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ITALIEN/089: Premier Renzi peitschte reaktionäres Wahlgesetz durch (Gerhard Feldbauer)


Es bleibt eine "Schweinerei"
Premier Renzi peitschte reaktionäres Wahlgesetzt durch

Demokratische Partei vor Zerreißprobe

Von Gerhard Feldbauer, 8. Mai 2015


Nach monatelangen Auseinandersetzungen und starkem Widerstand in seiner Demokratischen Partei (PD) hat Partei- und Regierungschef Matteo Renzi am Wochenanfang das umstrittene Wahlgesetz nach der Abstimmung im Senat auch in der Abgeordnetenkammer durchgepeitscht. Mit seiner überraschenden Bestätigung bereits am Mittwoch hat Staatspräsident Mattarella dem heftig attackierten Renzi den Rücken gestärkt.

Die Abstimmung hatte der Premier - zum 25. Mal seit seinem Amtsantritt im Februar 2014 - mit der Vertrauensfrage verbunden. 334 der 630 Abgeordneten stimmten dafür, 61 dagegen, davon 50 aus der PD, darunter die gesamte Linke. Mit der rechtsextremen Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi und der rassistischen Lega Nord nahmen auch die Linkspartei SEL und die Protestbewegung M5S nicht an der Abstimmung teil.

Mit geringfügigen Korrekturen ist das neue, Italicum genannte Wahlgesetz das von Berlusconi hinterlassene, das als Porcellum (Schweinerei) bezeichnet wurde, da es der Siegerpartei bei nur einer Stimme Mehrheit in der Abgeordnetenkammer 340 der insgesamt 630 Sitze zusprach. Die Sperrklausel beträgt drei Prozent für allein antretende Parteien, was für sie auch in Koalitionen gilt. Bei der Siegerprämie bleibt es. Nur müssen dafür jetzt wenigstens 40 Prozent der Stimmen erreicht werden. Der von der Siegerpartei gestellte Premier kann dann mit 55 Prozent Mehrheit regieren und ist auf keinen Koalitionspartner mehr angewiesen. Wird dieses Ergebnis nicht erreicht, folgt ein Ballotagio (Zweiter Wahlgang), bei dem der Sieger auch mit 35 Prozent oder noch weniger die Prämie kassieren und mit dergleichen 55 Prozent-Mehrheit regieren kann. Die Repubblica, aber auch andere Zeitungen kritisieren das als einen Schritt in Richtung eines Präsidialregimes. Parallel dazu soll der Senat als Zweite Kammer aufgelöst werden. Die Verfassungsreform dazu hat die Abgeordnetenkammer in erster Lesung bereits beschlossen. Um die Wogen etwas zu glätten, soll das Italicum erst im Juli 2016 in Kraft treten. Die PD-Opposition will gegen das Italicum ein Referendum beantragen.

Aufsehen erregte in Rom, dass die international führende Ratingagentur Fitsch die Annahme des neuen Wahlgesetzes begrüßte, das "das Profil der Kreditwürdigkeit Italiens" erhöhe. Beobachter werten das als Bestätigung, dass die von Renzi geführte PD mit ihrem sozialdemokratischen Outfit von den führenden Kapitalkreisen, wie erst kürzlich Confindustria-Präsident Giorgio Squinzy offen bekundete, derzeit als die beste Sicherung ihrer Interessen gesehen wird. Zumal Renzi die PD bei den EU-Wahlen 2014 mit 40,8 Prozent zur stärksten italienischen Partei gemacht und die rechtsextreme Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi mit 16,8 Prozent geschlagen hat. Auch M5S kam mit 21 Prozent nicht an ihn heran.

Das neue Wahlgesetz birgt die Gefahr, kleinere Parteien, wie die kommunistische Rifondazione (PRC) und die Kommunistische Partei (PCdI), aber auch die Linkspartei SEL oder die Partei der Werte Italiens (IdV) aus dem Parlament auszuschließen. Die Kritik richtet sich aber auch gegen die diktatorischen Methoden, wie Renzi das Gesetz ohne Einbeziehung der PD und durch Abblocken einer eingehenden Erörterung in der Abgeordnetenkammer durchpeitschte. Der langjährige Chefredakteur des Corriere della Sera, Ferrucio de Portoli, warf dem Premier vor, "die demokratischen Institutionen zu übergehen und keine Kritik zu vertragen".

Die PD steht vor einer Zerreißprobe. Der gemäßigte Linke von der Fraktion der Dissidenten Pippi Civati will die Partei verlassen, da man der Regierung Renzi "kein Vertrauen mehr schenken" könne. Während der Herausgeber der Repubblica die Notwendigkeit der Formierung "einer Opposition gegen Renzi in der PD" betont, erwägt Matteo Orfini von der PD-Führungsspitze, wie Repubblica schreibt, "eine neue politische Kraft ins Leben zu rufen".

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2015

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