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MEMORIAL/217: Vor 130 Jahren wurde Ho Chi Minh geboren - der legendäre "Vater der Revolution" Vietnams (Gerhard Feldbauer)


Vor 130 Jahren wurde Ho Chi Minh geboren - Eine legendäre Führerpersönlichkeit, wie es nur wenige gab

Er war der Gründer der Kommunistischen Partei, der Organisator des nationalen Befreiungskampfes, Vater der Revolution und der Wiederherstellung des Staates der nationalen Unabhängigkeit

Von Gerhard Feldbauer, 26. April 2020



Foto: Do Manh Hung, Public domain, via Wikimedia Commons

19. August 1945 - Aufständische der Augustrevolution in Hanoi
Foto: Do Manh Hung, Public domain, via Wikimedia Commons

Im August dieses Jahres werden wir den 75. Jahrestag des Sieges der Augustrevolution, mit der die ein Jahrhundert vorher in Vietnam errichtete französische Kolonialherrschaft beseitigt und am 2. September die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam (DRV), des Staates der Wiederherstellung der nationalen Unabhängigkeit, vorbereitet wurde, begehen. Der Sieg der vietnamesischen Revolution hatte eine herausragende nationale und internationale Bedeutung. Es war die erste siegreiche nationale Befreiungsrevolution in einem kolonial unterjochten Land, die unter Führung der Arbeiterklasse mit ihrer kommunistischen Partei an der Spitze erfolgte. Diese Partei hatte es verstanden, im Kampf gegen das Kolonialregime und für die nationale Befreiung in Gestalt der legendären Viet Minh ein im wahrsten Sinne des Wortes breites nationales Bündnis zu schaffen, das bis zu Kräften der nationalen Bourgeoisie reichte und selbst Angehörige der Notabeln und Mandarine, also des niederen und höheren Feudaladels, einschloss.

Diese Revolution verwirklichte Schritt für Schritt die soziale Befreiung in der einzig möglichen Form, des Übergangs zur sozialistischen Revolution. Sie verstand sich zu verteidigen, was hieß, dass sie dem Versuch des französischen Imperialismus, Vietnam erneut seinem Kolonialjoch zu unterwerfen, im neuen sechsjährigen Befreiungskampf (1946-1954) erfolgreich abwehrte. Als die USA 1956 die Nachfolge Frankreichs antreten und über Vietnam ihre neokoloniale Herrschaft errichten wollten, brachte die DRV der größten westlichen Militärmacht 1975 in der letzten Schlacht um Saigon eine noch vernichtendere Niederlage bei. Von Anfang an übte die vietnamesische Revolution einen entscheidenden Einfluss auf den nationalen Befreiungskampf in Asien, Afrika und Lateinamerika aus. Diese Revolution bewirkte den weltweiten Beginn des Zerfalls des alten imperialistischen Kolonialsystems.


Foto: Unknown (picture captured by US Army personnel) / Public domain via Wikimedia Commons

9. Oktober 1954 - junge Viet-Minh-Kämpfer bei einer Siegesparade in den Straßen Hanois
Foto: Unknown (picture captured by US Army personnel) / Public domain via Wikimedia Commons

"Vater der Revolution"

Die siegreiche nationale und sozialistische Revolution Vietnams ist untrennbar mit Ho Chi Minh verbunden, den man deshalb den "Vater der Revolution" nennt. Und so ist es eine glückliche Fügung, dass sein Geburtstag vor 130 Jahren am 19. Mai 1890 Anlass gibt, seinem Leben und Werk für den nationalen Befreiungskampf bereits jetzt einen Beitrag zu widmen.

Ho Chi Minh, auf vietnamesisch "der weise Gewordene", ist das bekannteste von mehreren seiner Pseudonyme. Er führte es seit den dreißiger Jahren und behielt es bis zu seinem Lebensende. Geboren wurde er am 19. Mai 1890 in dem Dorf Hoang Tru in Mittelvietnam als Sohn einer patriotischen Gelehrtenfamilie. Der Vater Nguyen Sinh Sac war ein bekannter konfuzianischer Gelehrter, der als Beamter am kaiserlichen Hof in Hue diente, zum Kreischef der Küstenprovinz Binh Dinh und zum Mandarin erhoben wurde. 1900 starb seine Mutter. Ab 1905 besuchte er das Gymnasium in Hue und leistete für patriotische Gelehrte illegale Kurierdienste. 1910 wurde er deswegen von der Schule verwiesen. Auch der Vater wurde abgesetzt. Der Grad des Mandarins wurde ihm aberkannt.

Ho Chi Minh verließ 1911 Vietnam. Ab 1913 bis 1919 arbeitete er als Schiffskoch, Matrose und Transportarbeiter auf französischen und britischen Schiffen, lebte einige Zeit in Großbritannien und hielt sich mehrfach in den USA auf, wo er sich auch als Tellerwäscher durchschlug. Danach siedelte er nach Frankreich über, wo sein Weg zum Kommunisten beginnt.


Foto: © by Irene Feldbauer

Ho Chi Minh 1951 in den befreiten Gebieten von Viet Bac - Postkarte aus Vietnam aus dem Archiv des Journalistenteams Irene und Gerhard Feldbauer
Foto: © by Irene Feldbauer

"Der Weg, der mich zum Leninismus führte"

In Frankreich waren vietnamesische Emigranten, zumeist Intellektuelle und Matrosen, bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Klassenkampf des Proletariats und seinen Zielen und dabei mit den Lehren des Sozialismus in Berührung gekommen. Ihre Zahl stieg sprunghaft an, als während des Krieges fast 100.000 Vietnamesen für den Dienst in der französischen Armee oder für die Arbeit in der Rüstungsindustrie rekrutiert und nach Frankreich verbracht wurden. Viele von ihnen traten in die Gewerkschaften, linke Jugend- und Studentenorganisationen ein, nicht wenige auch in die sozialistische und später die kommunistische Partei. Frühzeitig gingen die meisten auf Distanz zur Politik der sozialistischen Parteiführung und damit zu den Parteien der II. Internationale.

Keiner von ihnen wusste wohl zu dieser Zeit etwas von Lenins Schriften über den Opportunismus und seine verheerenden Auswirkungen in den sozialistischen Parteien. Aber sie erkannten, dass deren Führungen, aber auch ein Teil der Mitglieder, die Politik ihrer Regierungen der Ausbeutung und Unterdrückung der Kolonialvölker billigten bzw. sie auch unterstützten. Vom Marxismus wussten die vietnamesischen Emigranten meist wenig. Diejenigen, die sich nach und nach zum Marxismus-Leninismus und zur Kommunistischen Internationale (KI) bekannten, gingen diesen Weg unter dem Einfluss der Oktoberrevolution und der Haltung Lenins zur kolonialen Frage.

Ho selbst hat dazu in der ihm eigenen Einfachheit und Ehrlichkeit 1960 in einem Beitrag für die Juli-Ausgabe des Pariser "Echo du Vietnam" unter dem Titel "Der Weg, der mich zum Leninismus führte" geschrieben, dass er die Frage, welche Internationale den Kampf der unterdrückten Völker unterstütze, in einer Versammlung der Sozialisten stellte. "Einige Genossen antworteten: Die Dritte Internationale und nicht die Zweite! Ein Genosse gab mir die Thesen Lenins über das Problem der Nationalitäten und der Kolonialvölker zu lesen, die die 'Humanité' veröffentlicht hatte. In diesem Buch gab es politische Ausdrücke, die ich nur schwer verstand. Indem ich sie aber las und immer wieder las, begriff ich schließlich den Sinn. Lenins Gedanken bewegten mich stark, und ich war begeistert. Ein großes Vertrauen half mir, die Probleme klar zu sehen. Meine Freude war derartig, dass mir manchmal Tränen in die Augen traten. Allein in meinem Zimmer, rief ich aus, als stünde ich vor einer großen Volksmenge: 'Liebe Landsleute, Unterdrückte und Elende! Hier ist, was wir brauchen, hier ist der Weg zu eurer Befreiung!' Von nun an hatte ich absolutes Vertrauen in Lenin und die Dritte Internationale."


Foto: Agence de presse Meurisse [Public domain] via Wikimedia Commons

Nguyen Ai-Quoc - später Ho Chi Minh - 1921 in Marseille bei einem Kongreß französischer Kommunisten als Delegierter Indochinas
Foto: Agence de presse Meurisse [Public domain] via Wikimedia Commons

Mitbegründer der Französischen Kommunistischen Partei (FKP)

Schon bald nach seiner Ankunft in Frankreich wurde Ho Chi Minh politisch aktiv. Während er sich als Fotograf und mit anderen Gelegenheitsarbeiten durchs Leben schlug, arbeitete er für die "Humanité" und "La Vie ouvrière", die Zeitung der Confédération générale du travail - CGT (des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes), für die er zahlreiche Beiträge zum antikolonialen Widerstand schrieb. Er lernte den Enkel von Karl Marx, Jean Longuet, kennen, in dessen Zeitung "Populaire" er ebenfalls publizierte. Bald gründete er eine eigene Zeitung, das Wochenblatt "Le Paria", in dem er scharf die französische Kolonialpolitik attackierte. Die auch in Indochina verbreitete Zeitung widmete sich gleichzeitig der sozialistischen Bildungsarbeit. Aufsehen unter den vietnamesischen Emigranten erregte Ho, der zu dieser Zeit seinen Namen Nguyen Ai-Quoc noch nicht abgelegt hatte, als er während der Versailler Friedenskonferenz den Teilnehmern ein Memorandum mit der Forderung übergab, den Völkern Indochinas die Unabhängigkeit zu gewähren.

Als Vertreter der Emigranten der französischen Kolonien wird Ho im Dezember 1920 zum sozialistischen Parteitag in Tours delegiert, auf dem er mit dem die Mehrheit stellenden linken Flügel für die Konstituierung der Parti Communiste Français - PCF (Französische Kommunistische Partei) und für ihre Aufnahme in die III. Internationale stimmt. In den Jahren seiner Tätigkeit in der FKP ist Ho Chi Minh einer der fähigsten und aktivsten Experten für Kolonialfragen und Sprecher der FKP-Mitglieder aus den Kolonien. Im Juni/Juli 1924 nimmt er in Moskau am V. Weltkongress der KI teil. In seiner Rede zur kolonialen Frage fordert er von den kommunistischen Parteien der "Mutterländer", die Volksmassen der kolonial unterdrückten Völker in ihren eigenen antiimperialistischen Kampf einzubeziehen. Während seiner Moskauer Zeit ist er vielseitig tätig. Er studiert und lehrt gleichzeitig an der Universität der Völker des Ostens, arbeitet in der KI und der Bauerninternationale mit, wird Mitglied der Asiensektion der KI und Leiter ihrer Südostasienabteilung.

Sein Hauptaugenmerk gilt der Schaffung einer kommunistischen Partei in Vietnam. Er arbeitet, wie es schon zu dieser Zeit, da er zu den hervorragenden Funktionären der KI zählt, seine Art war, im Stillen, lässt seine Ideen reifen und hebt sich abzeichnende Erfolge nicht hervor, was wohl dazu beitrug, dass er von den großen Auseinandersetzungen in der kommunistischen Weltorganisation nicht erfasst wurde.


Foto: Autor unbekannt / CC BY-SA 3.0 NL (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/nl/deed.en) via Wikimedia Commons

Ein früher Weggefährte Ho Chi Minhs - Pham Van Dong, Ministerpräsident Vietnams von 1976 bis 1987 (Aufnahme vom 9. April 1972)
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Wegbereiter der Partei

Während er sich 1925 in China aufhält, bildet er in Kanton mit vietnamesischen Emigranten die Liga der Revolutionären Jugend Vietnams, die zum wichtigsten Vorläufer der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) wird. Zu seinen engsten Kampfgefährten gehört Pham Van Dong, der spätere Ministerpräsident der DRV. Als Vertreter der Komintern delegiert er Mitglieder der Jugendliga zum Studium nach Moskau, darunter an die Militärakademie der Roten Armee, sowie an die militärische Lehranstalt Huang Pu bei Kanton, an der sowjetische Militärs Offiziere der Volksbefreiungsarmee als auch der Truppen Tschiang Kai-Schecks ausbildeten. [1] Sie alle werden später in den Reihen der Roten Garden der Sowjets von Nghe Tinh [2] kämpfen. Andere Mitglieder gehen nach Vietnam, um dort bereits Basiszellen für die künftige Partei vorzubereiten.

In seiner Schrift "Der revolutionäre Weg", die 1926 erscheint, skizziert er in seiner für das Volk leicht verständlichen Sprache Grundfragen des nationalen Befreiungskampfes und die Notwendigkeit, dazu eine revolutionäre Kampfpartei zu schaffen. [3] Zwischen 1927 und 1929 befasst er sich im Auftrag des EKKI in verschiedenen Ländern Europas und Asiens mit dem Kampf nationaler Befreiungsorganisationen. Das EKKI drängt auf die Schaffung einer einheitlichen KP in Vietnam. Nach mühevoller Arbeit erreicht Ho am 3. Februar 1930, dass in Hongkong Vertreter der drei kommunistischen Organisationen Vietnams bzw. Indochinas die Vereinigung zu einer einheitlichen KP beschließen: Es sind die aus der Revolutionären Jugendliga hervorgegangene Kommunistische Partei Indochinas, die Kommunistische Partei Annams [4] und die Indochinesische Kommunistische Liga.

Da alle Organisationen mehrheitlich aus Vietnamesen bestehen, nimmt die Organisation zunächst den Namen Kommunistische Partei Vietnams an. Das Zentralkomitee nimmt seinen illegalen Sitz in Haiphong. In ihrem Programm definiert die Partei den nationalen Befreiungskampf zur Beseitigung des Kolonialregimes als seinem Charakter nach bürgerlich-demokratische Revolution, die dann aber immer spezifische vietnamesische Züge aufweist. Die Partei unterscheidet - was in den meisten KPs innerhalb der nationalen Befreiungsbewegung in dieser Zeit nicht der Fall ist - zwischen der nationalen Bourgeoisie als einem Verbündeten und der auf der Seite der Kolonialmacht stehenden Kompradorenbourgeoisie und richtete den Hauptstoß gegen die Kolonialmacht und ihre feudalen Stützen. Das EKKI nimmt auf seiner Tagung im März/April 1931 die Partei in die KI auf.

Um ihre Zuständigkeit für den nationalen Befreiungskampf in der ganzen Kolonie Indochina zu betonen, nennt sich die KPV ab Oktober 1930 Kommunistische Partei Indochinas. Zugleich wird der Sitz des Zentralkomitees nach Saigon verlegt. Als im Herbst 1930 in Zentralvietnam spontan ein Bauernaufstand ausbricht, stellt sich die junge Partei an seine Spitze.


Graphik: Indochine francaise.svg von User:Laurentleap & Io Herodotusabgeleitetes Werk Furfur / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) via Wikimedia Commons

Administrative Gliederung der Kolonie Französisch-Indochina - Laos, Kambodscha und die drei vietnamesischen Regionen Tonkin, Annam und Cochinchina
Graphik: Indochine francaise.svg von User:Laurentleap & Io Herodotusabgeleitetes Werk Furfur / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) via Wikimedia Commons

Einheitsfronterfahrungen für den VII. Weltkongress

In die Beratungen des VII. Weltkongresses der Komintern 1935 in Moskau bringt die KPI erste Erfahrungen über eine antiimperialistische Einheitsfront ein - zu dieser Zeit ein seltenes Beispiel in den nationalen Bewegungen der Kolonien. Noch während des Bauernaufstandes in Nghe Tinh und den Kämpfen um die Sowjets hatte die Partei sich auf ihrem Plenum im Oktober 1930 mit dieser Frage befasst und ein Statut für eine "Indochinesische Antiimperialistische Einheitsfront" erarbeitet. Wenn es in der Massenbewegung von 1930/31 auch über Ansätze nicht hinausging, waren die Erfahrungen der KPI auch unter internationalen Aspekten von Bedeutung und trugen in Vietnam selbst 1941 zur Formierung der Viet Minh bei. [5]

Die Sowjets von 1930/31 sind ein beredtes Beispiel, wie Ho dieser Bewegung ein spezifisches vietnamesisches Gesicht gab. Zwar wird das Beispiel der in der Oktoberrevolution geborenen sowjetischen Rätemacht erwähnt, aber die Bezeichnung "Xo Viet" gewählt. "Xo" übersetzt man aus dem vietnamesischen mit "Räte". Ihnen wird hinzugefügt "Viet". Daraus ergibt sich die Hervorhebung "Vietnamesische Räte".

Nach der Teilnahme am VII. Weltkongress der KI kehrt Ho 1938 nach China und dann nach Vietnam zurück. 1941 leitet er die Gründung der Unabhängigkeitsfront Viet Minh. Das Guomindang-Regime unter Tschiang Kai-Tscheck, das die nationale Befreiungsbewegung Vietnams unter seine Kontrolle bringen wollte, verfolgte viele Vietnamesen und verhaftete Ho Ende 1941, als er wieder in China weilte. Ende 1943 gelang ihm die Flucht und er kehrte nach Vietnam zurück, wo unter seiner Leitung der bewaffnete Befreiungskampf vorbereitet wird, der zum Sieg der Augustrevolution 1945 führt. Dazu wird am 22. Dezember 1944 in den Wäldern von Cao Bang im Nordosten eine 34 Mann zählende bewaffnete Einheit aufgestellt. Offiziell wird sie "Brigade der bewaffneten Propaganda für die Befreiung Vietnams" genannt.


Foto: Unknown author / Public domain via Wikimedia Commons

Vo Nguyen Giap in einer Aufnahme vom 11. Mai 1954
Foto: Unknown author / Public domain via Wikimedia Commons

"Sie soll die Keimzelle unserer künftigen Volksarmee werden", sagt Ho Chi Minh zu den Kämpfern. Ihr Kommandeur wird der seit den Tagen der Gründung der Partei 1930 enge Kampfgefährte, der 31jährige Lehrer Vo Nguyen Giap, der spätere Verteidigungsminister der DRV. "Vielseitig sind Eure Aufgaben", sagt Ho Chi Minh zu ihnen. "Nicht nur die Waffe müsst ihr führen können. Was nützt sie euch, wenn die Bauern nicht hinter euch stehen. Geht in ihre Hütten, überzeugt sie, dass die Stunde gekommen ist, die Heimaterde zu befreien. Seid nicht ungeduldig, wenn man euch nicht bereits am ersten Abend zustimmt." Aber Zehntausende folgen dem Ruf. Am 19. August wird Hanoi eingenommen, am 23. wird in der alten Kaiserstadt Hue die rote Fahne mit dem gelben Stern gehißt. Am 25. August dankt Kaiser Bao Dai ab und übergibt die Macht an die Vertreter der Viet Minh. Die vietnamesische Augustrevolution hat gesiegt. Am 2. September ruft Ho Chi Minh den unabhängigen vietnamesischen Nationalstaat, die Demokratische Republik Vietnam, aus.

Die neuen Kampfbedingungen führen zum Entstehen eigener Befreiungsorganisationen bzw. Parteien in Laos und Kambodscha. Davon ausgehend konstituiert sich am 19. Februar 1951 auf dem II. Parteitag die KPI als Partei der Werktätigen Vietnams (PWV), zu deren Vorsitzenden der Kongress Ho Chi Minh wählt. Sowohl im achtjährigen Befreiungskrieg gegen die französischen Kolonialisten als auch während der Abwehr der US-Aggression war er bis zu seinem Tod die Seele des Widerstandes.

Unvergessliche Begegnungen

Während meine Frau und ich von 1967 bis 1970 als Auslandskorrespondenten für die Nachrichtenagentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN) der DDR in Vietnam, Laos und Kambodscha arbeiteten, hatten wir mehrmals das große Glück, ihm persönlich zu begegnen. Wenn er mit uns sprach, uns die Hand drückte, uns freundschaftlich umarmte, sich nach unserem Befinden erkundigte, spürten wir in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit, an der nichts von Personenkult zu bemerken war. Im Dezember 1967, als Irene auf einer Festveranstaltung ihrer Arbeit als Fotoreporterin nachging, rief er sie zu sich vor das Präsidium auf der Bühne, umarmte sie, fragte, wie sie mit den schweren Bedingungen zurechtkomme und dankte ihr dafür, dass sie in dieser Zeit nach Vietnam gekommen war. Er war aber auch anwesend bei den Begegnungen, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, bei den vielen Gesprächen, er war einfach dabei und er lebte, auch nach seinem Tod, im Kampf seines Volkes weiter.

Die Führerpersönlichkeit

Nach der Niederlage des Sozialismus in Europa ist es dem Zeitgeist entsprechend Mode geworden, die Rolle einer führenden Partei beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu negieren, sie einfach auszuklammern, nicht zu erwähnen, wenn sie nicht überhaupt diffamiert und verleumdet wird. Gerade die Beschäftigung mit Ho Chi Minh vermittelt indessen in besonderem Maße Erkenntnisse, Lehren und Erfahrungen über sein jahrzehntelanges Wirken in der internationalen kommunistischen Bewegung, beim Aufbau und dann an der Spitze des Staates und der kommunistischen Partei. Dabei hat Ho die meiste Zeit seiner politischen Laufbahn in der DRV darauf verzichtet, die in anderen sozialistischen Staaten übliche Konzentration von Partei- und Staatsführung in einer Hand hervorzuheben. Er hatte nie den Posten des Generalsekretärs inne, war aber auch ohne diesen Rang stets der unbestrittene Führer. Zwangsläufig zwingt das zum Nachdenken über die Bedeutung von wirklichen Führerpersönlichkeiten.


Foto: © by Irene Feldbauer

Ho Chi Minh empfängt im Januar 1969 eine Delegation aus der DDR mit dem Minister für Gesundheitswesen Max Sefrin (l.)
Foto: © by Irene Feldbauer

Der Onkel

Die Vietnamesen nannten ihn verehrungsvoll Onkel Ho. Keinem seiner Nachfolger wurde diese vertrauliche Anrede zu Teil. Darin lag sicher keine Geringschätzung, eher eine Herausstellung der einmaligen Persönlichkeit dieses legendären Führers. Journalisten und die vielen Besucher, die sich ihm freundschaftlich verbunden fühlten, nannten ihn einfach Ho. [6] Seine sprichwörtliche Bescheidenheit, seine Anspruchslosigkeit, die seine Gegner gern als gekünstelt, als einstudiert, als politisches Kalkül darstellten, entsprachen seiner Verbundenheit mit den Menschen aus dem Volk. Er wollte nicht besser leben als sie, es hätte ihn unglücklich gemacht, soll er einmal gesagt haben. Schon das ein wunderbares Vermächtnis, das er hinterlassen hat.

Im Park des Hanoier Präsidentenpalastes, in den er sich zu den Amtsgeschäften begab, bewohnte er einen kleinen hübschen Holzbau mit nur zwei Zimmern. Wenn er Freunde in Hanoi besuchte, ging er meist zu Fuß. Sicher war das auch ein bewusster Verzicht, mit dem er seine Verbundenheit mit den Millionen einfacher Menschen ausdrücken wollte. Die Revolution hatte sie vom Hungerdasein befreit, konnte ihnen aber zunächst nichts weiter als einfache menschenwürdige Lebensbedingungen garantieren, verlangte von ihnen bei der Verteidigung der Unabhängigkeit hohe Opfer bis zum Einsatz des Lebens. Damit hat er ein ausschlaggebendes persönliches Beispiel für den Massenheroismus seines Volkes gegeben, aber auch ausgestrahlt auf die Menschen in der Dritten Welt. Sein Testament, das er vier Monate vor seinem Tod, im Mai 1969, verfasste, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen werde. [7]

Man möchte fast sagen, dass seine herausragende Führerpersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die US-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime am 3. September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv, und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten. Während in der Öffentlichkeit in Hanoi nicht bekannt geworden war, dass der Gesundheitszustand des Präsidenten sich verschlechterte, war das seinen Feinden offensichtlich nicht verborgen geblieben. Denn als wir im Frühjahr 1969 in Vientiane, der Hauptstadt des von den USA beherrschten Teils von Laos, Gespräche mit französischen und amerikanischen Journalisten und Diplomaten hatten, konzentrierten sich vor allem bei letzteren die versteckten Fragen immer wieder auf dieses Thema. Washington erwartete, dass der Tod Ho Chi Minhs die Widerstandskraft Vietnams lähmen würde. Nichts dergleichen geschah jedoch. Seine Nachfolger verfügten zwar nicht über seine menschliche Ausstrahlung, aber sie setzten sein Werk fort, ohne in innerparteiliche Machtkämpfe zu verfallen.


Foto: © by Irene Feldbauer

"Onkel Ho" auf einer Festveranstaltung zum 1. Mai 1968 in Hanoi - neben ihm ein Jungpionier
Foto: © by Irene Feldbauer

Die Mehrheit im Kampf gewinnen

Ho Chi Minh war vor allem Leninist, aber das von echtem Schrot und Korn. Er entwickelte schöpferisch eine nationale Strategie, war ein Mann der revolutionären Praxis, der die Theorie beherrschte, ein Führer und Kämpfer, der die Aufmerksamkeit der Massen nicht auf seine Person bezog, sondern auf die Partei lenkte. Im großen Kreis hervorragender revolutionärer Führer Vietnams trat er weder dozierend noch mit bevormundenden Weisungen auf. So ist beispielsweise in den zahlreichen Dokumenten über die Schlacht von Dien Bien Phu, während deren ganzen Verlauf er anwesend war und das nicht nur in sicheren Gefechtsständen hinter den Frontlinien, zu erkennen, dass er eine Führung besonderer Art praktizierte. Er ließ sich die Lage erläutern, stellte Fragen, oft scheinbar nebensächlicher Art, die aber plötzlich ins Zentrum strategischer Überlegungen rückten und von Vo Nguyen Giap und seinem Stab ausführlich erörtert und zur Grundlage der Weisungen des Oberbefehlshabers wurden. Oder er sprach mit den Trägern, die tonnenschwere Waffen, Munition und anderen Nachschub über die Berge transportierten, fragte, ob es nicht zu schwer sei, ob sie es schafften, wo die Familien seien, wie es ihnen gehe, und vieles andere mehr.

Die vietnamesische KP bewies seit ihrer Gründung, dass man die Mehrheit des Volkes in der revolutionären Aktion gewinnt und dass diese nicht erst begonnen werden kann - was auch heute noch eine weit verbreitete Illusion ist -, wenn die Hauptmasse zum Kampf bereit ist. Ho Chi Minhs erster Zirkel, den er zur Vorbereitung der Parteigründung bildete, zählte 1925 ganze 20 Genossen. 1930, im Jahr ihrer Formierung, waren es dann 1.828. Obwohl im gesamtnationalen Rahmen entscheidende objektive als auch subjektive Voraussetzungen fehlten, um die Erhebung zum Sieg zu führen, stellte sich die junge Partei im Sommer 1930 an die Spitze des spontan ausgebrochenen Bauernaufstandes und der Sowjetbewegung in Zentralvietnam. Denn für die Situation traf im Herbst 1930 prinzipiell zu, was Lenin bei der Würdigung der konsequenten Haltung von Marx gegenüber dem himmelstürmenden Proletariat der Pariser Kommune sagte: "Eine Niederlage der revolutionären Aktion in dieser Situation, wie in vielen anderen, war vom Standpunkt des Marx'schen dialektischen Materialismus für den Gang und Ausgang des proletarischen Kampfes das kleinere Übel, als ein Verzicht auf die einmal eingenommene Position, als eine Kapitulation ohne Kampf: eine solche Kapitulation hätte das Proletariat demoralisiert, seine Kampffähigkeit untergraben." [8]

Die nationalen Minderheiten waren ihm eine Herzensangelegenheit

Herausragendes leistete Ho bei der Integrierung der nationalen Minderheiten in die vietnamesische Gesellschaft. In Vietnam leben mehr als 60 Minderheiten, die 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Während die Kinh, die nationale Mehrheit, meist in der Ebene, vor allem im Delta des Roten Flusses und des Mekong leben, bevölkern die Minderheiten die zwei Drittel des Landes bedeckenden Bergregionen. Neben der Vielfalt von fast 50 unterschiedlichen Sprachen bzw. Dialekten und Kulturen herrschten vor der Gründung der DRV, bei den einzelnen Minderheiten unterschiedlich ausgeprägt, Züge fast aller vorkapitalistischen sozialökonomischen Formationen vor: Überreste der Gentilordnung, Stammesverhältnisse mit Merkmalen der Feudalordnung bildeten die Basis für gesellschaftliche Verhältnisse, in der tiefste Unwissenheit, völliger Analphabetismus, asiatisches Mittelalter mit Totenkult sowie Geisterglauben und damit größte sozialökonomische Rückschrittlichkeit, Stagnation und für die Mehrheit dieser Menschen großes Elend vorherrschten.

Während eine Anzahl Minderheiten die Technik bewässerter Reisfelder übernommen hatte, betrieben die meisten der als Halbnomaden lebenden Stämme noch Brandrodung oder lebten überwiegend als Sammler, Jäger und Fischer. Stammeszwist und kriegerische Traditionen sowie eine historisch bedingte Abneigung gegen die Kinh ausnutzend, hatte die Kolonialmacht versucht, die Minderheiten gegeneinander aufzuwiegeln und aus einzelnen Stämmen einheimische Spezialtruppen aufzustellen und gegen die Befreiungsbewegung einzusetzen. Die USA setzten diese Praxis fort und formierten vor allem in Laos unter den Meo eine Division gegen die Laotische Befreiungsfront.


Foto: © by Irene Feldbauer

Der Autor präsentiert Postkarten aus Vietnam - in der rechten Hand Ho Chi Minh 1960 zu Besuch bei Minderheiten
Foto: © by Irene Feldbauer

In Vietnam war es der Viet Minh gelungen, viele Angehörige der Bergvölker für ihren Kampf zu gewinnen. Ho Chi Minh bewies, dass es sich dabei um kein Zweckbündnis gehandelt hatte, sondern dass ihm und seiner Partei die Völkerfreundschaft auf nationaler Ebene eine Herzensangelegenheit war. Wie kein zweiter hat er hier die Leninschen Gedanken von der nationalen Frage verwirklicht und gezeigt, dass es ihm immer um die Einheit von Wort und Tat ging. Bei der Regierung der DRV schuf er ein Komitee der nationalen Minderheiten, dessen Vorsitzender Mitglied des Kabinetts war.

Auf persönliche Initiative Ho Chi Minhs erließ die Nationalversammlung ein Statut, auf dessen Grundlage nach 1954 in Nordvietnam 15 autonome Zonen der Minderheiten geschaffen wurden, die über eigene Bildungseinrichtungen verfügten. Ein Stammesführer wurde General und Mitglied des Politbüros, zahlreiche weitere Angehörige der Minderheiten hatte hohe Funktionen im Staatsapparat und in der Volksarmee inne. Ihre Angehörigen konnten an allen Schulen und Universitäten studieren. Ho persönlich beauftragte Linguisten, die Dialekte der Bergvölker in eine Schriftsprache zu fassen, Ethnologen sammelten ihre Lieder, Märchen und Mythen. [9] Ho Chi Minh sorgte dafür, dass die Politik gegenüber den Bergvölkern mit Geduld und Überzeugung verwirklicht wurde. Davon zeugte beispielsweise, dass erst 1960 die Polygamie aufgehoben wurde und es auch danach jedem Mann, der noch mit einer zweiten Frau verheiratet war, freigestellt wurde, dieses Gesetz zu befolgen. Trennungen mussten im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen und einer zweiten Frau, die den Mann verließ, stand entsprechender Unterhalt zu.

Revolutionäre Geduld

Zu den herausragenden Fähigkeiten Ho's gehörte revolutionäre Geduld, die Kräfteverhältnisse real einzuschätzen, darunter auch die internationalen Faktoren. In den Auseinandersetzungen mit Frankreich nach der Gründung der DRV ging er bis an die Grenze der Kompromissbereitschaft und war sogar bereit, den unabhängigen vietnamesischen Staat in der Französischen Union zu belassen. Als die USA die Genfer Indochina-Abkommen von 1954 wie einen Fetzen Papier zerrissen, Südvietnam okkupierten und mit der Liquidierung des Sozialismus im Norden drohten, wollte ein starke Strömung in der Partei den bewaffneten Kampf im Süden sofort wieder aufnahmen. Ho mahnte zu Geduld und zum Abwarten.

Es würde jedoch nicht der Persönlichkeit Ho's entsprechen, ihn als einen Mann ohne Fehl und Tadel darzustellen, den Weg der Partei unter seiner Führung als stets gradlinig, ohne Abweichungen oder Probleme. Er tolerierte oder musste tolerieren, dass von den Bergstämmen der Meo angebautes Opium nach dem erneuten Einfall der Franzosen, in Hongkong zu Waffenkäufen verwendet wurde. [10] Während der Bodenreform, die 1953 eingeleitet und nach dem Sieg in Dien Bien Phu im Norden realisiert wurde, gab es Überspitzungen. Landeigentümer, die nach den Landesverhältnissen Großbauern waren, wurden wie Großgrundbesitzer enteignet, manchmal auch als offene Feinde behandelt. Ho korrigierte diese linken Abweichungen. Er setzte Funktionäre, die nicht seinen ehernen moralischen Vorstellungen entsprachen, ab, aber sie verschwanden nicht in der Versenkung, konnten sich bewähren und neue Aufgaben übernehmen. Parteisäuberungen, denen unschuldige Genossen zum Opfer fielen, gab es nicht.


Foto: Public domain via Wikimedia Commons

Ho Chi Minh 1946 in seiner Zeit als Präsident der bis 1947 ungeteilten "Demokratischen Republik Vietnam"
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Ho litt schwer unter der Spaltung der kommunistischen Weltbewegung, deren Auswirkungen die vietnamesische Partei am eigenen Leib verspürte. Die Haltung zur KPdSU und zur KPCh war seit der Gründung der DRV stets eine zentrale Frage in der Politik der Partei und Ho Chi Minhs. Dass er dabei, wie Jean Lacouture, einer seiner Biographen, einschätzte, zwischen beiden lavierte, ist keine treffende Wertung. So wie es unzutreffend ist, seinen Gedankengängen "etwas Naives und Einfältiges" zu unterstellen. [11] Es ging ihm immer um ein ausgewogenes Verhältnis, das natürlich von Pragmatismus geprägt war und auch ein bestimmtes Taktieren einschloss.

Vorbehalte gegenüber Chrutschschow

Die Entwicklung, die unter Chruschtschow nach dem XX. Parteitag 1956 in der KPdSU einsetzte und einen Faktor darstellte, der zu neuen Konflikten mit der KPCh führte, wurde in der PWV mit großen Vorbehalten und mit Sorge verfolgt. Frühzeitig spürte die Partei Auswirkungen der sich später offen zeigenden Tendenzen der "Rangerhöhung der Politik der friedlichen Koexistenz" und der Aushöhlung "dieser Politik als Form des Klassenkampfes" [12] auf ihren eigenen Kampf.

Während unserer Arbeit in Hanoi spürten wir in Gesprächen mit sowjetischen Diplomaten und Journalisten, dass die sowjetische Seite eine Befreiung des Südens im bewaffneten Kampf lange Zeit kaum für möglich hielt und hier versuchte, Hanoi zur Zurückhaltung bzw. auch zur Hinnahme des Status Quo zu bewegen. Ein Umdenken unter den sowjetischen Militärs setzte erst nach und nach seit der Tet-Offensive im Frühjahr 1968 ein. Dabei spielte auch eine Rolle, dass sowjetische Militärs in Vietnam mehr als anderswo in der Dritten Welt ihre Waffen unter härtesten Kriegsbedingungen in den Händen kampfentschlossener Soldaten erproben konnten. Als der Sieg in Saigon errungen wurde, war das auch ein Sieg, der vor allem mit sowjetischen Waffen errungen wurde. Man hatte in der DRV auch lange Zeit nicht vergessen, dass die diplomatische Anerkennung durch die UdSSR erst 1950 im Ergebnis der Gründung der VR China erfolgte.

Trotzdem stand die DRV in allen grundsätzlichen Fragen stets hinter der UdSSR. Das wurde besonders offensichtlich, als sie sich mit dem Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten im August 1968 in die CSSR solidarisierte, der unter dem Kurs der Kulturrevolution von Peking scharf verurteilt wurde. Diese Haltung ergab sich besonders aus zwei Faktoren: Das feudale Vietnam war über 1.000 Jahre vom ebenfalls feudalen China beherrscht worden, was tief im Bewusstsein des Volkes verwurzelt blieb. Auch die Volksrepublik übte einen gewissen, zuweilen auch starken Druck aus.


Foto: © Irene und Gerhard Feldbauer

Irene und Gerhard Feldbauer als ADN-Auslandskorrespondenten im Kriegseinsatz in Vietnam
Foto: © Irene und Gerhard Feldbauer

So wurden wir im Frühjahr 1968, in der Zeit der "Kulturrevolution", während einer Reise in die vietnamesischen Nordprovinzen, die uns bis zur chinesischen Grenze führte, Zeugen massiver Einmischung chinesischer Militärs in die Angelegenheiten der DRV. Wir hatten streckenweise den Eindruck, es seien chinesische Besatzungstruppen anwesend. Zum zweiten waren sich die Militärs der DRV mit Vo Nguyen Giap an der Spitze vor allem nach dem Beginn der US-Luftaggression im Klaren darüber, dass nur die UdSSR die militär-technischen Kapazitäten besaß, mit der die DRV wirksam verteidigt und später die Streitkräfte im Süden mit den erforderlichen schweren Waffen für offensive Operationen ausgerüstet werden konnten.

Die Distanz zu Peking wurde größer, als Anfang der 70er Jahre die verständliche Normalisierung der Beziehungen der Volksrepublik mit den USA unter antisowjetischen Akzenten erfolgte. Zehn Jahre nach Ho Chi Minhs Tod erlebte Vietnam dann den Einfall chinesischer Truppen in seine Nordprovinzen, um Hanoi dafür "zu bestrafen", dass es Kambodscha von der Herrschaft des blutigen Pol-Pot-Regimes befreit hatte.

Die Partei Ho Chi Minhs hat sich nicht gewendet

1976 beschlossen die DRV und die im Befreiungskampf gebildete Republik Südvietnam (RSV) auf dem Weg der Wahl einer Nationalversammlung die Wiedervereinigung und als Bekenntnis des gemeinsamen Weges zum Sozialismus die Staatsbezeichnung Sozialistische Republik Vietnam (SRV). Damit wurde der Konterrevolution im Süden die staatliche Basis entzogen, was eine entscheidende Grundlage dafür wurde, dass die KPV die Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 überstand. Hoffnungen ihrer Gegner, die Partei werde den Weg osteuropäischer "kommunistischer und Arbeiterparteien" gehen und den Pfad der Sozialdemokratie einschlagen, erwiesen sich als Trugschluss.

Die Partei Ho Chi Minhs und seiner Nachfolger hat sich nicht gewendet. Sie zählt heute 3,6 Millionen Mitglieder. 60 Prozent davon sind Jugendliche. Unter ihrer unbestrittenen Führung beschreitet Vietnam weiter seinen sozialistischen Weg und steigt als einstiges Agrarland zu einer modernen Industrienation auf. Mit jährlichen Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent ist die Wirtschaft Vietnams die stärkste im gesamten südostasiatischen Raum.


Fußnoten:

[1] Die Lehranstalt wurde von der KP Chinas und der Guo Min Dang während der Periode der Einheitsfront gemeinsam unterhalten.

[2] Zusammmenziehung der Namen der beiden Provinzen Nghe An und Ha Tinh in Zentralvietnam, in denen im Verlauf des im September 1930 ausgebrochenen Bauernaufstandes Sowjets als revolutionäre Machtorgane gebildet wurden, die sich bis zum Frühjahr 1931 gegen eine Übermacht von 100.000 Mann der Kolonialtruppen verteidigten.

[3] "Nhan Dan", 3. Jan. 1970

[4] Zur besseren Beherrschung Vietnams spalteten die französischen Kolonialherren nach dem bekannten Teile- und Herrsche-Prinzip das Land in drei Gebiete: Nordvietnam, Zentralvietnam und Südvietnam, die sie Tongking, Annam und Cochinchine nannten.

[5] Das Aktionsprogramm der KPI von 1932, in: "Internationale Pressekorrespondenz", Nr. 72 bis 74/1932

[6] In bürgerlichen Publikationen enthält diese Kurzfassung eher eine Geringschätzung.

[7] Leo Figueres: Ho Chi Minh. Notre Camerade. Souvenirs de Militants français, Paris 1970, S. 263 ff.

[8] Lenin, Werke Bd. 21, Berlin (DDR) 1969, S. 67 f.

[9] Nguyen Khac Vien (Hg.): Region Montagneuses et Minoritès nationales, Hanoi 1967

[10] Erich Wulff: Schule der Revolutionäre, "Volkszeitung", 18. Mai 1990

[11] Jean Lacouture: Ho Schi Minh, Frankfurt/Main 1968, S. 229, 232

[12] Kurt Gossweiler: Wider den Revisionismus, München 1997, S. 327 f.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2020

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