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MEMORIAL/095: Dag Hammarskjöld - Neues zu Tod in Ndola (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2013

Neues zu Tod in Ndola Dag Hammarskjöld kam 1961 unter nicht geklärten Umständen ums Leben.

von Henning Melber



Das Flugzeug des UN-Generalsekretärs stürzte in der Nacht vom 17. zum 18. September 1961 beim Anflug auf Ndola, einer Minenstadt im damaligen Nordrhodesien (dem heutigen Sambia), ab. Mit ihm starben fünfzehn Begleiter. Hammarskjöld befand sich auf einer Mission zur Lösung des Bürgerkrieges im Kongo. Inzwischen hat eine unabhängige private Untersuchungskommission weitere Details über die möglichen Ursachen des Absturzes erforscht und fordert eine Aufnahme neuer Untersuchungen.
Wie ausführlich berichtet (vgl. afrika süd 3/2013 [im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Geisteswissenschaften → Geschichte: MEMORIAL/083: Dag Hammarskjöld - Tod in Ndola (afrika süd)]), war der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen in Begleitung seiner Entourage damals unterwegs, um eine Lösung für den Bürgerkrieg im Kongo zu finden. Er hatte kurzfristig mit Moise Tshombe ein Gespräch auf neutralem Boden im nordrhodesischen Grenzgebiet vereinbart. Mit dem Anführer der Sezessionsbewegung der angrenzenden Katanga-Provinz wollte er eine Beilegung des bürgerkriegsähnlichen Konflikts in dem seit Mitte 1960 unabhängigen Kongo-Staat finden. Zu dem Gespräch kam es nicht mehr. Seither ist der Hergang des Flugzeugabsturzes Gegenstand zahlreicher Spekulationen geblieben. Der einzige Überlebende starb wenige Tage später in einem örtlichen Krankenhaus, ohne dass eine erhellende Aussage über die seither nie geklärten Ursachen des Absturzes bekannt wurde.

Anlässlich des 50. Todestags im September 2011 wurden durch ein auf jahrelangen Recherchen basierendes Buch neue, teilweise spektakuläre Verdachtsmomente publiziert. Die Erkenntnisse der Autorin Susan Williams ("Who Killed Hammarskjöld? The UN, the Cold War and White Supremacy in Africa", London 2011) stärkten die stets gehegten Vermutungen, dass es sich bei dem Absturz möglicherweise nicht um ein durch menschliches Versagen der Piloten herbei geführtes Unglück handelte. Wenngleich diese Studie ihrerseits keine verbindliche Theorie oder stimmige Version der möglichen Vorgänge präsentieren konnte, bekräftigte sie die erheblichen Zweifel, dass es ein Unglück ohne Fremdeinwirkung gewesen sei.


Privatinitiative sucht Aufklärung

Die weithin in den Medien beachteten, weltweit publizierten neuen Hinweise führten dazu, dass sich auf Anregung eines früheren stellvertretenden Ministers und Gewerkschaftsführers, jetzt Mitglied des britischen House of Lords, während der ersten Jahreshälfte 2012 eine Initiative aus mehreren Privatpersonen konstituierte. Zu dieser achtköpfigen Gruppe gehörte u.a. auch die Verfasserin des zu dieser Initiative führenden Buches, ein weiterer britische Lord, der Vizerektor der sambischen Copperbelt-Universität und frühere Leiter des dortigen Dag Hammarskjöld-Instituts, der frühere Generalsekretär des Commonwealth und ständige Vertreter Nigerias bei den Vereinten Nationen, sowie ein früherer schwedischer Erzbischof. Das erklärte Ziel war die Einsetzung einer glaubwürdigen unabhängigen Untersuchungskommission, die sich um eine Prüfung der Erkenntnisse bemühen sollte.

Damit sollte diese Initiative klären, ob neue offizielle Anstrengungen seitens der Vereinten Nationen zur Klärung der Absturzursache gerechtfertigt wären. Ein erster Untersuchungsbericht der UNO hatte ohne eine verbindliche Festlegung der Absturzursache geendet und Fremdeinwirkung explizit nicht ausgeschlossen. Der darauf basierende Beschluss der UN-Generalversammlung - Resolution 1759(XVII) vom 26. Oktober 1962 - hatte deshalb den UN-Generalsekretär mit der Unterrichtung über jegliche neue Erkenntnisse beauftragt und gegebenenfalls eine Wiederaufnahme der Untersuchung zu jeglichem Zeitpunkt ausdrücklich für möglich erklärt.

Im Juli 2012 nahm eine vierköpfige Kommission von Rechtsexperten die unentgeltliche Arbeit auf. Die Leitung des Teams oblag Sir Stephen Sedley (u.a. ehemaliger Richter am britischen Obergericht und am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte). Weitere Mitglieder waren der frühere schwedische Botschafter Hans Corell (ehemals Rechtsberater im Außenministerium seines Landes und danach UN-Unter-Generalsekretär für Rechtsangelegenheiten), der südafrikanische frühere Verfassungsrichter Richard Goldstone (der auch erster Hauptankläger im Prozess der Internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen für das frühere Jugoslawien und Ruanda war) sowie die niederländische Richterin Wilhelmina Thomassen (die u.a. am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und am niederländischen Obergericht diente).

Die Arbeit der Kommission wurde im August 2013 abgeschlossen. Sie wurde von zahlreichen weiteren ehrenamtlich arbeitenden Experten und einer Sekretärin unterstützt. Die Initiativgruppe finanzierte deren Gehalt, Treffen der Kommission sowie eine Reise nach Ndola zu Interviews vor Ort mit damaligen Augenzeugen. Die Mittel dazu wurden durch Spenden gesichert. Zu den nirgendwo entsprechend gewürdigten Spendern gehörten neben Mitgliedern der Initiativgruppe u.a. auch der schwedische Schriftsteller Henning Mankell sowie der britische Rechtsprofessor und Erfolgsautor Alexander McCall Smith.


Kommission geht von Fremdeinwirkung aus

Am 9. September 2013 händigte die Kommission ihre Ergebnisse in Form einer Studie an die Initiativgruppe aus und präsentierte diese zugleich im Rahmen einer Pressekonferenz im Friedenspalast in Den Haag (vgl. den Kurzbericht in afrika süd 4/13). Um keinerlei Verdacht hinsichtlich der Autonomie der Kommission aufkommen zu lassen und deren Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, wurden der Initiativgruppe die Empfehlungen der völlig unabhängig von dieser arbeitenden Kommission nur eine Stunde vor der öffentlichen Bekanntgabe mitgeteilt. Der 50-seitige Bericht wurde zugleich frei zugänglich ins Netz gestellt (http://www.hammarskjoldcommission.org/). Er hatte in den Tagen darauf eine weltweite Aufmerksamkeit durch die Medien zur Folge.

Unter sorgfältiger Wortwahl und mit großer Zurückhaltung in der Bewertung von Indizien und Tatsachenbehauptungen hielt sich die Kommission streng an das aufgetragene Mandat und nahm keinerlei sensationelle Schlussfolgerungen vor. Der Bericht trug die eindeutige Handschrift von erfahrenen Rechtsexperten, die jeden Eindruck voreiliger Urteilsfindung professionell vermieden. Dies stärkte die Seriosität und Glaubwürdigkeit des Unterfangens, dem nicht an spektakulären weiteren Vermutungen lag, sondern an der ernsthaften Klärung, ob der Kenntnisstand eine neuerliche Prüfung des Vorfalles rechtfertige.

So bejahte die in nüchterner Sprache präsentierte Schlussfolgerung die Frage, ob es signifikante neue Hinweise auf die Umstände des Flugzeugabsturzes gebe, die in den vorherigen Untersuchungskommissionen keine Berücksichtigung fanden. Nicht zuletzt wurden diese durch die Interviews vor Ort mit den noch lebenden Zeitzeugen bekräftigt. Weiterhin wurde die Frage bejaht, ob inmitten des Nebels einer Beweissuche ein goldener Faden existiere. Die Kommission gelangt zu dem Ergebnis, dass es überzeugende Hinweise gebe, denen zufolge das Flugzeug beim Landeanflug auf Ndola einer Attacke oder anderen Form von Bedrohung ausgesetzt war. Dabei bleibt es der Prüfung und Klärung durch weitere Untersuchungen überlassen, welche Formen und direkten Konsequenzen eine Fremdeinwirkung gehabt haben könnte.

Jenseits dieser vorsichtigen, aber dennoch höchst signifikanten Feststellung, die auf die Existenz mindestens eines weiteren Flugzeuges im Luftraum zum fraglichen Zeitpunkt verweist (was bislang immer als unbewiesene Vermutung galt), kam die Kommission zu weiteren bemerkenswerten Erkenntnissen. So brachte deren Spurensuche zutage, dass vor der erwarteten Ankunft der DC6 mit Dag Hammarskjöld an Bord mehrere US-amerikanische Flugzeuge nach Ndola beordert waren. Seinerzeit wurde bereits der Funkverkehr durch die National Security Agency (NSA) weltweit überwacht und aufgezeichnet. Es war deshalb davon auszugehen, dass die US-Präsenz dem Mitschnitt des lokalen und regionalen Funkverkehrs diente und somit auch die letzten Meldungen von Bord der Maschine des UN-Generalsekretärs aufzeichnete. So vermutete die Kommission erkenntnisrelevante Informationen durch die Sichtung dieser Protokolle.

Eine entsprechende Anfrage an das Archiv der NSA an der George-Washington-Universität wurde hingegen abschlägig beschieden. Die entsprechenden Dokumente (deren Existenz nicht geleugnet wurde), seien auch nach Ablauf der 50-jährigen Sperrfrist als höchste Geheimhaltungsstufe klassifiziert und unter Verweis auf das nationale Sicherheitsinteresse deshalb nicht zugänglich. Ein Gerichtsverfahren soll nunmehr klären, ob diese weitere Geheimhaltung auch unter dem "Freedom of Information Act" zulässig ist. Die Kommission empfiehlt, dass sich die Vereinten Nationen im Sinne der 1962 verabschiedeten Resolution erneut mit dem Fall beschäftigen, indem gezielt versucht wird, sich Zugang zu diesen Dokumenten zu verschaffen. Deren Inhalte könnten möglicherweise die entscheidenden Anhaltspunkte bieten, um zu entscheiden, ob entgegen der bislang weit verbreiteten Unfallversion eine äußere Einwirkung auf das Flugzeug zu dessen Absturz und dem Tod der 16 Menschen an Bord führte.

Der Kommissionsbericht wurde am 4. Oktober 2013 vom Sprecher der Initiativgruppe an den schwedischen Diplomaten und stellvertretenden Generalsekretär der Vereinten Nationen, Jan Eliasson, offiziell übergeben. Dieser versicherte, dass der Generalsekretär den Bericht gründlich prüfen und gegebenenfalls weitere Schritte erwägen würde. Ein Ergebnis dieser Prüfung ist noch nicht bekannt. Sollte seitens des UN-Sekretariats keine Initiative ergriffen werden, könnten immer noch einzelne UN-Mitgliedsstaaten in der Generalversammlung einen Resolutionsentwurf vorlegen, der eine Wiederaufnahme der Recherchen vorschlägt. Bei dessen Annahme würde endlich der Teppich gelüftet, unter dem seit über einem halben Jahrhundert Dreck vermutet werden darf. Ungeachtet des Ausgangs dieser Initiative bleibt zu vermerken, das trotz fünf Jahrzehnten staatlicher Verweigerung, sich der Sache erneut anzunehmen, eine Handvoll engagierter Menschen dazu in der Lage war, dem Stillschweigen ein Ende zu setzen.


Der Autor ist Senior Adviser und emeritierter Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala/Schweden und Extraordinary Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein.

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2013, S. 34 - 35
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2014