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ITALIEN/249: Demokratische Partei vor dem Scherbenhaufen ihrer neoliberalen Politik (Gerhard Feldbauer)


Italiens Demokratische Partei steht vor dem Scherbenhaufen ihrer neoliberalen Politik

Delegierten-Versammlung beriet über Wahl des neuen Parteichefs

von Gerhard Feldbauer, 20. November 2018


Siebeneinhalb Monate dauerte es, bis nach der katastrophalen Wahlniederlage vom 4. März am Wochenende in Rom mit 1000 Delegierten die Versammlung des Partito Democratico (PD) tagte. Sie ist eine Art Parteikonferenz, kein Parteitag, und soll diesen wie auch die Wahl des neuen Sekretärs vorbereiten. Der neue Parteichef wird wieder auf den umstrittenen "Primarie" (Vorwahlen, an denen auch nicht PD-Mitglieder teilnehmen können) gewählt, die im Februar stattfinden sollen.

Der seit dem Rücktritt Matteo Renzis als Parteichef nach der Niederlage amtierende Sekretär, Maurizio Martina, eröffnete die Tagung, auf der er laut Statut mit allen Leitungsgremien seinen Rücktritt erklärte. Ihre Aufgaben übernimmt bis zur Neuwahl des Sekretärs auf den "Primarie" und der neuen Leitungen durch den Parteitag eine von ihm eingesetzte Kongress-Kommission.

Nach ihrer Niederlage (sie sackte von 40,8 Prozent 2014 bei den EU-Wahlen auf 18,7 Prozent ab) steht die PD, die 2008 aus einer Fusion von Linksdemokraten und der katholischen Zentrumspartei Margherita hervorging, vor dem Scherbenhaufen ihrer neoliberalen Politik der Zusammenarbeit mit dem Kapital. Der frühere Christdemokrat Renzi, seit 2013 Parteichef und seit 2014 Premier, spitzte diese Politik mit seiner über weite Strecken betriebenen Kollaboration mit dem Führer der faschistischen Forza Italia (FI) und Ex-Premier Silvio Berlusconi zu und war bereit, mit diesem ein Wahlbündnis einzugehen und danach eine Regierung zu bilden. 2017 zwang ihn die linke Parteibasis zurücktreten. Nachdem es nicht gelang, Renzis Kurs zu stoppen, verließen weit über 100.000 Mitglieder den PD und Millionen Wähler liefen zu der unter linkem Etikett auftretenden Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) über, die nach der Wahl nach rechts schwenkte und mit der rassistischen Lega Nord eine Regierung bildete.

Renzi selbst blieb der Tagung fern und entzog sich der ohnehin mäßigen Kritik. Seine Anhänger (Renzianer) dominierten jedoch die Tagung. Von einer Auseinandersetzung mit seiner Politik konnte so keine Rede sein. Die römische La Repubblica, Sprachrohr des PD, gab Martina wieder, der sich in seiner Rede darauf beschränkte, dass "die bisherige Arbeit ungenügend" war, "eine Änderung" anmahnte und erklärte, dass der "PD eine Alternative" entwickeln müsse, wobei offen blieb, worin diese sich vom bisherigen Kurs unterscheiden soll. Vor allem aber beschwor Martina "die Einheit der Partei", um so die Linke um sich zu scharen. Ohne auf die Manöver der faschistischen Regierung der Lega und M5S einzugehen, zu der eine Charakterisierung ohnehin unterblieb, pochte er auf den Verbleib in der EU. "Den europäischen Horizont aufzugeben, sei Wahnsinn."

Zur Wahl des neuen Parteichefs meldeten sich sechs Kandidaten, von denen zwei Chancen hätten: Der von Renzi favorisierte frühere Innenminister seines Kabinetts Marco Minniti und der Präsident der Regionalregierung des Latiums, Nicola Zingaretti. Minniti gilt als ein ausgesprochener Rechter, unter dem eine weitere Umgestaltung des PD zu einer Partei der Mitte (Renzi wollte eine "Partei der Nation für alle") erwartet wird, die den letzten linken Ballast über Bord wirft und sogar offen ist für eine erneute Kollaboration mit Berlusconi und den Resten seiner FI. Auch Zingaretti, der als Linker gesehen wird, will ohne nennenswerte Abstriche den neoliberalen Kurs fortsetzen, für den er jedoch die zusammengeschrumpfte linksdemokratische Basis bei der Stange halten möchte. Beide Spitzenkandidaten erklärten, sie seien in der Wahlkampagne keine Gegner, appellierten, nicht "zu polarisieren" und wollen danach zusammenarbeiten.

La Repubblica konstatierte ein "schlechtes Ergebnis für die Linke" und schließt nicht aus, dass der scheidende Martina als Kompromisskandidat ins Rennen geschickt wird, um die "von einer Spaltung bedrohte Partei" besser zusammenzuhalten. Nicht auszuschließen ist, dass auch Renzi sich noch bewirbt. 2013 siegte er auf den "Primarie" mit 68 Prozent (1,7 Millionen) der Stimmen. Die Statuten-Kommission hatte einen Antrag vorgelegt, künftig die Doppelfunktion, nach der der Parteichef bei Wahlen als Spitzenkandidat antritt und bei einem Sieg Regierungschef wird, abzuschaffen. Das zielte gegen Renzi und sollte ausschließen, dass er, wenn er bei den "Primarie" Sekretär wird, bei wahrscheinlichen vorgezogenen Wahlen für das Amt des Premiers kandidiert. Der Vorschlag wurde nicht behandelt.

Bereits vor der PD-Versammlung hat sich vergangene Woche die erst vor einem Jahr gebildete linke Liste Freie und Gleiche (LeU) aufgelöst. Bei den Wahlen im März hatte sie als einzige linke Gruppierung mit 3,3 Prozent den Einzug ins Parlament geschafft. Die LeU will nun mit der früheren "Linken für Umwelt und Freiheit" (SEL) und ehemaligen Mitgliedern der PD eine neue Allianz bilden, die "die Linke führen soll". Soweit bekannt, leiten das neue Projekt die bisherigen führenden LeU-Vertreter Laura Boldrini (Ex-Parlamentspräsidentin), Pietro Grasso (Ex-Senatspräsident) und Giuseppe "Pippo" Civati (Ex-PD-Vorstand). Die neue Linkspartei wolle sich, schrieb der Mailänder Corriere della Sera, am britischen Labour-Führer Jeremy Corbyn orientieren und "traditionelle linke Werte" wieder beleben. Die neue Linkspartei will auf einer progressiven europäischen Liste zu den EU-Wahlen antreten. Noch gibt es keine Äußerung von der einzig ernstzunehmenden, weil antikapitalistische und klare antifaschistische Positionen beziehenden linken Gruppe Potere al Popolo (Die Macht dem Volke).

Da bleibt nur die Schlussfolgerung, dass die PD wie die Linke weiter tief zerstritten bleiben und von einer gegen die faschistisch-rassistische Regierung der Lega-M5S gerichteten und wenigstens in dieser Hinsicht minimalen Konsens zeigenden Übereinkunft weit entfernt sind. Diese Kräfte aber sind, das hat Antonio Gramsci 1926 in seiner antifaschistischen Bündniskonzeption (Historischer Block) herausgearbeitet, als einzige in der Lage, die Errichtung einer faschistischen Herrschaft unter parlamentarischen Deckmantel aufzuhalten bzw. ihr den Kampf bis zum Sturz anzusagen. Solange unter Mitte-Links diese Binsenwahrheit nicht begriffen wird, können sich Salvinis Lega und seine Helfershelfer der M5S vom Schlage eines Di Maio die Hände reiben und triumphieren.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2018

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