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ITALIEN/506: Wiedereinstieg in die Atomenergie angekündigt - Millardengewinne in Aussicht (Gerhard Feldbauer)


Italien will wieder in die Atomenergie einsteigen

Im Blickpunkt Profite für die Unternehmer bis zu 46 Milliarden Euro

von Gerhard Feldbauer, 13. September 2024


Ita­li­en will unter der Mi­nis­ter­prä­si­den­tin Me­lo­ni wie­der in die Atom­ener­gie ein­stei­gen. Das kün­dig­te, wie die staat­li­che Nach­rich­ten­agen­tur ANSA be­rich­te­te, ihr Vi­ze­pre­mier, In­fra­struk­tur­mi­nis­ter und Chef der Lega, Matteo Sal­vi­ni, auf dem jähr­li­chen Tref­fen des In­dus­tri­el­len­ver­bands Con­fin­dus­tria in Cer­nob­bio an. Der Wie­der­ein­stieg in die Atom­ener­gie und damit in eine "mo­der­ne, ef­fi­zi­en­te und nach­hal­ti­ge Strom­pro­duk­ti­on" sei eines der wich­tigs­ten Ziele der Re­gie­rung (die seit Ok­to­ber 2022 im Amt ist). Ita­li­en sei von

Atom­mei­lern in den Nach­bar­län­dern um­ge­ben und ita­lie­ni­sche En­er­gie­ver­sor­ger wie Enel er­rich­te­ten auf der gan­zen Welt Atom­kraft­wer­ke - nur nicht in Ita­li­en selbst. "Das ist Selbst­mord, das ist eine Ver­rückt­heit", so Sal­vi­ni. Eine auf der Ta­gung der Con­fin­dus­tria vor­ge­leg­te Ana­ly­se of­fen­bart, dass es um die Pro­fi­te der Un­ter­neh­mer geht, die auf dem "po­ten­zi­el­len Markt" bis zu 46 Mil­li­ar­den Euro er­mög­li­chen wür­den. Die Atom­kraft wirke sich auch po­si­tiv auf das BIP von 50,3 Mil­li­ar­den aus. Au­ßer­dem wür­den damit "bis zu

117.000 neue Ar­beits­plät­ze" ge­schaf­fen.

Laut ANSA wird der Mi­nis­ter für Um­welt und En­er­gie­si­cher­heit, Gil­ber­to Pi­chet­to Fra­tin, "bis Ende des Jah­res" zu dem Wie­der­ein­stieg einen "Ge­setz­ent­wurf" vor­le­gen, "der die pri­mä­ren Rechts­vor­schrif­ten ent­hält" und fest­legt, "wo die zu­stän­di­gen Re­gu­lie­rungs­be­hör­den an­ge­sie­delt sein wer­den". "Wir haben es", so der Mi­nis­ter, "mit einer neuen Atom­kraft zu tun, die nicht nur den Bau gro­ßer Kraft­wer­ke er­for­dert, wir den­ken auch an klei­ne mo­du­la­re Re­ak­to­ren und fort­schritt­li­che mo­du­la­re Re­ak­to­ren." Ita­li­en werde, wie in Cer­nob­bio be­tont wurde, tat­säch­lich zur Atom­kraft zu­rück­keh­ren. Ni­co­la Monti, CEO von Edi­son, ar­gu­men­tiert, die neue Atom­kraft sei nicht nur eine "kost­ba­re Res­sour­ce zur Er­rei­chung der Ziele der En­er­gie­wen­de", son­dern stel­le auch "eine echte Chan­ce für den in­dus­tri­el­len Neu­start des Lan­des dar". Ita­li­en "hat die Mög­lich­keit, ein Prot­ago­nist zu sein, wenn so­fort ein mit­tel- und lang­fris­ti­ger Plan be­schlos­sen wird".

In einem Re­fe­ren­dum hatte 1987, ein Jahr nach der Re­ak­tor­ka­ta­stro­phe von Tscher­no­byl, eine Mehr­heit von fast 90 Pro­zent für den Atom­aus­stieg ge­stimmt. In der Folge waren alle vier be­stehen­den Re­ak­to­ren in Ita­li­en ab­ge­schal­tet wor­den, der letz­te wurde 1990 vom Netz ge­nom­men. Durch Im­por­te aus der Schweiz, Frank­reich und Slo­we­ni­en konn­te die Strom­lü­cke pro­blem­los ge­schlos­sen wer­den. In allen drei Län­dern be­stehen je­doch Kern­kraft­wer­ke und so ver-

braucht Ita­li­en bis heute Atom­strom. Für den Wie­der­ein­stieg will die Re­gie­rung, wie In­dus­trie­mi­nis­ter Adol­fo Urso von der Rechts­au­ßen-Par­tei Brü­der Ita­li­ens (FdI) in Cer­nob­bio er­klär­te, ein Joint Ven­ture mit einem aus­län­di­schen Tech­no­lo­gie­part­ner zur Pro­duk­ti­on von neuen Re­ak­to­ren der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on in Ita­li­en schlie­ßen. Die neuen Re­ak­to­ren wür­den von Be­für­wor­tern der Atom­ener­gie als si­che­rer und wirt­schaft­li­cher als die bis­he­ri­gen Typen ge­se­hen, so der Mi­nis­ter, der wei­ter an­führt, dass die in Ita­li­en pro­du­zier­ten Re­ak­to­ren auch über­all hin, wo eine ent­spre­chen­de Nach­fra­ge be­steht, ex­por­tiert wer­den könn­ten. Der Ver­trag mit einem aus­län­di­schen Un­ter­neh­men werde schon "in we­ni­gen Mo­na­ten unter Dach und Fach sein". Die Pro­duk­ti­on von Atom­strom sei auch be­reits in einem über­ar­bei­te­ten na­tio­na­len Plan für En­er­gie und Klima ent­hal­ten.

Kri­ti­ker be­zwei­feln, dass sich die Atom­plä­ne der Re­gie­rung Me­lo­ni so schnell um­set­zen las­sen und ver­wei­sen dar­auf, dass Ver­su­che zu einem Wie­der­ein­stieg in die Atom­ener­gie der ex­trem rech­ten Re­gie­rung unter Sil­vio Ber­lus­co­ni von 2010, per De­kret zehn neue Atom­kraft­wer­ke zu er­rich­ten, im März 2011 nach der Re­ak­tor­ka­ta­stro­phe in Fu­ku­shi­ma in einem Re­fe­ren­dum und we­ni­ge Mo­na­te spä­ter noch­mals in einem zwei­ten mit 94 % schei­ter­ten. Aber Sal­vi­ni sei op­ti­mis­tisch, dies­mal eine Zu­stim­mung, wenn es ein neues Re­fe­ren­dum gäbe, zu er­hal­ten. Der Lega-Chef habe schon im Wahl­kampf 2022 an­ge­sichts der hohen Gas- und Strom­prei­se die Atom­kraft

als un­ver­zicht­bar an­ge­prie­sen.

Die Op­po­si­ti­on ist je­doch wei­ter strikt gegen den Bau neuer Nu­kle­ar­an­la­gen und ver­weist auf die un­ge­lös­te Ent­sor­gung der still­ge­leg­ten Atom­kraft­wer­ke und des von ihnen pro­du­zier­ten Atom­mülls: Mehr als drei­ßig

Jahre nach dem Atom­aus­stieg ist der Rück­bau der alten Mei­ler, der Mil­li­ar­den­kos­ten ver­ur­sacht, erst etwa zu 30 Pro­zent er­folgt; die Suche nach einem End­la­ger für die ra­dio­ak­ti­ven Ab­fäl­le hat bis­her zu über­haupt kei­nen zähl­ba­ren Re­sul­ta­ten ge­führt.

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Quelle:
© 2024 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Dezember 2024

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