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ITALIEN/347: Mafia-Boss und faschistischer Terrorist nach fünf Jahren Haft auf freiem Fuß (Gerhard Feldbauer)


Durch die Maschen der Justiz geschlüpft

Mafia-Boss und faschistischer Terrorist unzähliger tödlicher Anschläge nach fünf Jahren Haft auf freiem Fuß

von Gerhard Feldbauer, 18. Juni 2020


In Rom wurde am Dienstag der faschistische Terrorist und Mafia-Boss Massimo Carminati nach fünfeinhalbjähriger Haft freigelassen. Wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete, musste der im Dezember 2014 Verhaftete aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Frist abgelaufen war. 2017 war Carminati in einem Korruptionsprozeß als Chef einer von ihm gebildeten "Mafia Capital" angeklagt und zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Da ihm angeblich keine Mafia-Verbrechen nachgewiesen werden konnten, was zu einem höheren Urteil hätte führen können, wurde die Strafe reduziert und danach das Urteil der ersten Instanz aufgehoben. Ein neuer Prozess ist bisher nicht angesetzt worden. Wie ANSA am Donnerstag meldete, hat die Staatsanwaltschaft bei der Freilassung angeordnet, dass Carminati seinen Wohnsitz in der Gemeinde Sacrofano nördlich von Rom nicht verlassen darf. Es wird erwartet, dass der Beschuldigte nach Anberaumung eines neuen Prozesses wieder in Haft genommen wird.

Carminati ist die personifizierte Verkörperung der Allianz, die die Faschisten in Italien seit der Gründung des faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) 1946 mit der Mafia bildeten. Schon in jungen Jahren stieß er zu dieser Mussolini-Nachfolgepartei. Während der bleiernen Jahre der von der CIA in den 1970/80er Jahren gegen die Linke betriebenen Spannungsstrategie gehörte er zur Führung der pseudorevolutionär getarnten faschistischen Nuclei Armati Revoluzionari, die zwischen 1977 und 1981 für wahrscheinlich 33 Morde verantwortlich gemacht werden. Er war Verbindungsmann zur berüchtigten "Banda della Magliana" der Mafia, die 1978 am Mordkomplott gegen den Christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer geschlossen hatte, beteiligt war. Zu den Opfern gehörte im Januar 1979 der Anhänger Moros Piersanti Mattarella, Bruder des heutigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella (nachzulesen u. a. in dem Buch von Gianni Flamini "La Banda della Magliana" (Mailand 1994)).

1998 wurde Carminati wegen seiner Teilnahme an den Verbrechen der Magliana-Bande zu zehn Jahren Haft verurteilt, vor der er ins Ausland fliehen konnte. Unbehelligt kehrte er einige Jahre später nach Italien zurück und bildete in Rom das weitverzweigte, "Mafia Capitale" genannte Netz, das er selbst anführte. Sein Komplize war Giovanni Alemanno von der Alleanza Nazionale (AN), in die das MSI sich 1996 umbenannte. Nachdem er in der Regierung der faschistischen Forza Italia (FI) von Berlusconi Minister gewesen war, wurde er 2008 (bis 2013) Bürgermeister von Rom. Alemanno wurde beschuldigt, an der "Mafia Capitale" mitgewirkt zu haben. Zu dem Verbrechersyndikat, das Korruptionsaffären in Millionenhöhe betrieb, gehörten unter Alemanno 46 Komplizen in der Stadtverwaltung und im Parlament von Rom, die mit Unternehmern und Mafiosi vernetzt u. a. die Müllabfuhr kontrollierten, Geschäfte mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Asylbewerberheimen machten und öffentliche Aufträge kassierten.

Ihr Scherflein zur Verschleppung der Anklage gegen Carminati trug die Juristin Virginia Raggi von der Fünf Sterne-Bewegung (M5S) bei, die 2016 im zweiten Wahlgang den Sprung ins Campidoglio (Sitz der Stadtverwaltung von Rom) nur mit den Stimmen der aus der AN hervorgegangenen Brüder Italiens (FdI) schaffte. Lange Zeit behielt sie wenigstens drei engste Mitarbeiter ihres Vorgängers Alemanno, die in das Netz der "Mafia Capitale" verwickelt waren, im Amt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb gegen sie wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Falschaussage.

Die Freilassung Carminatis offenbart wieder einmal die schleppende Verfolgung von Straftaten durch die italienische Justiz. Im Ergebnis der sich in den drei Instanzen oft ein Jahrzehnt hinziehenden Strafverfahren gelingt es den Angeklagten, durch Verjährungsfristen ungestraft davon zukommen. Die von dem parteilosen Juristen Giuseppe Conte mit den Sozialdemokraten (PD) und M5S seit August 2019 gebildete Regierung will das im Rahmen einer Justizreform ändern.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2020

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