afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2016
Tod in Ndola auf Wiedervorlage
Neue Untersuchungen im Fall Hammarskjöld durch die UNO
von Henning Melber
In der Nacht vom 17./18. September 1961 zerschellte ein Flugzeug beim Landeanflug vor Ndola aus bislang ungeklärten Gründen.
Die Minenstadt im Kupfergürtel des damaligen Nordrhodesien (heutigen Sambia) war vereinbarter Treffpunkt für ein Gespräch zwischen Moïse Tshombé und dem schwedischen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Tshombé hatte mit Unterstützung Belgiens die Sezession der ressourcenreichen Provinz Katanga vom Territorium der Republik Kongo erklärt. Mit Hammarskjöld starben auch alle 15 anderen Personen an Bord des Flugzeugs. Katanga ist seither von großer strategischer Bedeutung und weiterhin ein Konfliktherd geblieben.
Nach über einem halben Jahrhundert, während dem die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien, aber auch sehr viel glaubwürdigere Verdachtsmomente kursierten, es könnte sich bei dem Absturz nicht um menschliches Versagen der Piloten gehandelt haben, führte die Privatinitiative einer Handvoll Individuen zur Vorlage eines neuen Berichts unabhängiger Juristen (siehe dazu die Artikel in afrika süd 3/13 und 6/13 [1]). Er präsentierte neue Erkenntnisse zur Rechtfertigung einer Wiederaufnahme der Untersuchungen. Anfang Oktober 2013 wurde er UN-Generalsekretär Ban Ki-moon überreicht.
Nach Prüfung der vorgelegten Ergebnisse gelangte dieser im März 2014 zum Schluss: Es gebe hinreichend Gründe, die Frage nach den Ursachen des Flugzeugabsturzes wieder offiziell neu zu untersuchen. Er leitete den Bericht der unabhängigen Kommission an alle UN-Mitgliedsstaaten mit der Empfehlung weiter, die Generalversammlung möge die Prüfung einer neuerlichen Untersuchung aufgrund, der präsentierten Erkenntnisse und Empfehlungen beschließen. Dieses Vorgehen rechtfertigte sich durch den Umstand, dass die erste nach dem Absturz verabschiedete Resolution im Jahre 1962 ausdrücklich feststellte, im Falle neuer Erkenntnisse könne die Generalversammlung das Verfahren wieder aufnehmen.
Eine solche Entschließung bedurfte allerdings der Antragstellung eines Mitgliedsstaates und der Annahme durch die Generalversammlung. Mitte 2014 lehnte das konservative Regierungsbündnis in Schweden eine solche Initiative jedoch ab. Aus dessen Sicht bestand kein Handlungsbedarf, und kein anderes Mitgliedsland der Vereinten Nationen war unter Inkaufnahme des Verstoßes gegen ein ungeschriebenes diplomatisches Gesetz bereit, stattdessen aktiv zu werden. So sah es vorübergehend danach aus, als ob die Initiative trotz der Unterstützung durch Ban Ki-moon scheitern könnte. Mit dem Regierungswechsel Ende September 2014 in Schweden änderte sich dies.
Die neu gewählte Koalitionsregierung der Sozialdemokraten und Grünen präsentierte binnen weniger Wochen der Generalversammlung einen Entschließungsantrag, der den Empfehlungen Ban Ki-moons zur Einsetzung einer Expertengruppe folgte, um die Glaubwürdigkeit des unabhängigen Berichts zu prüfen. Im Dezember 2014 wurde der Antrag mit Unterstützung 55 anderer Staaten zur Abstimmung vorgelegt und ohne Gegenstimme angenommen. Daraufhin ernannte Ban Ki-moon eine dreiköpfige Expertengruppe unter Leitung des tansanischen Obersten Richters Mohamed Chande Othman. Diese sollte binnen zehn Wochen von April bis Mitte Juni 2015 die im ursprünglichen Bericht präsentierten Verdachtsmomente untersuchen.
Während der im Juni 2015 vorgelegte Bericht einige der Hypothesen der unabhängigen Juristenkommission als wenig wahrscheinlich zurück wies, kam er zu einer entscheidenden Schlussfolgerung: Demnach gäbe es hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich möglicherweise beim Anflug der verunglückten Maschine ein zweites Flugzeug in unmittelbarer Nähe befand und eine Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen werden könne. Die Kommission deckte auch auf, dass der von Hammarskjöld für die vertrauliche Kommunikation benutzte Code seiner Chiffriermaschine durch eine gezielte Indiskretion des Herstellers der Technologie vom britischen und amerikanischen Geheimdienst dechiffriert werden konnte und diese somit stets über die Pläne des damaligen UN-Generalsekretärs direkt informiert waren.
Tatsächlich blieb der Expertengruppe der Zugang zu - weiterhin einer höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegenden - damaligen Dokumenten der britischen und US-amerikanischen Geheimdienste verwehrt. Die Kommission empfahl daher, mit der vollständigen Aufklärung der Vorgänge sollten sich die Vereinten Nationen befassen. Diese sollten die Bemühungen zur Einsicht in bislang klassifizierte Schriftstücke durch damit von der Weltorganisation Beauftragte fortsetzen.
Ban Ki-moon reagierte unmittelbar, indem er den Bericht an den Präsidenten der Generalversammlung weiterleitete und darauf hinwies, es gebe möglicherweise immer noch unbekanntes Material im Besitz Großbritanniens und der USA. Dessen Existenz mache eine weitere Untersuchung nötig, um die Fakten zu ermitteln.
Damit hatte das Thema weltweit öffentliches Interesse erlangt, dem sich auch zahlreiche etablierte Medien annahmen. So veranlasste dies einen Journalisten der New York Times in einem Artikel am 10. Juli 2015 zu der Frage, was wohl so wichtig sein könne, dass es ein weiteres beharrliches Schweigen durch die Geheimdienste rechtfertige. Auch fragte er, ob die letzten von Hammarskjöld abgesetzten internen Übermittlungen nicht andeuteten, dass im Falle der geplanten Unterredung mit Tshombé die Geschichte Afrikas eine ganz andere Wendung hätte nehmen können. Die BBC belegte die Ausspionierung Hammarskjölds und zahlreicher Präsidenten der unabhängigen Staaten Afrikas durch weitere Recherchen in einem Artikel vom 28. Juli 2015. Danach befragt verteidigte ein Sprecher Großbritanniens die damalige Praxis mit dem Argument, die möglichen offenen Feindseligkeiten mit dem sowjetischen Block hätten solche Maßnahmen Großbritanniens und der USA sowie ihrer Bündnispartner erfordert.
Sowohl die britische wie auch die US-Regierung reagierten auf weitere Anfragen ausweichend und boten keine Anhaltspunkte für die vermutete Existenz unbekannter Dokumente, die weitere Einzelheiten zum Absturz des Flugzeugs beitragen könnten. Stattdessen initiierte Ban Ki-moon die Einrichtung eines zentralen Archivs, in dem alle relevanten Dokumente gesammelt werden sollen, zu denen dann möglicherweise nur eine dazu beauftragte Person von eminenter Wichtigkeit Zugang hätte, um weitere Ermittlungen voranzutreiben.
Am 13. November 2015 folgte die schwedische Regierung erneut Ban Ki-moons Vorschlag und legte der Generalversammlung einen Resolutionsentwurf vor. Zu den nunmehr 74 anderen Staaten, die diesen unterstützten, zählten auch Belgien, Deutschland, Frankreich und Russland. Der am 19. November 2015 einhellig angenommene Antrag appellierte an die Mitgliedsstaaten, alle in ihrem Besitz befindlichen Dokumente zugänglich zu machen. Der schwedische UN-Botschafter erklärte, es sei ein bemerkenswerter Kontrast, wieviel zu Hammarskjölds Leben und Wirken bekannt sei und wie wenig zu den Umständen seines Todes.
Am 30. März 2016 hielt Ban Ki-moon in Stockholm die jährliche Dag Hammarskjöld-Rede. "Es gibt eine Sache", führte er darin aus, "die ein Geheimnis bleibt: die Umstände, die zu seinem Tod und dem derjenigen in seiner Begleitung führten." Und er forderte erneut die Mitgliedsstaaten im Besitz von Geheimdienstberichten oder anderem Material dazu auf, diese zugänglich zu machen. "Wir müssen alles versuchen, um schließlich die Fakten zu ermitteln und ein für allemal auf den Grund der Dinge zu kommen", beharrte er. Im August 2016 schlug er vor, die UN-Generalversammlung solle einen neuerlichen Beschluss fassen, der den Generalsekretär mit der Berufung einer Person von eminenter Bedeutung beauftragt, um die Untersuchungen fortzuführen.
Nun wird darüber spekuliert, welches Kaliber eine solche Person haben soll und inwiefern diese erreichen könnte, was bisher trotz aller Bemühungen keine Ergebnisse zeitigte. Dass es diese Bemühungen tatsächlich erneut gibt, war eine nicht zu erwartende Wendung, zu der die ursprüngliche Privatinitiative geführt hatte. Insofern ist es ein an sich bereits bemerkenswertes Faktum, dass eine Handvoll Privatpersonen eine solche Reaktion seitens der Vereinten Nationen erreichen konnten. Doch ob es außer berechtigten Zweifeln an den vorgeblichen Unglücksursachen künftig doch noch tatsächlich handfeste neue Beweise für einen von außen herbeigeführten Absturz des Flugzeugs geben wird, bleibt abzuwarten und scheint fraglich.
Die bis vor kurzem weithin akzeptierte Version, es hätte sich um Fehler der Piloten gehandelt, wird mittlerweile mit wachsender Skepsis hinterfragt. Selbst wenn der Hergang, der zum Tod Dag Hammarskjölds und der 15 anderen Menschen an Bord der Maschine führte, auch weiterhin ungeklärt bleibt, werden die Zweifel genährt, dieser sei ganz ohne Fremdeinwirkung nur einer Verkettung unglücklicher Umstände geschuldet gewesen.
Der Autor ist emeritierter Direktor der Dag Hammarskjöld-Stiftung,
Extraordinary Professor an der Universität Pretoria und der
Universität des Freistaats in Bloemfontein.
[1] Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Die Artikel finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick → Infopool → Geisteswissenschaften →
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völkerrechtlichen Kontext.
REZENSIONEN
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2016, S. 36-37
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2017
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