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GRASWURZELREVOLUTION/1060: Indien - Trotz Repression weiterhin Proteste gegen den Staudamm


graswurzelrevolution 345, Januar 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Die Stimmen des Widerstandes
Trotz Repression verstummen die protestierenden StaudammgegnerInnen in Indien nicht

Von Ulrike Bürger


Das indische "Narmada Valley Development Project" zieht sich mit über 30 Großstaudämmen, 300 mittleren und etwa 3000 kleineren über die drei indischen Bundesstaaten Madhya Pradesh, Gujarat und Maharashtra. Die Proteste der Bewegung Narmada Bacchao Andolan (NBA-"Bewegung zur Rettung der Narmada") gegen dieses Großstaudammprojekt waren in den letzten Jahrzehnten enorm.


Die indische Regierung und involvierte Unternehmen versuchen mit Vehemenz und starker Repression weiterhin ihre Interessen durchzusetzen, obwohl das Projekt zu größten Teilen bereits fertig gestellt wurde, mehrere hundert Dämme gebaut sind und die betroffene Bevölkerung zwangsumgesiedelt ist. Dies stellt wieder einen Schritt der Zerstörung und wachsenden Industrialisierung dar, an der sich vor allem die Wirtschaft und "Oberschicht" an ausgebeuteten Rohstoffen und Energiezuläufen bereichern. Und das in einem Land, dessen Wirtschaftsboom eine wachsende "Mittel- und Oberschicht" sprießen lässt, auf Kosten von "unteren Schichten", Landbevölkerung, indigener Bevölkerung und der Umwelt.

Lange, mit Nachdruck und großer Öffentlichkeit kämpften viele der Betroffenen dieses Projektes - Zwangsumgesiedelte - gegen die Großstaudämme und ihre Folgen. Doch schon längst ist es kein Widerstand mehr gegen die Dämme, denn die sind fast alle fertig gestellt. Längst sind die Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubt und ihre Würde niedergetrampelt. Doch noch lange nicht sind ihre Stimmen des Widerstandes verstummt!


Die Hintergründe der Proteste

Diejenigen der Tausenden von Betroffenen, die nicht obdachlos oder in den Slums der Großstädte verschwunden sind, kämpfen um Land, für geflutetes Land oder Entschädigungsgelder, Fischereirechte, Arbeitsplätze, ihre verlorenen Würde und ihren Lebensstil. Es ist ein Widerstand gegen Repressionen, Enteignung, gegen leere Versprechungen auf Land oder Bargeld im Tausch gegen ein Stück jahrzehntelang besessenes Land und traditionelle Verwurzelung.

Mit einer Großdemo in der gewaltfreien Tradition Gandhis protestierten am 28.10.2009 vor der zentralen (District-) Bezirksverwaltung in Khandwa (Madhya Pradesh) über 10.000 Betroffene - Bauern und Bäuerinnen, Adivasi und Fischer, Arbeiter und Arbeiterinnen - die von dem Staudammprojekt (den Dämmen Indira Sagar und Omakareshwar-Staudamm) betroffen sind.

Aktuell betrafen die Proteste einen Gerichtsbeschluss vom September 2009, in dem das Gericht angeordnet hatte, dass alle Entschädigungszahlungen der Landesregierung und der zuständigen Behörde des NHDC (Narmada Hydroelectric Development Corporation Ltd.) an die Betroffenen der Dämme Omkareshwar und Indira Sagar sofort ausgezahlt werden müssen. Die Missachtung des Gesetzesbeschlusses trieb die Betroffenen auf die Straßen. Landesregierung und NHDC haben weder Erklärungen noch Gründe für die Nichtzahlung der Beträge vorgebracht.

Als Antwort auf die Einforderung der Entschädigungen der Landesregierung und der NHDC wurden die Betroffenen während der Großdemo mit Schlagstöcken misshandelt und fortgejagt. Viele der Protestierenden wurden schwer verletzt und rund 20 AktivistInnen inhaftiert, darunter auch die langjährige Aktivistin Chittaroopa Palit von Narmada Bacchao Andolan und Adivasi-Aktivistin Ramkunvar Rawat.

Tags darauf, am 30.10.09, wurde das Büro der NBA-AktivistInnen in Khadwa ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht, Unterlagen wurden entwendet und beschlagnahmt. Außerdem wurden der langjährige Aktivist Alok Agarwal und fünf weitere AktivistInnen in Gewahrsam genommen. Chittaroopa Palit und Ramkunvar Rawat begannen einen Hungerstreik im Gefängnis. Daraufhin intensivierten sich die Proteste durch die Einrichtung einer Dauer-Mahnwache vor dem Verwaltungsbüro in Khandwa. In den folgenden Protesttagen wurden weitere indigene und andere WiderständlerInnen in Gewahrsam (new case under Section 333 IPC) genommen oder unter falschen Anschuldigungen - "false cases" - fest gehalten.

Beeindruckend waren die verschiedenen Solidaritätsbekundungen und Protestkundgebungen, die erst auf regionaler Ebene begannen und sich dann über das gesamte Land ausweiteten, wie in Indore, Bhopal, Jabalpur, Delhi etc.

Diverse Nichtregierungsorganisationen und gandhianische Einrichtungen erhoben ihre Stimmen, Protestbriefe wurden geschrieben und die Regierung angeklagt, weil es zu Menschenrechtsverletzungen kam und demokratische Werte missachtet wurden.

Sehlussendlich entließ die Regierung nach sechs Tagen Inhaftierung die gefangenen AktivistInnen, abgesehen von Alok-Agarwal, der am 6. November durch Beschluss des Obersten Gerichtshofes im Bundesstaat Madhya Pradesh gegen eine Kaution freigekommen ist.

Die Bewegung verurteilt das brutale Vorgehen von Seiten der Regierung des Bundeslandes Madhya Pradesh und der NHDC und fordert die Einhaltung der erlassenen Gesetze. Trotz enormer Repressionen sieht sie aber auch Teilerfolge der Proteste.

Die brutalen Unterdrückungsmethoden zeigen den AktivistInnen immer wieder, dass sie nur gemeinsam Ihr ihre Rechte kämpfen können. Ebenso verstehen sie es als Erfolg, WIE die Bewegung der Gewalt und des Repressalien des Staats gegenüberstand. Das wird als moralischer Sieg gesehen: "we gained an ethical and moral victory against all the repression by the state." (NBA Press Release, 6.11.09)

Sicher ist, dass sie weiterkämpfen werden, um ihre Ziele zu erreichen. Dafür wurden sie insbesondere durch die enormen Solidaritätsbekundungen bestärkt. So kündigten einige der Betroffenen des Indira Sagar an, ein Protestfischen "Machali sathyagraha" zu beginnen, wenn sie weiterhin mit Gewalt terrorisiert würden. Tausende würden aus dem Reservoir fischen und den Fang gemeinsam verspeisen. Die Bewegung plant, ihre Proteste zu intensivieren.

Am 1. Januar 2010 werden sich wiederum Tausende der Vertriebenen des Indira Sagar, Maheshwar, Onkaraswer, Sardar Sarovar, Maan, Upper Veda und Bargi Damm in der Landeshauptstadt Bhopal treffen, um ihre Proteste fortzusetzen.

Weitere Infos: www.narmada.org


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 345, Januar 2010, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2010