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ITALIEN/286: Übernahme gescheitert - dem berühmt-berüchtigten Stahlwerk Ilva droht das "Aus" (Gerhard Feldbauer)


Nach Rücktritt von ArcelorMittal Übernahme gescheitert

Dem berühmt-berüchtigten Stahlwerk Ilva im süditalienischen Taranto droht das "Aus"

von Gerhard Feldbauer, 11. November 2019


Ein von der italienischen Regierung mit dem Stahlkonzern ArcelorMittal mit Sitz in Luxemburg geschlossener Vertrag über die Übernahme des Stahlwerkes Ilva im süditalienischen Taranto ist geplatzt. Das international größte multinationale Unternehmen (200.000 Beschäftigte, 60 Werke in 26 Ländern, Jahresproduktion 110 Millionen Tonnen Stahl, Umsatz von 105 Mrd. US-Dollar) hat vergangene Woche seinen Rücktritt erklärt. Ilva, dem größten Stahlwerk Europas, droht die Schließung, über 10.000 Arbeitern die Entlassung. Der Käufer begründete seinen Rücktritt mit dem inzwischen von der neuen Regierung aus M5S und den Sozialdemokraten (Demokratische Partei-PD) beschlossenen Klima-Dekret (Green New Deal) mit schärferen Bedingungen des Umweltschutzes, die sich auf die Sanierung des Stahlwerkes, das als eine der "größten Dreckschleudern" Europas gilt, auswirken würden. Mit dem Dekret entfiele ein zugesagter Ausschluss von strafrechtlichen Verfolgungen.

Die Regierung in Rom bestreitet die Zusage und schlägt scharfe Töne an. Wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Freitag meldete, will sie die Vertragskündigung nicht hinnehmen. "Wir werden alles tun, um die geplanten Investitionen zu ermöglichen, die Beschäftigten zu schützen und die Durchführung der Umweltmaßnahmen zu gewährleisten", erklärte Premier Conte. Außenminister Luigi di Maio von M5S sekundierte: "Das Gesetz ist für alle gleich." Da ArcelorMittal seit 2017 Ilva bereits geleast hat, drohte sein Europachef, Geert Van Poelvoorde, bereits im Sommer, dann werde das Werk am 6. September geschlossen. Zur Bekräftigung wurden bereits 1000 Arbeiter zwangsweise beurlaubt.

Die Arbeiter von Ilva folgten am Freitag sieben Uhr einem Aufruf der Metallarbeitergewerkschaft FIOM und der Regionalverbände der CISL und UIL und legten geschlossen für 24 Stunden die Arbeit nieder, um gegen die angekündigte Schließung des Werkes und die angedrohten Massenentlassungen zu protestieren. Premier Conte empfing eine Abordnung der Gewerkschafter und versicherte ihnen in seltener Übereinstimmung, es werde alles unternommen, das Werk zu erhalten und die Arbeitsplätze zu sichern. Zur Ankündigung von ArcelorMittal, 5000 von 10.700 Arbeitsplätzen zu streichen, erklärte Conte, "es ist für uns völlig inakzeptabel, 5000 Arbeiter, 5000 Familien ohne Arbeit und ohne Zukunft zu lassen". Staatspräsident Sergio Mattarella hat sich persönlich in den Konflikt eingeschaltet und Premier Conte für "eine rasche Lösung" seine Unterstützung zugesagt. Auf einer Sitzung des Ministerrates am Donnerstag wurde laut ANSA bekräftigt, dass es keine Korrekturen am Verkaufsvertrag gebe werde. Einzig der Chef der faschistischen Lega, Matteo Salvini, schlägt sich auf die Seite des Konzerns und fordert, wie ANSA meldet, "die sofortige Wiedereinführung der Immunität", "eine bedingungslose Kapitulation".

Während die Regierung versucht, den Käufer bei der Stange zu halten, sind bereits Kontakte mit Sajjan Jindal, Präsident und CEO (Geschäftsführer) des indischen Stahlkonzerns JSW, aufgenommen worden, der sich schon einmal um die Übernahme bewarb. Sollte der Verkauf an ArcelorMittal scheitern, will Conte eine kommissarische Leitung einsetzen. Laut ANSA werde auch eine Verstaatlichung erwogen.

Ilva galt als größtes Stahlwerk Europas und lange Zeit als ein Vorzeigeobjekt der Industrialisierung des Mezzogiorno, des zurückgebliebenen Süden Italiens. Jahrzehntelang wurde dabei vertuscht, dass aus den Schornsteinen des 15 Quadratkilometer großen Werkes Dioxine, Schwefeldioxid und andere tödliche Giftstoffe entwichen, die die Umwelt verseuchten. Tausende Arbeiter und Einwohner in der Umgebung erkrankten an Krebs erkranken, 400 starben daran. Zeitungen titelten: "Lieber Gift als Arbeitslose." Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kritisierte im Januar 2019, der italienische Staat sei bislang unzureichend gegen die Risiken vorgegangen und habe damit die Menschenrechte der Anwohner in der Nähe des Werkes verletzt.

Da es sich bei Ilva immerhin um den zweitgrößten Stahlerzeuger Europas handelt, der bis 2023 eine Fertigproduktion von 9,5 Millionen Tonnen erreichen soll, werden die Chancen seines Erhalts, ganz gleich wie, nicht schlecht gesehen, zumal sich in der Nähe seines Hauptproduktionsortes Taranto einer der größten Tiefseehäfen Europas befindet, was einen leichten Zugang zu Rohstoffen ermöglicht. Nicht zuletzt werde Italien bei einem Verkauf weiter 60 bis 70 Prozent seines Flachstahlbedarfs von Ilva beziehen. Davon ausgehend meinte das linke Manifesto, ArcelorMittal plane einen Rücktritt nicht ernstlich, sondern wolle die Regierung erpressen, um sich Straffreiheit vor Ermittlungen bei Nichteinhaltung der Umweltschutzauflagen zu sichern.

Wie ANSA am Montag meldete, gehen die Verhandlungen mit ArcelorMittal weiter.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2019

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