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ITALIEN/308: Coronapandemie - Rom kritisiert fehlende Solidarität der EU (Gerhard Feldbauer)


Rom kritisiert fehlende Solidarität der EU
Premier Conte lehnt MES-Kredite ab

Schulen bleiben geschlossen

von Gerhard Feldbauer, 17. April 2020


In Rom hält die Kritik an der fehlenden Solidarität der EU bei der Bekämpfung der sozialökonomischen Folgen der Coronapandemie durch die Ablehnung von "Corona-Bonds" weiter an. Das Projekt sollte sich auf 1500 Milliarden Euro belaufen, von denen etwa 200 Milliarden nach Italien fließen sollten. Als verantwortlich für die Ablehnung wird Deutschland als die in der Union vorherrschende Macht gesehen. Der Mailänder Corriere della Sera schreibt, "in der Not sei auf Freunde kein Verlass". Die römische La Repubblica warnt vor wieder erwachenden antideutschen Ressentiments. Dafür steht u.a. die Kritik des Komikers und Schauspielers Tullio Solenghi, die er per Video verbreitete, das zehntausendmal geklickt wurde. Die Deutschen, "die für zwei Weltkriege und den millionenfachen Tod von Juden verantwortlich sind", seien noch immer "eine Herrenrasse", mit "gnadenloser Arroganz".

Moderater im Ton, aber in dieselbe Richtung zielt die Erklärung des Bürgermeisters Maurizio Verona von der sozialdemokratischen PD aus Sant'Anna di Stazzema, der die Ablehnung von Corona-Bonds durch Bundeskanzlerin Merkel in einem Brief an sie kritisierte und sie aufrief, sozial zu denken. "Wir sind wieder Italiener und Deutsche geworden und keine Europäer mehr", heißt es darin. Sant'Anna ist nicht irgendeine Gemeinde, sondern ein Bergort in der Toskana, wo bei einem SS-Massaker am 12. August 1944 mehr als 500 Einwohner umgebracht wurden, darunter viele Frauen, Kinder und Alte.

Statt "Eurobonds" hat Brüssel nun einen MES-"Rettungsschirm" angeboten, durch den jedes Land bis zu zwei Prozent seines BIP erhalten könnte. Das wären für Italien rund 35 Milliarden Euro. Der parteilose Premier Giuseppe Conte hat ihn jedoch grundsätzlich abgelehnt. Laut der Nachrichtenagentur ANSA hält er den MES für "völlig unpassend" und wolle ihn nicht nutzen. Rom werde für europäische Anleihen (Corona-Bonds) oder für andere gemeinsame Absicherungen "bis zum Schluss" kämpfen. Conte hat wohl im Auge, dass Griechenland bei der Annahme dieses so genannten "Rettungsschirms" souveräne Machtbefugnisse an den IWF, die EZB und den Europäischen Rat abtreten musste. Der Verband der Großindustriellen Confindustria verlangt dagegen, die Mittel zur Nutzung für das Gesundheitssystem anzunehmen, um "alle verfügbaren Instrumente einsetzen zu können".

Damit entfacht Brüssel nicht nur den alten Streit in Rom über die Haltung zur EU neu, sondern auch die Auseinandersetzungen darüber in der Regierung zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und verschafft der oppositionellen faschistischen Lega Auftrieb, die Regierung Conte zu Fall zu bringen. M5S und Lega lehnen den MES ab. M5S-Chef Vito Crimi nannte es eine "Abzocke", die niemals gewählt werden könne. Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung von M5S, Stefano Patuanelli, erklärte am Donnerstag gegenüber dem Sender Rai3 der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt, das "Nein zu MES ist endgültig". "Wir wissen um die gefährlichen Bedingungen, die es uns auferlegt", erklärte er, schränkte aber ein, die letzte Entscheidung über die Kreditlinie werde das Parlament fällen. Diese werde, so Parlamentspräsident Roberto Fico (M5S), nächste Woche fallen. PD-Chef Nicola Zingaretti ist dafür, das Angebot aus Brüssel anzunehmen, wenn "keine Bedingungen gestellt" werden und "die italienische Souveränität" respektiert wird. Wie La Repubblica schrieb, bleibe Italien trotz des Streites mit der EU über die Hilfe in der Corona-Krise in der Gemeinschaft und in der Eurozone.

Inzwischen setzt die Regierung auf das eigene Notfall-Paket, das auf insgesamt 750 Milliarden Euro für die Unternehmen aufgestockt wurde. Zu 200 Milliarden an Kreditgarantien und 200 Milliarden an Exporten kommen zu den bereits vorgesehenen 350 hinzu, mit einer Deckung von bis zu 100 Prozent für Kredite bis zu 800.000 Euro. Es gehe, wie das linksliberale Il Fatto Quotidiano schrieb, darum, dass "die Liquidität für Unternehmen sichergestellt werden soll", um dann zu neuen relevanten Maßnahmen zu kommen. Premier Conte nannte den Notfall-Plan laut ANSA "ein sehr wirksames Instrument", um alle "Unternehmen, die strategisch wichtige Aktivitäten ausführen", zu schützen. Er sichere die "Geschäftstätigkeit der Unternehmen und schütze sie vor feindlichen Übernahmen nicht nur in den traditionellen Sektoren, sondern auch in den Bereichen Versicherungen, Kredite, Finanzen und Wasser".

ANSA zufolge bestätigte die Leitung des Zivilschutzes am Freitag, dass bei den Corona-Infizierungen "der Trend ist rückläufig" ist, "aber 90 Prozent noch keinen Kontakt mit dem Virus" hatten. Dies bedeute, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung immer noch anfällig und größte Vorsicht geboten ist. Insgesamt wurden bisher 168.941 Menschen infiziert, 40.164 konnten geheilt wurden. Es gab insgesamt 22.170 Todesfälle, davon am Donnerstag 525 neue. Die Zahl der auf Intensivstationen Behandelten ist unter dreitausend gefallen, 76.778 Personen sind isoliert zu Hause.

Im Corriere della Sera erklärte Bildungsministerin Lucia Azzolina, daß die Schulen geschlossen bleiben und die Frage ihrer Eröffnung erst nach dem 1. Mai in Erwägung gezogen wird. La Repubblica warf am Donnerstag erstmals die Frage auf, ob die extrem hohe Zahl an Infizierten und die Hälfte der Toten (über 11.000) in der Lombardei das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Regierungszeit der Rechten und das Erbe des Ex-Premiers und Chefs des faschistischen Forza Italia (FI) Berlusconi sei.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2020

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