungskoalition eingelassen haben, die der Staatschef absegnete. Zweitens, trotz der wachsenden öffentlichen Unterstützung für die Mailänder Richter, der Ausgang ihrer Auseinandersetzung mit Berlusconi noch nicht entschieden ist.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2013