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ITALIEN/227: Parlament stimmte neuer Regierung aus Fünf Sterne-Partei und Lega zu (Gerhard Feldbauer)


Italienisches Parlament stimmte neuer Regierung aus Fünf Sterne-Partei und Lega zu

PD-Vorsitzender: Eine rechtsextreme Regierung mit dem Applaus der Neofaschisten halb Europas

von Gerhard Feldbauer, 8. Juni 2018


In Rom haben am Dienstag und Mittwoch beide Kammern des Parlaments der neuen Regierung aus der rechten Fünf Sterne-Partei und der rassistischen Lega das Vertrauen ausgesprochen. Im Senat, wo die beiden Parteien nach ihrem Wahlsieg am 4. März über eine Mehrheit von 167 der 315 Sitze verfügen, erhielten sie 171 Ja-, 117 Nein-Stimmen bei 25 Enthaltungen. Im Abgeordnetenhaus, wo sie 346 der 630 Sitze belegen, stimmten 350 mit Ja, 236 mit Nein, 35 enthielten sich. Gegen die Regierung stimmten die bisher regierende Demokratische Partei (PD) und die Linkspartei Freie und Gleiche (LeU). PD-Vorsitzender, Matteo Orfini, charakterisierte das Kabinett als "eine rechtsextreme Regierung, die mit dem Applaus der Neofaschisten halb Europas" entstehe. "Wir werden sie mit all unseren Kräften im Parlament und im Land bekämpfen", zitierte die römische La Repubblica den PD-Präsidenten.

Der Ministerpräsident der Koalition, der parteilose Wirtschaftsprofessor Giuseppe Conte, stellte im Senat das von M5S und Lega ausgearbeitete Regierungsprogramm zur Debatte in beiden Kammern vor. Zur EU, zu der die Regierungsparteien mehrfach ihre kritische Haltung betont und nach scharfen Reaktionen aus Brüssel korrigiert hatten, äußerte er sich in einem Mix aus Zustimmung und kritischen Vorbehalten. Im Rahmen des Bekenntnisses, dass "Italien in allen Allianzen bleibt", bestätigte er die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, die sich aber ändern und gerechter werden müsse. Er versicherte, am Schuldenabbau festzuhalten, wozu aber das wirtschaftliche Wachstum begünstigt werden müsse. Das aber sei durch die von der EU verordnet Sparpolitik behindert worden, was letztlich das weitere Ansteigen der Staatsverschuldung verursacht habe.

Der Premier übernahm den Slogan des M5S-Führers Luigi Di Maio und Lega-Chef Matteo Salvini von einem, "radikalen Wandel in Italien" und erwähnte dass von M5S im Wahlkampf versprochene Grundeinkommen (das noch unter dem deutschen Hartz IV-Modell liegen soll, an dem es sich orientiert) und eine Vereinfachung der Steuerzahlungen, mit der sogenannten Flat Tax. Dass diese zwei teuersten Wahlversprechen, für die im Haushalt 60 Milliarden Euro bereit stehen müssten, bereits auf etwa 2020 verschoben werden, erwähnte er nicht. Das betraf auch das versprochene Paket der Senkung des Pensionsalters, für das die Ausgaben statt berechneter 15 bis 20 Milliarden Euro jährlich auf fünf Milliarden Euro gesenkt werden sollen.

Mit Spannung wurde erwartet, welche Haltung Conte zur Migrationsfrage bezieht. Hier hatte der ins Innenministerium gehievte Chef der Rassistenlega Matteo Salvini, der eine halbe Million angeblich illegal in Italien lebende Migranten abschieben will, versucht, klare Tatsachen zu schaffen. Während einer Reise nach Sizilien äußerte er in nicht zu überbietenden zynischem Ausländerhass, für angeblich Illegale sei "das schöne Leben vorbei". Seenotretter nannte er "Handlanger der Menschenschlepper", von denen Keiner mehr "in italienischen Häfen anlegen" dürfe. Italien werde er aus einem "riesigen Flüchtlingslager in ein riesiges Abfang- und Abschiebelager" verwandeln und "Zentren zur Vertreibung der Flüchtlinge" schaffen.

Als erstes will er die gegenwärtig für den Unterhalt von Flüchtlingen verfügbaren fünf Milliarden Euro drastisch kürzen. In diesem Klima des aufgeputschten Rassismus wurde am vergangenen Sonnabend, am Staatsfeiertag der Republik, in der Ortschaft San Ferdinando in Reggio Calabria der 29jährige legale Migrant aus Mali Soumaila Sacko, Landarbeiter und Aktivist der USB-Gewerkschaft, kaltblütig aus einem Pkw erschossen. Zwei weitere Überfallene konnten sich in Sicherheit bringen. Laut dem Corriere della Calabria stellte sich bei den Ermittlungen der Carabinieri heraus, dass es einen behaupteten Diebstahl auf einem früheren Betriebsgelände nicht gegeben hatte. Weitere Schwerpunkte des Innenministers sind, Gesetze zu erlassen, nach denen Vergewaltiger kastriert und Einbrecher in Notwehr erschossen werden können.

Conte sah keinen Anlass, seinen Innenminister zurückzupfeifen. Im Gegenteil stelle er sich faktisch hinter ihn, wenn er laut der Nachrichtenagentur ANSA den Vorwurf "zunehmender Fremdenfeindlichkeit" zurückwies und behauptete, "wir sind nicht und werden nie rassistisch sein". Er beschränkte sich darauf, "eine gerechtere Verteilung der Lasten auf EU-Ebene" zu verlangen, sich für eine "Überwindung" des Dublin-Abkommens einzusetzen, die Schlepperbanden zu bekämpfen und all jene Migranten zu schützen, die regulär einreisen, sich legal im Land aufhalten, arbeiten und sich integrieren. Flüchtlinge, die Italien erreichen, ein in der Verfassung verbrieftes Recht haben, einen Asylantrag zu stellen, gehören laut Conte nicht dazu.

In welchem Dunstkreis sich die Conti-Regierung bewegt, bezeugten die überschwänglichen Glückwünsche, die sie von Donald Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon oder Marine Le Pen vom französischen Front National oder Ungarns neofaschistischem Premier Orban erhielt. Auch in Brüssel, wo die Angst um sich gegriffen hatte, die Androhung eines Italexit könnte die Berlin-dominierte EU ins Wanken bringen, zeigte man sich keineswegs beunruhigt über das "offen rassistische" Regierungsprogramm, dass Conte bedingungslos vertritt. Unbeeindruckt davon, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Rom von einem "Klima, das immer mehr von Spannungen und Intoleranz" gekennzeichnet" wird, sprach, drückte Kommissionspräsident Juncker Italien unter der neuen Regierung "Respekt und Vertrauen" aus.

Inzwischen verstärken sich die Proteste aus unterschiedlichen Kreisen gegen das faschistisch-rassistisch geprägte Regime. Tausende Landarbeiter in San Ferdinando in der Provinz Reggio Calabria entlarvten in einem Streik den Mord an dem Gewerkschaftsaktivisten Soumaila Sacko als erstes Opfer dieser Politik. Die Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre, Überlebende des Holocaust im KZ Auschwitz, erhob ihre Stimme in der Senatsdebatte und warnte, dieser Rassismus besudele "unsere demokratische zivile Gesellschaft" und müsse mit allen Kräften entschieden bekämpft werden. Die gleichen Warnungen kommen von der linken Vereinigung Potere al Popolo, dem kommunistischen Onlineportal Contropiano, von der Website Cronache di ordinario razzismo, linken Portalen wie Dynamo Press, die aufrufen, sich diesem Regime entschieden entgegenzustellen.

Wie ANSA am Freitag berichtet, ist der neue Premier inzwischen zur Teilnahme am G7-Gipfel in Malbaie/Kanada eingetroffen. Es seien am Rande bilaterale Gespräche, darunter mit Emmanuel Macron, Angela Merkel, Theresa May und Jean-Claude Juncker sowie Donald Tusk geplant. Es werde kein einfaches internationales Debüt sein. In nur einer Woche sei der Regierungschef von den Klassenzimmern der Universität von Florenz an den Tisch der Weltführer des Kapitals katapultiert worden. Auf ihn werde als Premierminister einer euro-skeptischen und gegenüber dem Russland von Wladimir Putin offenen Regierung geblickt.

Von Rom diktiere, so ANSA, Matteo Salvini die Linie und wolle Italien auf die totale Opposition gegen die von Donald Trump auferlegten Pflichten festlegen. "Handelspolitik - sagt der Vizepremier - muss wieder geöffnet werden, Italien ist eine Macht, die exportiert und deshalb geschützt werden muss Made in Italy und ich glaube, dass Trumps Politik vor allem der deutschen Arroganz entgegenwirken soll: Italien darf sich keinem Manöver unterziehen", wird Salvini zitiert. Der Lega-Chef wolle Trumps Weg folgen, "die Zölle" auch in Italien zu setzen.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2018

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