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ITALIEN/335: Tag der Republik - Staatspräsident Mattarella bekräftigt das antifaschistische Erbe (Gerhard Feldbauer)


Italien beging den Tag der Republik

Staatspräsident Mattarella bekräftigte antifaschistisches Erbe
Faschisten wollen Rom zur "Piazza Maidan" machen

von Gerhard Feldbauer, 4. Juni 2020


Das antifaschistische Italien beging am 2. Juni seinen Nationalfeiertag mit dem Bekenntnis zu den antifaschistischen Traditionen, auf denen nach dem Sturz der Monarchie als Träger der über 20jährigen Mussolini-Diktatur im Referendum vor 74 Jahren die Republik begründet wurde. Daran erinnerte Staatspräsident Sergio Mattarella und appellierte, in diesem Geist heute alle Kräfte einzusetzen, um "so schnell wie möglich dem globalen Albtraum der Corona-Epidemie zu entkommen". Er gedachte der Ärzte, Krankenschwestern und der vielen anderen, die Opfer des Virus geworden sind. Dieser Tag müsse "als Sinnbild für den Beginn unseres Neustarts stehen".

Begleitet von führenden Persönlichkeiten mit Ministerpräsident Giuseppe Conte an der Spitze legte er am Altar des Vaterlandes einen Kranz nieder. Die traditionelle Militärparade fiel aus, aber eine Staffel der Frecce Tricolori der Luftwaffe überflog die Piazza Venezia an der Kreuzung der Via del Corso. Anschließend begab sich Mattarella nach Codogno, einer Gemeinde in der Lombardei, die besonders schwer von der Krise betroffen wurde. Am Abend folgte er einer Einladung des Sekretärs des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und Präsidenten (Regierungschef) der Region Lazium, Nicola Zingaretti, und nahm an einem Konzert im Innenhof des Lazzaro Spallanzani National Institute for Infectious Diseases teil. Das Institut wird von der Regierung Zingarettis unterstützt.

Die faschistische Rechte - Salvinis Lega, Forza Italia (FI) und Fratelli Italiens (FdI) von Giorgia Meloni - mißbrauchten den Nationalfeiertag in Rom, Mailand und weiteren Städten zur Fortsetzung ihrer Kampagne, die Regierung von Premier Conte mit den Sozialdemokraten des PD und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zu stürzen. In Rom skandierten Sprechchöre, berichtet das linke Manifesto am Mittwoch, "diese exkommunistische Linke" will "unser Leben beherrschen". Während Berlusconi den Krawallen fernblieb, habe sein Vize, der EU-Parlamentarier Antonio Tajani, den Block der FI angeführt.

Das Ganze soll jedoch nur ein Vorspiel gewesen sein. Wie das kommunistische Contropiano in seiner jüngsten Ausgabe berichtet, planen Faschisten verschiedener Couleur, darunter die Lega-Sturmtrupps Forza Nuova, Skinheads, Hooligans und die weniger bekannten "Ragazzi Italia" am 6. Juni in Rom einen "faschistischen Aufmarsch", um nach dem Modell der "nazistischen Elite der Ukraine" und dem "Bataillon Azov" die Hauptstadt in eine "Piazza Maidan" zu verwandeln.

Wer im Hintergrund die Fäden zieht, verdeutlichte eine Erklärung des Präsidenten der Bancaitalia Ignazio Visco, der laut ANSA vom 30. Mai kund gab, zur Begegnung der Auswirkungen der Corona-Krise müssten, falls erforderlich, Lösungen verfolgt werden, die "die Stabilität des Systems gewährleisten". Es werde "eine neue Beziehung zwischen Regierung, Realwirtschaft, Finanzunternehmen und Institutionen" gebraucht. Dazu müsse man zu einer "geordneten Konfrontation" und einem "konstruktiven Dialog" kommen. Ähnlich äußerte sich der Präsident der Confindustria, Carlo Bonomi, im Interview mit der römischen La Repubblica.

Das entspreche genau dem von Berlusconi mit der Forza Italia, der Lega Salvinis und der Fratelli Italiens von Giorgia Meloni verfolgten Projekt, Conte zu stürzen und durch eine um ihre Parteien erweiterte Regierung zu ersetzen, die sie dominieren würden, schätzt der Philosophie-Professor an der Universität von Urbino, Stefano Azzara, im Gespräch mit dem Autor ein. Anders gesagt, gehe es darum, "den Staat zum Diener eines 'organisierten Kapitalismus' zu machen". "Besondere Formen" seien noch nicht vorhersehbar.

Die extreme Rechte, so Azzara, sei "dank der Förderung durch den früheren Christdemokraten Matteo Renzi so stark". Der betreibe "seine Politik wie der Chef einer Holding, um sich seine politische Existenz zu sichern und zu fördern, was erfordert, dass er seine Freunde in Politik und Wirtschaft einschließt. Er betreibt die Sicherung der Herrschaft der Padrone, eine Privatisierung des Staates, wie sie Berlusconi praktiziert hat, die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates, um damit seine eigene Existenz in diesem System zu sichern."

Eine Linke werde derzeit "mit dem PD identifiziert, der sich im kapitalistischen Rahmen bewegt - eine tatsächliche, das heißt antikapitalistische Linke, existiert nicht". Und hier müsse man sich daran erinnern, "dass Renzi einst Chef des PD war (2013 bis 2018), einer Partei, die als Verkörperung der Mehrheit der Linken galt. Das verdeutlicht, in welche Situation Renzi die Linke gebracht hat." Der "Aufbau eines linken Lagers, in dem die Kommunisten eine Rolle übernehmen müssen, bleibt deshalb eine wichtige, wenn nicht überhaupt die wichtigste Aufgabe. Das würde auch die Linke im PD stärken, die sonst sehr schwach bleibt".

Wie die Nachrichtenagentur ANSA am Donnerstag berichtet, schlägt Ministerpräsident Conte "der Opposition und allen Sozialpartnern bereits nächste Woche einen Diskussionstisch vor, um einen 'Wiedergeburtsplan' auszuarbeiten". Damit reagiert der Regierungschef auf die Forderungen des Confindustria-Chefs Bonomi und des Präsidenten der Bancaitalia Visco, "die Stabilität des Systems zu gewährleisten und neue Beziehungen zwischen Regierung, Realwirtschaft, Finanzunternehmen und Institutionen herzustellen" und dazu einen "konstruktiven Dialog" zu führen.

Der "Wiedergeburtsplan" werde "die Arbeitsbasis" sein, die der EU präsentiert wird, um an den "Schatz" aus dem Wiederherstellungsfonds zu kommen. Damit bestehe "Hoffnung, Ressourcen zu erhalten, die nicht knapp sind", so Conte. Mit dem Plan sollten "strukturelle Probleme überwunden und das Land neu gestaltet" werden. Er reicht von Vorschlägen zur Infrastruktur bis hin zu niedrigeren und progressiven Steuern, sieht Steuervorteile für den Süden vor und enthält Reformen für eine schlankere Bürokratie und gegen Amtsmissbrauch. Vorgesehen sind aber auch neue einmalige Maßnahmen, um Wirtschaftsbereiche vom Tourismus bis zum Handwerk, die kurz vor dem Zusammenbruch stünden, zu unterstützen.

Zur Ausarbeitung des "Wiedergeburtsplans" seien alle "Hauptakteure des italienischen Systems" und "einzelne brillante Köpfe" wie Confindustria-Präsident Bonomi eingeladen, wozu Conte laut ANSA versicherte, dass es in Italien keine "Sowjetisierung der Unternehmen" geben werde. Mit seiner Erklärung, die Regierung biete der Opposition "ohne Umbesetzungen oder Erweiterungen" an, an dem "Renaissance-Projekt" mitzuarbeiten, weist Conte jedoch die Forderungen von Lega-Chef Salvini und FdI-Führerin Meloni nach einer Regierung, an der sie beteiligt sind, zurück.

ANSA zufolge habe der Ministerpräsident aber betont, dass es bereits einen "Dialog" zwischen der Mehrheit der Demokratischen Partei und der Italia Viva (IV) Matteo Renzis sowie der Forza Italia gebe. Giorgia Meloni habe dagegen erklärt, Contes Vorschläge seien "nur neue Versprechen mit einer surrealen Haltung derer, die weiterhin schöne Dinge ankündigen". Mit den Worten, der Dialog beginne "also schlecht", kommentiert die römische Zeitung La Repubblica am Donnerstag Contes Vorgehen. Nur Berlusconi sei auf den Dialogvorschlag eingegangen.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2020

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