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MEMORIAL/236: Vor 75 Jahren konnten die Mussolini-Faschisten mit Hilfe der USA ihre Partei als Movimento Sociale Italiano wieder gründen (Gerhard Feldbauer)


Vor 75 Jahren konnten die Mussolini-Faschisten mit Hilfe der USA ihre Partei als Movimento Sociale Italiano (MSI) wieder gründen

Sie wurden gebraucht, um eine von den Linken dominierte antifaschistische Nachkriegsordnung zu verhindern

von Gerhard Feldbauer, 21. Dezember 2021


Acht Monate nach dem Sieg über den Faschismus und der Hinrichtung Mussolinis durch ein Partisanenkommando konnten die Mussolini-Faschisten mit aktiver Hilfe der USA als Besatzungsmacht am 26. Dezember 1946 in Rom ihre Partei wieder gründen. Sie wurden gebraucht, um eine von den Linken dominierte antifaschistische Nachkriegsordnung zu verhindern. Das setzt sich bis in die Gegenwart fort, wo in Gestalt der Brüder Italien (FdI) von Giorgia Meloni eine aus dem MSI hervorgegangene Partei weiterbesteht und der frühere EZB-Chef Mario Draghi mit den Faschisten der Forza Italia (FI) Berlusconis und der Lega Matteo Salvinis regiert, um selbst eine vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) geführte Regierung zu verhindern.

Bereits im August 1945 hatten die USA gestattet, dass die Mussolini-Faschisten sich in einer Bewegung Uomo Qualunque (Jedermann) sammeln und an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im Juni 1946 teilnehmen, wobei sie 5,3 Prozent Stimmen erreichen und mit 30 Abgeordneten in die Konstituente einziehen konnten. So vorbereitet versammelten sich am 26. Dezember in Rom im Büro des ehemaligen Leiters der Zentrale des Partito Nazionale Fascista (PNF), Arturo Michelini, führende Altfaschisten mit Giorgio Almirante an der Spitze, um die faschistischen Partei offiziell wieder zu gründen. Almirante war unter Mussolini ein führender faschistischer Ideologe und Staatssekretär gewesen, der noch kurz vor Kriegsende einen Genickschusserlass gegen Partisanen unterzeichnet hatte.

Als Namen der neuen Partei wählten die Gründer Movimento Sociale Italiano (MSI). Er sollte eine Beziehung zur Repubblica Sociale Italiana - RSI (1943 von Mussolini unter der Besatzung der Hitlerwehrmacht gebildet) und sein Anagramm die Zusammenziehung von Mussolinis Namen verkörpern. Das Parteiemblem, ein schwarzer Sarg, über dem eine Flamme in den Farben der italienischen Trikolore emporstieg, sollte symbolisieren, dass "Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen", schrieb die MSI-Zeitschrift "La Rivolta ideale" in ihrer Dezember-Ausgabe 1946. Die MSI-Gründer erklärten das Programm des PNF von 1919 und die als "Manifest von Verona" bekanntgewordene Proklamation Mussolinis bei der Ausrufung der RSI zu ihren Grundlagen.

Das Parteistatut verpflichtete die Mitglieder, "die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen", was ein weiteres Bekenntnis zum Mussolini-Faschismus beinhaltete. In einem 10-Punkte-Programm forderte das MSI, die "territoriale Einheit" Italiens herzustellen, was sich in erster Linie gegen Jugoslawien richtete, und die "außerordentlichen Gesetze" aufzuheben, womit die Dekrete zur Säuberung des Staatsapparates von faschistischen Elementen gemeint waren. Zum Nationalsekretär wurde Almirante und zum Präsidenten der Kriegsverbrecher und Mussolini-Kommandeur Valeri Borghese gewählt, der wegen der Ermordung von 800 Widerstandskämpfern 1947 als Kriegsverbrecher verurteilt, auf Betreiben der USA sofort begnadigt wurde.

Mit der Sozialbewegung entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolini-Partei wieder, was gegen die Übergangsbestimmung der Verfassunggebenden Versammlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wiedergründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft." Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) hielt fest: "In Italien ist der Neofaschismus keine neue Erscheinung. Einige Monate nach dem Ende des Krieges war er bereits da. Man kann sagen, dass die Kontinuität kaum eine Störung aufwies". Die italienischen Faschisten sahen das selbst auch so. Die MSI-Zeitschrift "La Legione" (24. März 1973) schrieb: "Wir sind keine Neofaschisten, sondern Faschisten".

Dem MSI traten schon unmittelbar nach seiner Gründung Zehntausende alte Faschisten bei, die den Grundstein für eine, wenn auch im Vergleich mit dem Mussolini-Faschismus eingeschränkte, so doch immer noch beträchtliche Massenbasis legten. Bereits 1947 begann die Partei, eine landesweite Struktur aufzubauen. Nach erprobten faschistischen Organisationsprinzipien schuf sie Teilorganisationen, so die Pseudo-Gewerkschaft CISNAL (eine Million Mitglieder), den Jugendverband Fronte della Gioventù (120 000) und den Studentenverband FUAN (20 000). Innerhalb des MSI, teilweise aber auch außerhalb seiner Struktur, entstanden weitere 30 größere Organisationen von zentraler oder überregionaler Bedeutung sowie ca. 200 Organisationen, Terrorbanden und Splittergruppen auf örtlicher Ebene. Besonders trugen die verschiedenen, mit dem MSI eng liierten Traditionsverbände der früheren RSI-Streitkräfte, Reservistenvereinigungen und andere militaristische Organisationen dazu bei, seine soziale Basis und seinen politischen Einfluss auszudehnen.

Die Bildung der militaristischen Traditionsverbände wurde vom Pentagon und unter Mitwirkung von CIA-Chef Allen Welsh Dulles nach dem NATO-Beitritt Italiens 1949 forciert, um - ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Hitler-Militärs - die militärischen Erfahrungen der Offiziere des "Duce" für die NATO zu sichern. 1976 hatten die verschiedenen Traditionsverbände etwa 720.000 ehemalige Angehörige der Mussolini-Armee, der Camicie nere (Schwarzhemden - der italienischen SS), der Partei des "Duce" und anderer ihrer Organisationen in ihren Reihen.

In den 60er Jahren zählte das MSI rund 300 000 Mitglieder und verfügte über 4 335 Sektionen (Basisorganisationen). 1972 schloss es sich mit der Monarchistischen Partei zusammen. Das führte dem MSI rund 100.000 Mitglieder vor allem aus mittel- und großbürgerlichen Schichten, dem Großgrundbesitz sowie sowohl ehemaligen als auch aktiven Armeekreisen zu. Als Ergebnis dieser Vereinigung konnte die Sozialbewegung bei den Parlamentswahlen 1972 mit fast drei Millionen Wählerstimmen - das waren 8,7 Prozent - viertstärkste Partei werden und 56 Sitze in der Abgeordnetenkammer belegen. Seit der Vereinigung führte das MSI den Zusatz Destra Nazionale (Nationale Rechte) im Parteinamen.

Das MSI erreichte durch den Zusammenschluss jedoch nicht nur ein Bündnis mit konservativen Parlamentariern alten Schlages, sondern auch mit einer unvergleichlich wichtigeren Gruppierung, nämlich dem ultrarechten militaristischen Klüngel, der führende Positionen in der Armee, der Polizei und den Geheimdiensten innehatte. Gleichzeitig stärkte die Partei ihre Verbindungen zur NATO. So wurde beispielsweise der ehemalige Befehlshaber der NATO-Seestreitkräfte Europa Süd, Admiral Birindelli, einer der stellvertretenden Führer des MSI.

Das 1967 durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Obristen-Regime in Griechenland feierte die italienischen Faschisten als "Vorbild für Italien". Nach dem Militärputsch in Chile im September 1973 forderte das MSI "eine chilenische Lösung" für Italien. Es war - bis hin zur Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro 1978, der eine Regierung mit Beteiligung der Kommunisten bilden wollte - an mehreren von der NATO und der CIA inszenierten Militärputschen zur Errichtung eines faschistischen Regimes beteiligt. Gefördert von den USA und toleriert von der EU konnte der Medientycoon und Mitglied des Dreierdirektoriums der von der CIA gebildeten faschistischen Putschloge Propaganda due (P2), Silvio Berlusconi, im April 1994 mit dem MSI und der rassistischen Lega eine "Governo nero" (schwarze Regierung) bilden, wie das linke "Manifesto" am 15 Mai 1994 schrieb. Der damalige Bundeskanzler der BRD, Helmut Kohl, empfing Berlusconi zwei Monate später zum Staatsbesuch in Bonn. Während Vizepremier Fini vom MSI in Rom Mussolini als "größten Staatsmann des Jahrhunderts" feierte, nannte Kohl die Aufnahme der MSI-Faschisten in die Regierung "einen historischen Augenblick".

Mit Unterbrechungen konnte die Berlusconi-Regierung bis 2011 ihre tyrannische Herrschaft ausüben, und seit 2018 können Faschisten, wie eingangs erwähnt, wieder mitregieren - seit Januar 2021 unter Draghi.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022

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