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MEMORIAL/174: Im November/Dezember 1942 wurde die Armata Italiana in Russia am Don vernichtet (Gerhard Feldbauer)


Im November/Dezember 1942 wurde die Armata Italiana in Russia (ARMIR) am Don vernichtet

Sie beförderte sieben Monate später Mussolinis Sturz

von Gerhard Feldbauer, 9. Dezember 2017


Die Niederlage des deutsch-italienischen Afrikakorps unter Feldmarschall Rommel bei El Alamein im Oktober/November 1942 und die folgende Niederlage der Hitlerwehrmacht im Januar 1943 bei Stalingrad leiteten die Krise des Faschismus in Italien ein. Weniger bekannt ist, dass dazu der Untergang der italienischen 8. Armee, der sogenannten Armata Italiana in Russia (ARMIR), auch als Ostarmee bekannt, im November/Dezember 1942 beitrug.

Hatte sich Mussolini beim Überfall auf Polen noch einer Teilnahme entziehen können, musste er nach Beginn der Aggression gegen die UdSSR gemäß dem "Stahlpakt" nun Hilfsdienste leisten. Der "Duce" schickte zunächst drei Divisionen an die Ostfront, die im Sommer 1942 um weitere acht (Hitler hatte 20 gefordert) zur 8. Armee, der ARMIR, auf etwa 230.000 Mann aufgestockt wurden. Die italienischen Truppen sollten die schweren deutschen Verluste in der Schlacht vor Moskau und beim Vordringen auf Stalingrad ausgleichen. Zusammen mit den Satelliten-Verbänden aus Ungarn und Rumänien hatte die ARMIR im Bestand der Heeresgruppe B am Don einen 270 Kilometer breiten Frontabschnitt zu halten. An dem für ihre Personalstärke viel zu großen Abschnitt traf sie die volle Wucht der zur Entlastung der Stalingrader Front am 19. November 1942 einsetzenden sowjetischen Gegenoffensive am Don. Als die Reste der 6. deutschen Armee von Paulus zwischen dem 31. Januar und dem 2. Februar 1943 im Kessel von Stalingrad kapitulierten, hatte die ARMIR schon vorher deren Schicksal ereilt. Sie wurde zwischen dem 11. und 22. Dezember bei eisiger Kälte in die verschneite Donezsteppe getrieben, dort eingekesselt und größtenteils vernichtet. In der seit August 1942 tobenden Schlacht zwischen Don und Wolga erlitt die Hitlerwehrmacht eine vernichtende Niederlage, welche die Wende im Zweiten Weltkrieg einleitete. Sie verlor 32 komplette Divisionen und drei Brigaden, außerdem Verbände von 5 Armeen und eine große Zahl selbständiger Truppenteile.

Kriegsentscheidende Auswirkung in Italien

Auf Italien wirkte sich die Niederlage unter mehreren Aspekten kriegsentscheidend aus. Um die eigenen Verluste zu begrenzen, hatte das Oberkommando der Wehrmacht das italienische Hilfskorps an der Ostfront rücksichtslos verheizt. Der italienische Generalstab, in dessen Kreisen Offiziere mit Marschall Pietro Badoglio an der Spitze ernsthaft erwogen, aus der faschistischen Achse auszubrechen, verfasste dazu einen Bericht. Er besagte, dass die Wehrmacht die Italiener während des schrecklichen Rückzuges in der verschneiten Steppe erbarmungslos ihrem Schicksal überließ, dass die deutschen "Verbündeten" den Italienern "stets jegliche Hilfe versagten, sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge bemächtigten, unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurückließen". Der Bericht, der unter Soldaten und Offizieren bekannt wurde, steigerte die latent vorhandenen antideutschen Ressentiments zum regelrechten Hass auf die deutschen "Verbündeten" und gab antifaschistischen Stimmungen Auftrieb. Der verlorengegangene Mythos von der "Unbesiegbarkeit" der Hitlerwehrmacht führte unter Trägern der faschistischen Diktatur Italiens zu ersten Erkenntnissen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und verstärkte die Suche nach einem Ausweg.

Sondierungen über einen Bruch mit Hitler

Bereits im Vorfeld der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad hatte Marschall Pietro Badoglio, der sich 1940 gegen den Kriegseintritt Italiens ausgesprochen hatte und danach am 6. Dezember als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten war, Ende November 1942 in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen der Eisen- und Stahlindustrie, Enrico Falk, an einem Treffen von Großindustriellen, Vertretern der faschistischen Partei und der bürgerlichen Opposition mit dem führenden Christdemokraten Alcide De Gasperi teilgenommen. Danach kam es zu ersten Sondierungen mit Washington und London über einen Bruch mit Hitler.

Selbst Mussolini äußerte am 1. Dezember 1942, wie Andreas Hillgruber in seinem Buch "Von El Alamein bis Stalingrad" (München 1964) schrieb, gegenüber Göring bei dessen Besuch in Rom, "dass auf die eine oder andere Weise das Kapitel des Krieges gegen Russland, der keinen Zweck mehr hat, abgeschlossen werden müsse", um die Kräfte für den Kampf gegen die Angloamerikaner im Westen zu gewinnen. Außenminister Graf Galeazzo Ciano, der Schwiegersohn des "Duce", flog am 18./19. Dezember 1942 ins Führerhauptquartier "Wolfsschanze" und übermittelte Hitler den Standpunkt des "Duce", ob es zur Vermeidung eines Zweifrontenkriegs nicht möglich sei, mit Russland zu einer Lösung "neuer Brest-Litowsk-Friede" zu kommen, um größere Truppenmengen von der Ostfront abziehen zu können. Hitler lehnte kategorisch ab und entgegnete, das strategische Hauptziel bleibe, "den bolschewistischen Koloss zu zerschlagen".

Palastrevolte stürzt den "Duce"

Während sich Mussolini Hitler fügte, schritten die Palastverschwörer zur Tat und stürzten am 26. Juli 1943 den "Duce". Unter ihnen befand sich Ciano, der seine Teilnahme an dem Staatsstreich mit dem Leben bezahlte. Nachdem er den Deutschen in die Hände gefallen war, lieferte ihn Hitler an Mussolini aus, der seinen Schwiegersohn, obwohl er sich von der Palastrevolte distanzierte, am 11. Januar 1944 hinrichten ließ. Entscheidende Triebkraft der Verschwörer war die Furcht, der von Kommunisten und Sozialisten dominierte antifaschistische Widerstand könnte Mussolini in einem Volksaufstand stürzen. König Vittorio Emanuele III., der sich der Palastrevolte anschloss, beauftragte Badoglio mit der Bildung einer neuen Regierung, die mit den Alliierten einen Waffenstillstand schloss und mit der Kriegserklärung an Deutschland am 13. Oktober 1943 auf die Seite der Antihitlerkoalition übertrat. Der auf dem Gran Sasso gefangengesetzte Mussolini wurde von einem SS-Kommando unter Sturmbannführer Otto Skorzeny befreit und bildete unter dem Besatzungsregime der Wehrmacht ein Marionettenregime, das bis fünf Minuten nach zwölf Hitlerdeutschland in den Untergang folgte.

Der Stahlpakt

Am 22. Mai 1939 unterzeichneten die Außenminister Deutschlands und Italiens, Joachim Rippentrop und Graf Galeazzo Ciano, in Anwesenheit von Hitler in Berlin einen "Stahlpakt" genannten "Freundschafts- und Bündnisvertrag". Der am 12./13.März erfolgte deutsche Einmarsch in Österreich, das Mussolini als Sprungbrett auf seine Einflusssphäre, den Balkan, betrachtete, hatte die Beziehungen erneut schwer belastet. Der "Führer" wollte mit dem Pakt demonstrativ die Festigkeit des Bündnisses zwischen beiden faschistischen Regimes unter Beweis stellen. Mussolini kam zu der feierlich aufgezogenen Zeremonie jedoch nicht nach Berlin. Gut drei Monate vor dem Überfall auf Polen, mit dem Hitler den bereits geplanten Zweiten Weltkrieg vom Zaune brach, legte das Abkommen unter Bezug auf die 1936 vereinbarte Achse Berlin-Rom automatisch die gegenseitige Beistandspflicht fest, falls der jeweils andere - ganz gleich aus welchen Gründen - "in kriegerische Verwicklungen mit einer anderen Macht" (Artikel III) gerate. Mussolini machte in einer Note geltend, militärische Konflikte in Europa bis 1943 unbedingt zu vermeiden, da Italien darauf nicht vorbereitet sei. Trotz der festgelegten militärischen Absprachen, informierte Hitler Mussolini über den bevorstehenden Überfall auf Polen erst kurz vor Beginn. Der "Duce" lehnte dann eine Teilnahme am Überfall auf Polen ab. In Wahrheit ging es um die unterschiedlichen Kriegsziele. Während der "Führer" »Lebensraum im Osten« erobern wollte, ging es Mussolini um die Vorherrschaft Italiens im Mittelmeerraum und die Eroberung von Kolonien in Afrika.


Ausführlich zum Thema siehe Gerhard Feldbauer: "Die Resistenza. Italien im II. Weltkrieg". Papyrossa, Köln 2014.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2017

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