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GRASWURZELREVOLUTION/1063: Stürmische Wetteraussichten für "Jamaika"


graswurzelrevolution 345, Januar 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Stürmische Wetteraussichten für "Jamaika"
Eine energie-, umwelt- und friedenspolitische Bewertung der neuen schwarz-gelb-grünen Koalition im Saarland

Von Markus Pflüger


Die bisherige Vorstandssprecherin des Vereins Energiewende Saarland, Dr. Simone Peter (Grüne), ist neue saarländische Umweltministerin. Kompetenz im Bereich ökologische Energiewende sitzt jetzt also in Saarbrückens "Schaltzentrale". Doch wer sitzt noch da?


Schwarz-Gelb steht für Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und Abbau der Förderung von erneuerbaren Energien. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat auch aufgrund außerparlamentarischer Proteste (vgl. www.ausgestrahlt.de) noch keine konkreten Maßnahmen genannt, auch das Ende des Moratoriums für den Bau des Endlagers Gorleben steht noch aus: Es wird von einer Aufkündigung des - von Rot-Grün propagandistisch verkündeten, aber nicht realisierten - Atomausstiegs und der Zementierung der Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken ausgegangen. Schwarz-Gelb wird den Ausbau der erneuerbaren Energien und der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung behindern, wenn nicht viel außerparlamentarischer Gegendruck kommt.

Wer wissen will, wie glaubwürdig die jetzt mit CDU und FDP regierenden Saar-Grünen sind, werfe einen Blick in ihr letztes Wahlprogramm. Dort ist z.B. zu lesen: "Die (...) regierende CDU ist verbraucht, sie bedrückt die Menschen durch rücksichtslose Machtausübung, missachtet Bürgervoten und verhält sich obrigkeitsstaatlich." Mal wieder ein gebrochenes Wahlversprechen.


Was steht konkret im Koalitionsvertrag?

Auf den 93 Seiten stehen aus umweltpolitischer Sicht zum Teil überraschende Positionen. Es wird sich zeigen, ob die Ungenauigkeiten auch Hintertüren sind, damit CDU und FDP die Umsetzung verhindern oder verwässern. Z.B. heißt es: "Die Koalitionspartner setzen sich dafür ein, dass die saarländischen Landkreise und die Landesregierung alle rechtlich und politisch gegebenen Möglichkeiten nutzen, um die Einrichtung von Atommüllendlagern in der Großregion zukünftig zu verhindern."

Dabei sollte es nicht nur um Bure gehen, ein Versuchslager für hochradioaktiven Müll, sondern auch um die anderen Atommülllager für mittel- und leichtradioaktiven Müll, sowie ein weiteres Atomklo, das in Lothringen noch einen Standort sucht. Letzteres erweist sich aufgrund des zunehmenden Widerstandes zum Glück als schwierig.

Was ist mit "zukünftig" gemeint? Also doch keine aktive Einmischung gegen alle Atommülllager, unabhängig davon, wie weit sie schon fortgeschritten sind? Keine Offenlegung des unlösbaren Entsorgungsproblems und eine Delegitimierung des AKW-Weiterbetriebs? Als das Versuchsendlager für hochradioaktiven Müll in Bure eingerichtet wurde, hatte die SPD dazu geschwiegen, auch von der Linken sind bis 2008 keine kritischen Äußerungen bekannt, und während des fortschreitenden Ausbaus von Bure schwieg auch CDU-Umweltminister Mörsdorf.

Gegen das seit 2008 geplante grenznahe Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll hatten sich alle Parteien im saarländischen Landtag ausgesprochen - der neue Koalitionsvertrag untermauert hier also nur den Status quo. Zum gravierenden Endlager für hochradioaktiven Müll in Bure, wo auch die deutsche Atomwirtschaft "mitforscht" und finanziert (u.a. über EURATOM), schweigen bisher alle Regierungen der Großregion seit gut 10 Jahren.

Apropos Weiterbetrieb: "Im Bundesrat wird das Saarland Gesetzesinitiativen, die die Verlängerung der Nutzung der Atomkraft zum Ziel haben, ablehnen." Oberflächlich eine der CDU und FDP gut abgerungene Vereinbarung, dies heißt aber auch: die Saar-Grünen finden sich mit den eh schon verlängerten Restlaufzeiten inklusive aller Privilegien für die Atomindustrie ab, statt offensiv für die sofortige Abschaltung einzutreten - ganz zu schweigen von Gorleben. Das zukünftige Schweigen der saarländischen Grünen zum "Atomausstieg", ein Preis für Jamaika?

"Vorrangpolitik für Erneuerbare Energien" heißt das Kapital zum Thema dezentrale, umweltfreundliche Energieversorgung. Die erneuerbaren Energien sollen unter dem schwarz-gelb-grünen Bündnis demnach ausgebaut werden. Ihr Anteil am Stromverbrauch im Saarland soll bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent steigen. Die CSU fordert in der gleichen Zeit 30°%, Umweltgruppen 50 bis 100%. Weitere Vereinbarungen: Die Nutzung der Tiefengeothermie soll geprüft werden und am Ausstieg aus dem Kohlebergbau im Saarland wird festgehalten. Er soll im Jahr 2012 enden. Beim Neubau von öffentlichen Gebäuden soll künftig der Passivhausstandard gelten. Auch soll der Klimaschutz anders als bisher nicht hinter dem Denkmalschutz zurückstehen. Fast alles umweltpolitischer Standard, vom Klimaschutz über Fern- und Nahwärme bis zur Energieeinsparung und Effizienzsteigerung.

Ein Widerspruch im Vertrag fiel sogar der Grünen Jugend auf: Der Neubau fossiler Kraftwerke unter 500 MW ist möglich, ein energiepolitischer Fehler, der auch nicht durch den "neuesten Stand der Technik entsprechenden Wirkungsgraden und größtmöglicher Wärmeauskopplung" ausgemerzt wird. Und ab und zu Formulierungen, die nach einem offenen Hintertürchen klingen. So sind die geforderten hohen Wirkungsgrade und die Kraft-Wärme-Kopplung bei neuen Gas- oder Kohlekraftwerken nur "angedacht". Die Grüne Jugend dazu: "... energiepolitisch das falsche Signal. Wir sprechen uns hier für eine komplette Ablehnung der Kraftwerke auf Kohlebasis aus und hätten uns zudem eine festgeschriebene Ablehnung der CCS-Technologie im Koalitionsvertrag gewünscht." Ein grundsätzliches Fragezeichen: Viele Forderungen stehen unter dem Finanzvorbehalt - faule Kompromisse werden später wohl wieder als alternativlos verkauft.


Merkwürdigkeiten und Widersprüche

Es ging um Macht: Zur Krönung kam nach der Wahl Hubert Ulrichs Arbeitsverhältnis bei 'think & solve' ans Licht: Der grüne Fraktionsvorsitzende wurde seit Jahren von der Firma des FDP-Kreisvorsitzenden Hartmut Ostermann finanziert - nach Kritik nur noch bis 1.10.2009. Ulrich hatte also offensichtlich ein persönliches, auch materielles Interesse an der Bildung einer Koalition mit CDU und FDP. Wer welchen Posten bekommt, wirkte zudem wie eine Versorgung der eigenen Parteifreunde: Statt acht braucht die Jamaika-Koalition jetzt zehn Staatssekretäre. Angesichts 10 Mrd. Euro Schulden sind die neu geschaffenen Minister- und Staatssekretärsposten besonders verantwortungslos - Geld das woanders fehlt. Wie will das Bundesland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung die neuen Ideen bezahlen? Wäre mit Rot-Rot mehr zu erreichen gewesen?

Nachdem Protokolle von Sondierungsgesprächen aus Versehen an die Öffentlichkeit gerieten, schreibt die Süddeutsche Zeitung am 5.11.09: "Sie zeigen, dass die Partei in einem rot-rot-grünen Bündnis noch einige Ziele mehr hätte umsetzen können, etwa das Eintreten für einen gesetzlichen Mindestlohn." Kritiker werfen "Mafioso" Ulrich vor (Cohn-Bendit!), "Jamaika" aus rein persönlichen Vorlieben durchgeboxt zu haben. Dazu passt, dass Ulrich kein Gegner von Hartz IV und der Agenda 2010 ist.

Zum Sozialabbau ist also in Zukunft auch grüne Zustimmung aus dem Saarland zu erwarten. Die Grünen tragen die neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik von CDU und FDP mit.

Weitere inhaltliche und grundsätzliche Kritik durch die sozialen Bewegungen ist wichtig.

Beispiel 1: Der Flughafen Saarbrücken soll ausgebaut werden - die Koalition, so der Vertrag, ist sich der Umwelt- und Gesundheitsschäden "bewusst" und wird auf "die Erarbeitung von Anregungen und Vorschlägen zur Reduzierung der Belastungen insbesondere durch den militärischen Flugbetrieb hinwirken."

Beispiel 2: Das Lager Lebach soll weiterbetrieben werden, "die Situation" wird nur "sachlich geprüft". Der saarländische Flüchtlingsrat ist enttäuscht: "Jamaika vergibt die Chance auf humanitäre Verbesserung im Saarland." Die Grünen hatten eine Auflösung des Lagers versprochen, im Koalitionsvertrag wird die repressive Asylpolitik der CDU jedoch mitgetragen.

Beispiel 3: Friedenspolitik? Fehlanzeige. Kein Wort zum Rüstungsbetrieb Diehl in Nonnweiler (weltweit bekannt durch Minen). Nichts Inhaltliches zu den benachbarten Kriegsflughäfen Ramstein und Spangdahlem oder die im Saarland stationierten bzw. in Afghanistan eingesetzten Bundeswehreinheiten. Warum auch? Grüne sind für die Kriegseinsätze. Keine Ansätze im Bereich Gewaltprävention oder Friedenspädagogik.

Im Gegenteil. Auch der Vertrag der saarländischen Kultusministerin mit der Bundeswehr (Lehrerausbildung, Material und Schulbesuche) bleibt unangetastet. Die Grünen tragen diese Militarisierung vor Ort offiziell mit.

Die Militarisierungs-Politik des Saarlandes wird jetzt von den Grünen mitverantwortet. Ihr bürgerlich-konservativer Hintergrund ist offensichtlich. Eine neue Variante des BRD-Parlamentarismus. Wer antimilitaristische, soziale oder ökologische Politik will, muss sich außerparlamentarisch engagieren. Widerstand und Druck von unten bleiben wichtig. Gute Wetteraussichten für Friedens-, Umwelt- und Antiatombewegung, das wären stürmische für "Jamaika".


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 345, Januar 2010, S. 8
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2010