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ITALIEN/065: Stehen Italiens Sozialdemokraten vor der Spaltung? (Gerhard Feldbauer)


Stehen Italiens Sozialdemokraten vor der Spaltung?

Linke PD-Parlamentarier stimmten gegen Renzis Jobs act und konstituierten sich zur "Fraktion der Dissidenten"

von Gerhard Feldbauer, 28. November 2014



Die linke Minderheit der Sozialdemokraten (Demokratische Partei - PD) hat ihre Drohung, die Partei zu verlassen, zur Hälfte wahr gemacht. Bei der Abstimmung über den Jobs act (die so genannt Arbeitsmarktreform mit der Aufhebung des Kündigungsschutzartkiels 18 des Arbeitsgesetzes) haben am vergangenen Dienstag 29 Abgeordnete vorher den Saal des Montecitorio (Sitz des Parlaments) verlassen. Zwei PD-Linke stimmten dagegen. An der Abstimmung nahmen auch die Vertreter der Linkspartei SEL, der Protestbewegung M5S sowie die Mehrheit der rechtsextremen Forza Italia Berlusconis, der Fratelli Italiens (ein Nachfolger der früheren AN-Faschisten) und der Lega Nord nicht teil. Die Absicht der PD-Dissidenten, durch eine fehlende Mehrheit die Verabschiedung der Dekrete zu verhindern, scheiterte. Da eine Anzahl FI-Parlamentarier aber auch der frühere PD-Sekretär Luigi Bersani zustimmten, reichten die 307 PD-Stimmen für eine einfache Mehrheit aus.


Vorwurf: "Verstoß gegen das Parteistatut der PD"

Die PD-Dissidenten, die in der Vergangenheit mehrfach angekündigt hatten, die Partei aus Protest gegen den Kurs Renzis, des Zusammengehens mit dem Industriellenverband Confindustria, zu verlassen, beschränkten sich darauf, unmittelbar nach der Annahme des Dekrets über den Jobs act ihre Konstituierung als "Fraktion der Dissidenten" in der PD zu erklären. Nach der in Italien üblichen Gruppierung in Corrente (Strömung, Fraktion) spielen diese fast die Rolle einer Partei, so mit Vorständen, finanziellen Ansprüchen und Quoten bei Parteitagen. Die Spitzenleute der neuen Strömung Gianni Cuperlo, Stefano Fassina und Pippo Civati verurteilten auf einer Presse-Konferenz das Vorgehen des PD- und Regierungschefs als "Verstoß gegen das Parteistatut" und unvereinbar mit der Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern und Wählern. Sie verwiesen auf die Ergebnisse der Regionalwahlen in der Emilia Romagna und Calabria, wo 60 Prozent der Wähler - unter ihnen laut Wahlanalysen mehrheitlich frühere PD-Wähler - aus Enttäuschung über den gewerkschaftsfeindlichen Kurs nicht an die Urnen gegangen waren. Fassina wandte sich scharf gegen die neuerliche Zusicherung Renzis an die Confindustria, "der Artikel 18 werde verschwinden" und beschuldigte ihn, den "sozialen Frieden zu stören" und "aufrührerische Spannungen" zu nähren. Fassina, Jahrgang 1966, langjähriger Vorsitzender der Studentenvereinigung im Linken Jugendverband, Berater Romano Prodis, des mehrfachen Chef von Mitte Links-Regierungen mit Beteiligung der Kommunisten und früherer Vizeminister für Wirtschaft und Finanzen, gilt als einer der entschiedensten Befürworter des Austritts der linken Minderheit aus der PD. Wenn es dazu käme bleibt offen, ob sie sich mit der Linkspartei (SEL) des Ex-Kommunisten Nicchi Vendola zusammenschließen oder mit einer zweiten Linkspartei die Spaltung vertiefen. An der Basis sind viele für einen Bruch mit dem früheren rechten Christdemokraten Renzi, unter dem die PD aus einem Rest von Sozialdemokratie in eine reine bürgerliche Partei der Mitte mit einem starken Rechtsdrall verwandelt werde. Seine demagogischen Beteuerungen, die "Repubblica" am Wochenende veröffentlicht hatte, er sei "ein Linker und stehe zu deren Traditionen" und wolle für "alle das Beste", ziehen nicht mehr. Enttäuschung herrscht nicht nur darüber, dass Luigi Bersani für den Jobs act stimmte, sondern sich auch gegen die Gründung der "Fraktion der Dissidenten" wandte. "Unsere Leute wollen keine Spaltung", zitierte ihn "La Repubblica" am Donnerstag, wenngleich er Renzi kritisierte, "nichts dagegen zu unternehmen".


CGIL will vor europäischem Gerichtshof klagen

CGIl-Generalsekretärin Susanna Camusso bekräftigte das Festhalten am Generalstreik am 12. Dezember. Gleichzeitig kündigte sie an, beim europäischen Gerichtshof Klage gegen Renzi einzureichen, weil sein Vorgehen gegen Artikel 30/31 der Carta von Nizza ("Gesamtheit der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger") verstoße. Renzi entgegnete gegenüber Televisa Matrix, zu streiken sei "das heilige Recht der Gewerkschaften" das er "respektiere", was aber nichts ändern werde. Dass er für den 12. Dezember "herzlich eine schöne Manifestation wünschte", wurde von Gewerkschaftern als Verhöhnung gewertet.

Staatspräsident Giorgio Napolitano hat am Mittwoch Renzi zum Rapport empfangen und ihm wieder einmal Rückendeckung versichert. Allerdings hat er "empfohlen", die Abstimmung über das "Stabilitätspaket" sowie die Auflösung des Senats als zweiter Kammer und das neue Wahlgesetz nicht, wie Renzi wollte, im Dezember anzuberaumen, sondern auf Ende Januar zu verschieben.


Spekulationen über Napolitanos Rücktrittsprozedur

Bis dahin solle er sich, um einen "breiten verfassungskonformen Rahmen" bemühen, berichtete die Nachrichtenagentur ANSA. Das dürfte sich sowohl darauf beziehen, die linke Minderheit zu besänftigen, aber auch für eine ausreichende Mehrheit durch Gewinnung von M5S zu sorgen oder den Pakt mit Ex-Premier Berlusconis FI beizubehalten. Mit der Terminverschiebung auf Ende Januar erhalten die Spekulationen, ob Napolitano, wie angekündigt, Ende des Jahres zurücktreten wird, oder er dem offen geäußerten Wunsch Renzis entspricht und das bis Mai aufschiebt, neue Nahrung. "La Repubblica" begnügte sich zunächst damit, festzuhalten: "Renzi hat zwar gewonnen, aber wie es weiter geht, bleibt offen". Nun schiebt das regierungsnahe Blatt am Freitag nach und schreibt von "unbekannten Prozeduren von Rücktritten", die die Verfassung ermöglichen könnte.

Das gibt der in Rom bereits diskutierten Frage, ob der Staatschef von seinem für den 31. Dezember angekündigten Rücktritt zurücktreten könnte, Auftrieb. Ein solches Manöver könnte einsetzen, wenn Berlusconi der Auflösung des Senats nicht zustimmt. Dann müsste Napolitano allerdings die Kammern auflösen und Neuwahlen ausschreiben, für die nach den Erfolgen in der Emila und Calabria die Chancen für die PD günstig stünden. Es ist ein Manöver so recht nach dem Geschmack der die Politik verfolgenden Italiener.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2014


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