Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

MEMORIAL/117: Ende der Italienischen Kommunistischen Partei - Heimkehr zur Sozialdemokratie (G. Feldbauer)


Wie und warum die Revisionisten die Heimkehr der IKP zur Sozialdemokratie betrieben

Das geschah, um regierungsfähig zu werden

von Gerhard Feldbauer, 9. November 2014



In der bürgerlichen Geschichtsschreibung hält sich hartnäckig die Auffassung, das Ende der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) 1990 sei eine Folge der sozialistischen Niederlage in Europa gewesen. Als angeblicher Beweis wird eine Erklärung ihres letzten Generalsekretärs, Achille Occhetto, anschließend Sekretär der Partei der demokratischen Linken (PdS), angeführt, der drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer auf einer Veranstaltung in Bolognina in der Emilia Romagna offiziell die "Heimkehr zur Sozialdemokratie" ankündigte. Dieser Geschichtsrevisionismus wird zunächst durch die "Historischer Kompromiss" genannte Regierungszusammenarbeit der IKP mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (DC) unter Enrico Berlinguer (1973 bis 1979) widerlegt.


Beginn mit dem Compromesso stòrico

Schon in dieser Zeit weichten die Revisionisten unter dem Einfluss des sogenannten Eurokommunismus die kommunistische Identität der Partei auf, um sie in eine sozialdemokratische umzuwandeln. Für die von der DC in Aussicht gestellte Aufnahme in die Regierung und - die niemals eingehaltenen - Versprechen, gewisse soziale und ökonomische Reformen einzuleiten, wurden fundamentale Klassenpositionen aufgegeben. Auf der Grundlage der "Spielregeln der bürgerlichen Demokratie" und ihrer Integration in deren Parteiensystem proklamierte die IKP einen eigenen "Weg zum Sozialismus", anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft und forderte lediglich eine "demokratische Transformation" des bürgerlichen Staatsmodells. Die IKP erklärte, nicht nur die "Bündnisverpflichtungen" Italiens zu respektieren, sondern verstieg sich zu dem absurden Bekenntnis, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus ("Corriere della Sèra", 15. Juni 1976). Mitten im Kalten Krieg und der Blockkonfrontation bezog die IKP Position für die von den USA geführte NATO und damit gegen den ihr gegenüberstehenden Warschauer Pakt und seine kommunistischen und Arbeiterparteien. Es wurde völlig ignoriert, dass NATO und CIA nach 1945 die Drahtzieher aller faschistischen Putschversuche in Italien waren, mit denen die IKP und die Linke als politisch einflussreiche Kräfte ausgeschaltet werden sollten. Es gehörte zur Tragödie des Compromesso stòrico, dass er dann von genau den Kräften, die den "Schutzschild" eines italienischen Sozialismus bilden sollten, zu Fall gebracht wurde.


An Gorbatschow orientiert

Weitere Wurzeln dieses Werdeganges liegen in den Ereignissen der 1980er Jahre. Berlinguer hatte den Revisionisten noch bestimmte Grenzen gesetzt. Nach seinem unerwarteten Tod nach einem Herzinfarkt am 11. Juni 1984 verfügte die Partei über keine Führerpersönlichkeit von Format mehr. Unter dem Einfluss Gorbatschows, der 1985 das Amt des Generalsekretärs der KPdSU antrat, setzten sich die Revisionisten endgültig als die Partei allein beherrschende Fraktion durch. Bereits auf dem IKP-Kongress 1986 schlug Berlinguers Nachfolger, Alessandro Natta, den Sozialisten vor, sich mit den Kommunisten zu einer neuen linken Partei zu vereinigen. Der korrupte ISP-Chef Craxi, der seine Partei 1992 in den Untergang trieb, lehnte jedoch ab. Der sozialdemokratische Kurs verstärkte sich, als Achille Occhetto im Mai 1988 als Generalsekretär an die Spitze der IKP trat. Italien erlebte das Phänomen, dass seine kommunistische Partei, die besonders seit den 1970er Jahren ihre Unabhängigkeit von Moskau betont, jegliche Führerrolle oder Übernahme sowjetischer Erfahrungen abgelehnt und 1982 gegenüber der KPdSU auch offiziell den "strappo" (Bruch) verkündet hatte, plötzlich "moskauhörig" wurde und sich völlig am Kurs Gorbatschows orientierte. Unmittelbar nach seiner Wahl kündigte Occhetto den für März 1989 einberufenen Kongress als "Parteitag der Wende" an. Dessen Leitfigur war dann Gorbatschow, auf den sich Occhetto bereits in seiner Eröffnungsrede zehnmal als Hoffnungsträger berief. Die auf Video übermittelte Rede des KPdSU-Generalsekretärs wurde von der sozialdemokratischen Strömung, welche die Mehrheit der Delegierten stellte, stürmisch gefeiert. In seinen Beschlüssen erklärte der Kongress einen "riformismo forte" (tief greifenden Reformismus) zur "Leitlinie der Partei". Occhetto erhielt bei seiner Wiederwahl nur zwei Gegenstimmen. Selbst die kommunistische Strömung, die im neuen Zentralkomitee acht Sitze belegte, stimmte für ihn. Der ISP schlug Occhetto vor, die DC-Regierung zu verlassen und mit der IKP eine Reformkoalition zu bilden. Craxi lehnte allerdings postwendend ab.

Im Dezember 1989 präzisierte Occhetto, wie der "Bruch mit der Vergangenheit" vor sich gehen sollte. In der "Unità" wandte er sich gegen die "Front des Nein", welche die "konstituierende Phase einer neuen Formation", wie die Umwandlung in eine sozialdemokratische Partei genannt wurde, nicht mitmachen wollte und für eine "Erneuerung" eintrat. "Eine Erneuerung der IKP reicht nicht mehr aus", erklärte Occhetto. Gleichzeitig versuchte er zu beruhigen. Es gehe nicht "um die Selbstauflösung der IKP, sondern um "die Konstruktion einer neuen, demokratischen, politischen Formation des Volkes - reformerisch, offen für progressive laizistische und katholische Komponenten, Interpretin der neuen Fragen aus der Welt der Arbeit und der Kultur als auch aus den Bewegungen der Jugend und der Frauen, aus der Umweltbewegung, dem Pazifismus und der Bewegung für Gewaltlosigkeit". Occhetto versicherte, die Kommunisten würden "mit ihrem ideellen, organisatorischen und politischen Erbe Initiatoren dieser neuen Formation sein" ("Unità", 24. Dezember 1989). Der heutige Staatspräsident Georgio Napolitano, als langjähriges Politbüromitglied seit den 1970er Jahren aktiver Verfechter des reformistischen Kurses, bekannte zwei Wochen später, es gehe mit der Umwandlung darum, einer "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen" "Unità", 8. Januar 1990).


Beispiel Bad Godesberg

Wie das vor sich gehen sollte, bewiesen die weiteren Schritte. Im Auftrag Occhettos arbeitete der Wirtschaftswissenschaftler Michele Salvati, der niemals der IKP angehört hatte, das "programmatische Manifest" der neuen Partei aus. Er hielt engen Kontakt zur SPD, orientierte sich an deren Godesberger Programm und schrieb u. a. folgende Leitsätze nieder: "Die Kapitalisten und die Unternehmer erfüllen eine Aufgabe von öffentlichem Nutzen" und "das Privateigentum an Produktionsmitteln spielt im Kontext des Wettbewerbs eine fundamentale Rolle von allgemeinem Interesse" (Paolo Ciofi: Passaggo a sinistra, Messina 1995). In nicht wenigen Punkten übertraf der Kongress, der am 31. Januar 1991 in Rimini zusammentrat, um die IKP zu liquidieren, dann noch Bad Godesberg. So auch als er selbst auf die Vokabeln "sozialistisch" oder "sozialdemokratisch" in dem neuen Parteinamen verzichtete und die Nachfolgepartei der IKP sich schlicht Demokratische Partei der Linken (PdS) taufte. Salvati betonte ausdrücklich die Orientierung am Godesberger Programm, das "in den vergangenen 30 Jahren sehr gut standgehalten" habe. Occhetto selbst schrieb Willy Brandt als damaligem Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale einen Brief, in dem er die Bedeutung der "Erfahrungen der Sozialdemokratie", die "trotz Begrenzungen und Schwierigkeiten von substanziellen Errungenschaften an Wohlstand und Kultur gekennzeichnet" seien, für die Umwandlung der IKP hervorhob. ISP-Chef Craxi zitierte die lobenden Ausführungen süffisant in seinem Bericht an den 46. Parteitag im Juni 1991 (Documenti del 46' Congresso del PSI, Rom 1992, S. 43).


Verheerende Folgen

In Rimini hatten die "Heimkehrer" sich noch auf Gramsci berufen und an die progressiven Traditionen der italienischen Sozialisten anknüpfen wollen. Stattdessen warf die opportunistische Führung in den folgenden Jahren alles, was noch an kämpferischem sozialistischem Erbe existierte, über Bord. 2007 spalteten sich die Linksdemokraten und eine Mehrheit fusionierte mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zur heutigen Demokratischen Partei (PD), deren Sekretär seit 2013 der frühere rechte Christdemokrat Matteo Renzi ist, der als Rottamatore (Verschrotter) die restliche noch aus der IKP stammende Führungsschicht aus der PD vertrieb und mit linken Position radikal aufräumte.

Da die Gegner der Liquidierung der IKP sich nicht mit deren opportunistischem Erbe auseinandersetzten, kam es zu Spaltungen, in deren Ergebnis heute drei kommunistische Parteien existieren: die 1991 entstandene Partei der Rifondazione Comunista (PRC), die 1998 von ihr abgespaltene Partei der Kommunisten Italiens (PdCI) und 2006 eine weitere Abspaltung in Gestalt der trotzkistischen Kommunistischen Arbeiterpartei (PCL). Bei den Wahlen 2008 fielen die Kommunisten, die 1976 von zwölf Millionen Italienern (34 Prozent) gewählt wurden, unter die Vier Prozent-Sperrhürde und sind seitdem nicht mehr im Parlament vertreten. Einzig die PdCI bekennt sich heute zu Marx, Lenin und Gramsci und tritt für die Wiederherstellung einer einheitlichen kommunistischen Partei ein.

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang