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MEMORIAL/015: Italien Mai 1996 - Lehrreiche Erfahrungen (Gerhard Feldbauer)


Lehrreiche Erfahrungen

Im Mai 1996 lehnten Italiens Kommunisten einen Eintritt in die Regierung der Linken Mitte ab. Sie gaben nur parlamentarische Unterstützung.

Von Gerhard Feldbauer, 12. Mai 2011


Angesichts der entscheidenden Rolle, welche der Beteiligung von Kommunisten und anderen Linken an bürgerlichen Regierungen heute vielerorts beigemessen wird, sind Erfahrungen in Italien bedeutungsvoll. Im Dezember 1994 wurde dort die erste Regierung des Medientycoons Silvio Berlusconi mit Faschisten und Rassisten durch revolutionäre Massenaktionen der Partei der Kommunistischen Neugründung (PRC) und der Gewerkschaften zu Fall gebracht. Berlusconi hatte im Frühjahr die Parlamentswahlen gewonnen, weil ein Wahlbündnis der Linken, Grünen und Kommunisten mit dem linksliberalen Zentrum an der Ablehnung der 1991 aus der liquidierten IKP hervorgegangenen Linkspartei PDS gescheitert war.

Nach einem Übergangskabinett fanden 1996 vorgezogene Neuwahlen statt, zu denen Linke und bürgerliches Zentrum unter dem Christdemokraten Romano Prodi ein Wahlbündnis schlossen, das Berlusconis Koalition eine Niederlage beibrachte. Faktisch war es ein linker Wahlsieg, denn von den 41,2 Prozent Stimmen entfielen 21,1 Prozent auf die PDS und 8,6 auf die PRC. Der Verband der Großindustriellen Confindustria und Kreise des Großkapitals mit FIAT an der Spitze hatten Mitte-Links offen favorisiert. Sie setzten auf den Reformismus in der PDS und den Grünen und erwarteten, dass Prodi mit ihnen besser in der Lage sein werde, den Volkswiderstand gegen den Sozialabbau in Zaum zu halten. PDS-Chef Massimo D'Alema signalisierte Zustimmung und erklärte, "für die nächsten fünf Jahre 'linker' Politik zu entsagen". Obwohl die Linksdemokraten über die Hälfte der Stimmen eingefahren hatten, verzichteten sie auf den Posten des Ministerpräsidenten und begnügten sich obendrein mit neun von 21 Ministerien. Den damaligen FIAT-Chef, Cesare Romiti, veranlasste das, Prodis Kabinett als "ausgezeichnete Wahl" zu werten. Die PRC bewies Vorsicht und lehnte angesichts dieser Zugeständnisse einen Regierungseintritt ab, unterstützte Prodi aber im Parlament, da dieser sonst nicht über die erforderliche Mehrheit verfügt hätte. Bedingung war, den Sozialabbau zu stoppen, verbesserte soziale Verhältnisse herzustellen, vor allem die Arbeitslosigkeit abzubauen. Bei vollem Lohnausgleich sollte die 35-Stundenwoche eingeführt werden. PRC-Sekretär Fausto Bertinotti erklärte, es gehe darum, "die Regierungsachse nach links zu verschieben". 1997 brachte die PRC einen "Rotstifthaushalt" mit 15 Mrd. DM sozialen Kürzungen zu Fall, stimmte gegen die Teilnahme an einer Militärintervention in Albanien und lehnte die NATO-Osterweiterung (Aufnahme Polens, Ungarns und Tschechiens) ab. 1998 wies die Partei einen Haushalt mit fast gleichem Sozialabbau erneut zurück und wandte sich gegen den NATO-Überfall auf Jugoslawien.

Nachdem Prodi Korrekturen abgelehnt hatte, kam es im PRC-Vorstand am 4. Oktober 1998 zur Kampfabstimmung über Abbruch oder Fortsetzung der Unterstützung. Nun zeigten sich typische reformistische Folgen. Eine Minderheit von Parlamentariern mit dem Parteivorsitzenden, Senator Armanda Cossutta (früher Politbüromitglied der IKP), an der Spitze hatte Geschmack an den Pfründen des Mitregierens gefunden, lehnte den Abbruch ab und forderte stattdessen sogar, Ministersessel zu belegen. Die Revisionisten erlitten mit 188:135 Stimmen eine Niederlage. Cossutta verließ danach mit seiner Fraktion die PRC und gründete am 11. Oktober eine eigene Partei der italienischen Kommunisten (PdCI), mit der er in die Regierung eintrat. Es begann die Spaltung der kommunistischen Bewegung, die bis heute nicht nur anhält, sondern sich durch die Abspaltung der Kommunistischen Arbeiterpartei (PCL) weiter vertieft hat.

An Stelle des zurücktretenden Prodi übernahm Linksparteichef D'Alema die Regierung. Angesichts des fortgesetzten Rechtskurses lehnte die PRC zur Parlamentswahl 2001 ein Wahlbündnis mit Mitte-Links ab und trat allein an. Sie erreichte über fünf Prozent. Die Linksdemokraten hatten dagegen das 1991 von der IKP übernommene Wählerpotenzial von 26,6 Prozent auf 16,6 herunterwirtschaftet. Ohne die PRC erlitt Mitte-Links eine Niederlage.

In der PRC vergas man jedoch die Lehren. Fausto Bertinotti erlag ebenfalls den Verlockungen der Revisionisten. Nach einem Wahlsieg der Linken Mitte 2006 trat die Partei direkt in die Regierung ein, trug dort nicht nur den Sozialabbau mit, sondern unterstützte die Teilnahme am NATO-Kriegseinsatz in Afghanistan. 2008 erhielt sie bei Neuwahlen die Quittung. Das Wahlbündnis der sogenannten Regenbogenlinken, dem sie beitrat, fiel von 12 Prozent 2006 auf 3,1 Prozent und unter die Vier Prozent-Sperrklausel. Allein die beiden KPs verloren drei Viertel ihrer Wähler, davon 80 Prozent die PRC. Der faschistoide Berlusconi gewann erneut die Wahl.

Die grundsätzliche Lehre heißt: Beteiligen sich Linke oder auch Kommunisten an einer bürgerlichen Regierung muss oberstes Prinzip sein, glaubwürdig zu bleiben, die eigene Identität zu wahren und die Interessen der Arbeiter- und der Friedensbewegung zu vertreten.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2011