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MEMORIAL/080: Am 8. September 1943 okkupierte Hitlerdeutschland Italien (Gerhard Feldbauer)


Am 8. September 1943 okkupierte Hitlerdeutschland Italien

Das Comitato di Liberazione Nazionale rief zum Befreiungskampf auf

von Gerhard Feldbauer, 6. September 2013



Nach dem Sturz des faschistischen Diktators Benito Mussolini am 25./26. Juli 1943 durch eine Palastrevolte führender Kreise des Kapitals, des Königs und von Militärs, unterstützt vom Vatikan setzte König Vittorio Emanuele III. mit Marschall Pietro Badoglio an der Spitze eine Militärregierung ein. Die Palastverschwörer brachen mit der faschistischen Achse mit Hitlerdeutschland und nahmen Waffenstillstandsverhandlungen mit den anglo-amerikanischen Alliierten auf, wollten jedoch im Krieg eine neutrale Position einnehmen. Innenpolitisch wurden die faschistische Partei und ihre Gliederungen verboten, die faschistische Diktatur sollte jedoch in eine klerikal-faschistische umgewandelt werden. Von der Freilassung der politischen Gefangenen suchte Badoglio zunächst Kommunisten und Anarchisten auszuschließen. Erst als Gewerkschafter, Kommunisten (IKP) und Sozialisten (ISP) dagegen einen Generalstreik ankündigten, wurden die Beschränkungen Mitte August aufgehoben.


Bruch mit Hitlerdeutschland

Mit den am 31. August beim angloamerikanischen Kommando in Casibile auf Sizilien begonnenen geheimen Waffenstillstandsverhandlungen wurde unter dem Druck vor allem der Kommunisten und Sozialisten der Bruch mit Hitlerdeutschland eingeleitet. Die Verhandlungen wurden von General Dwight D. Eisenhower, dem Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, und auf italienischer Seite von General Giuseppe Castellano geleitet. Im Waffenstillstandsabkommen akzeptierte Italien dann die "italienische Zusammenarbeit mit den Alliierten im Kampf gegen die Deutschen", was den Übertritt auf die Seite der Antihitler-Koalition bedeutete. Am 13. Oktober 1943 folgte die Kriegserklärung an Hitlerdeutschland. Es war ein Vorgang, der im angloamerikanischen Einflussbereich ohnegleichen in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges blieb. Nach dem am 3. September unterzeichneten Waffenstillstand schieden die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus aus dem Krieg aus. Das waren im militärischen Bereich 3,5 Millionen Soldaten.

Dem deutschen Generalstab war die Aufnahme der Waffenstillstandsverhandlungen nicht verborgen geblieben. Bereits unmittelbar nach dem Sturz des "Duce" hatte er begonnen, die Besetzung Nord- und Mittelitaliens vorzubereiten, die dann nach Bekanntgabe des Waffenstillstands am 8. September erfolgte. 30 Heeresdivisionen wurden dazu eingesetzt. Im Rahmen des Überfalls sollte in Rom auch ein Staatsstreich die Regierung Badoglio stürzen, der wegen italienischer Gegenmaßnahmen aber ausblieb. Erfolgreich verlief am 12. September die Operation Sturmbannführer Otto Skorzenys, der den gefangen gehaltenen Mussolini vom Gran Sasso holte und nach Deutschland brachte.


Das Nationale Befreiungskomitee

Schon einen Tag nach der Okkupation konstituierte sich auf Initiative der IKP am 9. September das Komitee der antifaschistischen Strömungen (IKP, ISP, Aktionspartei, Christdemokraten, Liberale und Republikaner) zum Nationalen Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale). Damit erntete die IKP erste Früchte ihrer langfristigen zähen und geduldigen Arbeit für die Herstellung einer breiten antifaschistischen Einheitsfront. Ihre Anstrengungen hatte sie besonders nach der Machtübergabe an Hitler in Deutschland verstärkt. Bereits wenige Monate nach dieser verhängnisvollen Entwicklung, am 4. Juni 1933 fand in Paris auf ihre Initiative ein Kongress der Antifaschisten des Landes statt, mit dem ein wichtiger Grundstein für die in den folgenden Jahren sich formierende antifaschistische Einheitsfront gelegt wurde. Die Tagung setzte ein Zeichen im Kampf gegen die Verbündeten Hitler und Mussolini und wurde zum Ausgangspunkt der Triebkräfte, die zum Sturz Mussolinis im Juli 1943 und nun zur Bildung eines Nationalen Befreiungskomitee aller Oppositionsparteien führte. Der Kongress rief zur Einheit aller Antifaschisten auf und betonte, der Widerstand gegen das Mussolini-Regime erfordere eine Massenbewegung gegen die von ihm betriebene Kriegspolitik, die im Oktober 1935 in den Überfall auf Abessinien (Äthiopien) mündete.


Aktionseinheit von Kommunisten und Sozialisten

Der nächste gewichtige Schritt war am 17. August 1934 die Unterzeichnung eines Aktionseinheitsabkommens zwischen Kommunisten und Sozialisten (ISP) durch Luigi Longo und Pietro Nenni. Die entscheidenden Grundlagen dafür hatte Antonio Gramsci mit seiner antifaschistischen Bündniskonzeption geschaffen, deren Kern die These vom "Historischen Block" bildete. Gramsci entwarf ein System von Bündnissen der Arbeiterklasse mit den Mittelschichten und der Intelligenz, dem ohne das gemeinsame Handeln der Arbeiterparteien kein Erfolg beschieden sein konnte. Damit wurde die Haltung der IKP zu der auf dem VI. Komintern-Kongress 1928 aufgestellten Sozialfaschismusthese zur Gretchenfrage dieser Politik.


Gemeinsam die Spanische Republik verteidigt

Neue Impulse gingen vom Beitrag der italienischen Antifaschisten zur Verteidigung der Spanischen Republik gegen die von Hitler und Mussolini unterstützten Franco-Faschisten aus. In der Schlacht bei Guadalajara im März 1936 traf die Garibaldi-Brigade direkt auf die "Truppe Volontarie" Mussolinis. Der Sieg war nicht nur ein militärischer, sondern mehr noch ein moralischer, der dem antifaschistischen Kampf in Italien Auftrieb gab. Im Ergebnis ihrer weiteren Annäherung in Spanien vertieften IKP und ISP 1937 ihr Aktionseinheitsabkommen, in dem sie "die Beseitigung des Faschismus und Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft" als Ziel stellten. Zur drohenden Gefahr eines europäischen oder Weltkrieges hieß es: "Wenn ein solcher Konflikt ausbrechen sollte, wird ihn das Proletariat zur Grabstätte des Faschismus machen".


Anziehungspunkt für Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler

Das einheitliche Handeln der Arbeiterparteien zog erhebliche kleinbürgerliche Schichten sowie Angehörige der Intelligenz auf ihre Seite. Studenten, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler schlossen sich der antifaschistischen Bewegung an. Alberto Moravia, der bereits 1929 mit seinem Roman "Die Gleichgültigen" den moralischen Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft anprangerte, veröffentlichte 1935 mit "Gefährliches Spiel" Satiren auf den Faschismus. Von Cesare Pavesi erschienen unter dem Titel "Arbeit macht müde" aufrüttelnde Gedichte. Elio Vittorini schrieb über die Unterdrückung der Volksschichten auf Sizilien. Renato Guttuso schuf das Gemälde "Erschießung", das er dem von den Franco-Faschisten ermordeten spanischen Dichter Federico Garcia Lorca widmete. Der Bildhauer Giacomo Manzù trat dem Mailänder Kreis antifaschistischer Künstler bei, der die Zeitschrift "Corrente" herausgab. Giustizia e Libertà konstituierte sich Anfang 1943 als Aktionspartei, was dem Prozess zur Herstellung der antifaschistischen Einheitsfront neue Impulse verlieh.


"Zu den Waffen!"

Noch am 9. September rief das Befreiungskomitee alle Italiener zum Kampf gegen den Faschismus für ein freies Italien auf. Der Appell, den die von der IKP herausgegebene Zeitschrift "Il Combattente" in ihrer Nr. 1 vom 1. Oktober 1943 veröffentlichte, formulierte die Stoßrichtung gegen Hitlerdeutschland als Besatzungsregime mit der Losung: "Heute gibt es für die Italiener nur noch eine Front: Gegen die Deutschen und gegen die fünfte faschistische Kolonne. Zu den Waffen!"


Nach dem Aufruf entstanden erste Partisanen-Einheiten....

Starken Widerhall fand der Appell in den Streitkräften. Etwa 200.000 italienische Soldaten und Offiziere, darunter Teile einer Armee und über zehn Divisionen, leisteten der Okkupation in Italien sowie auf dem Balkan und auf Korsika zum Teil über zwei Monate erbitterten Widerstand. Diese Gegenwehr erfolgte durchweg auf Initiative der zuständigen Kommandeure, denn der König als Oberbefehlshaber und die Regierung Badoglio flohen am 9. September aus Rom zu den Alliierten, die bei Salerno und Taranto am Vortage eine Landeoperation begonnen hatten, und überließen die Armee ohne klare Befehle ihrem Schicksal.


General Eisenhower brach sein Wort

Viele italienische Kommandeure rechneten mit der Unterstützung der Angloamerikaner, da Eisenhower bei den Waffenstillstandsverhandlungen General Castellano den Einsatz eines Luftwaffenverbandes bei Rom zugesagt hatte. Im Vertrauen darauf eröffneten im Gebiet der Hauptstadt vier italienische Divisionen die Kampfhandlungen gegen die Hitlerwehrmacht. Ihr Korpskommandeur, General Giacomo Carboni, folgte einem Vorschlag des IKP-Vorsitzenden Luigi Longo und ließ Waffen an Freiwillige ausgeben, die zusammen mit der Division Granatieri am 8. September an der Porta San Paolo im Stadtzentrum ins Gefecht zogen. General Carboni wartete jedoch vergebens auf die zugesagte Luftlandeoperation. General Eisenhower brach sein Wort, das er bei der Bekanntgabe des Waffenstillstandes über Radio gegeben hatte. "Alle Italiener, die dazu beitragen, den deutschen Angreifer vom italienischen Boden zu vertreiben, werden die Hilfe der Vereinten Nationen (damals die Alliierten) erhalten." Angesichts der Übermacht der deutschen Truppen stellten die Italiener bei Rom den Kampf nach vier Tagen ein.


Alliierte nutzten die Chance nicht

Mit einer Landung bei Rom hätte sich das alliierte Kommando eine Operationsbasis für ein rasches Vordringen schaffen können. Stattdessen begann es seine Operationen am 8. September auf dem südlichen Festland bei Taranto und Salerno. Die Untätigkeit Eisenhowers ermöglichte der Hitlerwehrmacht, nach der Besetzung Nord- und Mittelitaliens nahezu ungestört südlich von Rom durch das Apenninengebirge mit der strategisch bedeutsamen Stellung auf dem 519 Meter hohen Monte Casino eine Abwehrfront aufzubauen, die dann alliierte Truppen monatelang unter schweren Verlusten zu stürmen versuchten. Erst nach der Einnahme Monte Casinos durch polnische Verbände unter General Wladyslaw Anders am 18. Mai 1944 konnten die 5. amerikanische und die 8. britische Armee auf Rom vorstoßen und es am 4. Juni 1944 einnehmen.

Ziel der strategischen Konzeption der angloamerikanischen Alliierten war vor allem, dass die UdSSR sich in der gewaltigen militärischen Auseinandersetzung mit Deutschland weiter ausbluten, Italien als Mittelmeermacht ausgeschaltet und ein abhängiger Staat werden sollte. Schließlich ging es darum, zu verhindern, dass die italienischen Kommunisten und Sozialisten Einfluss auf die Streitkräfte erhielten, so wie später versucht wurde, die Operationen der vor allem von ihnen maßgeblich geführten kampfstarken Partisanenverbände zu behindern und auch regelrecht zu sabotieren.


Hitlerwehrmacht völlig überrascht

Die Hitlerwehrmacht wurde von dem Widerstand zahlreicher italienischer Offiziere und Soldaten völlig überrascht, denn für Hitler waren die Italiener, wie er in seinen Monologen im Führerhauptquartier 1941-1944 (Herausgegeben von Werner Jochmann, Hamburg 1980), niedergeschrieben hatte, "keine echten Soldaten", für Feldmarschall Erwin Rommel, den Goebbels in seinen Tagebüchern (Bd. 4) zitierte, "kein Kriegsvolk". Dieser Widerstand gegen die deutsche Okkupation offenbarte, dass es Mussolini nicht gelungen war, sich mit der königlichen Armee und der Militärführung ein mit der Hitlerwehrmacht vergleichbares, willfähriges und bedingungslos dem Kadavergehorsam unterworfenes Instrument zu schaffen. Die gegenüber den italienischen Soldaten und Offizieren eingenommene Herrenmenschenposition der Hitlerfaschisten und ihrer Wehrmacht führte nach Mussolinis Sturz und dem Einfall der deutschen Truppen am 8. September, verbunden mit der Aufforderung an die Italiener, die Waffen niederzulegen und sich gefangenzugeben, zu einem eruptiven Ausbruch der immer latent vorhanden gewesenen antideutschen Ressentiments. Sie wurzelten auch im Ersten Weltkrieg, in dem Italien als Mitglied der Entente Gegner Deutschlands gewesen war.


Rommels blutige Rache

Die Hitlerwehrmacht nahm blutige Rache. Hunderttausende italienische Soldaten bezahlten ihren Widerstand mit dem Tod oder der Deportation nach Deutschland. In Italien wurden 11.400 gefangene Soldaten und Offiziere ermordet, auf dem Balkan Tausende umgebracht. Allein auf der griechischen Insel Keffalenia, wo die Italiener sich sieben Tage in erbitterten Kämpfen der Entwaffnung widersetzten, metzelte die Wehrmacht über 4.000 Gefangene nieder. Fast 5.000 waren vorher in den Gefechten gefallen. Zusammen mit Feldmarschall Kesselring, dem Oberbefehlshaber im Mittelmeerraum, organisierte Feldmarschall Rommel, Befehlshaber der Heeresgruppe B in Italien, die blutigen Massaker. Kesselring befahl gegenüber den früheren Verbündeten "rücksichtsloses Vorgehen" und "gegen Verräter keine Schonung". Ein britisches Militärgericht verurteilte ihn nach dem Krieg unter anderem wegen dieser Kriegsverbrechen in Italien. In einer Weisung Rommels hieß es: "Irgendwelche sentimentalen Hemmungen des deutschen Soldaten gegenüber Badogliohörigen Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden sind völlig unangebracht. Wer von diesen gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf Schonung verloren und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt, das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet."

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2013