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GRASWURZELREVOLUTION/1131: Vom Whistleblower zum Blowhorn


graswurzelrevolution 353, November 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Vom Whistleblower zum Blowhorn*
Rückblick auf den Kongress Öffentlichkeit und Demokratie - Berlin, 1.-3.10.2010

Von Ralf G. Landmesser


Berlin hat keinen Mangel an Kongressen und ähnlichen Events. Doch dieser Kongress war m.E. ein besonderer. Nicht nur, dass er in den "heiligen Hallen" der Friedrich-Ebert Stiftung (FES) in der Hiroshima Straße im ehemaligen und neuen Botschaftsviertel stattfand, sondern auch seine Zusammensetzung war alles andere als alltäglich.


Problematisiert werden sollte das Wirken der Medien in der demokratischen Öffentlichkeit. Angesprochen waren "vornehmlich Professionelle im Medienbereich, politisch Aktive und WissenschaftlerInnen", die "wechselseitig voneinander lernen" sollten, so Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin, Spezialist für Neue Soziale Bewegungen, im Vorwort des Programms.

Es solle "nicht beim Kritisieren oder gar Lamentieren bleiben", sondern "Möglichkeiten der politischen Intervention und Gestaltung" seien "zu erkunden und anzuregen", also eine Aufforderung zum Tun. Rucht gab darüber hinaus der Hoffnung Ausdruck, dass "aus dem Kongress konkrete Initiativen und Kampagnen hervorgehen".

Massenmedien als politische Organe der Vermittlung hätten die Schlüsselrolle, Initiativen und Kampagnen "überhaupt zum Zentrum politischer Macht vordringen" zu lassen. Das Zustandekommen dieses Kongresses sei "ein Beispiel bürgerschaftlicher Initiative und Selbstermächtigung".

In zwei mühseligen Vorbereitungsjahren mit entsprechendem Networking fand eine "offene und vor allem Nichthierarchische Suchbewegung" statt, die gewollt war und den Unterschied zu vielen "gut geölten Apparaten" machte. Dennoch hätten auch diese Apparate mit ihrer Hilfe am Zustandekommen des Kongresses mitgewirkt. Tatsächlich gelang es, ein sich über drei Tage erstreckendes facettenreiches Programm zusammenzustellen, das an vielen Stellen den Finger in wunde Stellen der medialen Öffentlichkeit legte.

Viel war von "Gegenöffentlichkeit" die Rede, obwohl auch Mainstream, von taz bis zu einem ehemaligen BILD-Chefredakteur, anzutreffen war. - Überhaupt war en masse sach- und fachkundige Prominenz anzutreffen. Fast könnte mensch sagen, dass die mediale Öffentlichkeit in ihrer ganzen Breite vertreten war, vom kleinen Bloggerprojekt bis zum Massenblatt und dem in diesen Tagen sehr virulenten "Stuttgart 21-Protest", der immer wieder auf dem Kongress thematisiert wurde (zu $21 gibt es auch eine Abschlussresolution).

Es bleibt allerdings ein kleines ABER: Wenn mensch einmal davon absieht, dass zum Beispiel Contraste oder Labournet mit Mag Wompel als einer der Hauptredner_innen des Kongresses vertreten waren, fehlte das Element der linken radikalen Gegenöffentlichkeit fast gänzlich und war eher zufällig marginal und nur von Insidern erkennbar mit von der "Party". Dennoch war die Themenlandschaft derart interessant, dass dies zunächst kaum auffiel.

Thematisch unterteilte sich der Kongress. in vier Bereiche:

- Geheimhaltung und Transparenz
- Politik mit Worten und Bildern
- Massenmedien von innen und außen
- Öffentlichkeit von unten

Und wie es sich im digitalen Zeitalter gehört, wurde aus dem Hauptsaal live Audio und Video als stream übertragen. Diese Aufzeichnungen sind auch im Nachhinein noch von der Website herunterladbar.

Den Hauptvortrag hielt der altgediente Prof. Oskar Negt - ein hörenswerter Vortrag. Der Samstag war sehr dicht. Mensch hätte sich regelrecht in Stücke reißen müssen, um alle interessanten Vorträge und Workshops "mitzunehmen" - ein paar durchaus interessante fielen drum gar mangels Teilnehmer-innen aus.

Ich blieb in einer Folge von drei Vorträgen zum Thema Krieg und Medien hängen - was ich keineswegs bedauere, befanden wir uns doch sozusagen gegenüber dem ExOKW und jetzigen "Verteidigungs"-Minhysterium, an dessen Brandwand eine großflächige Werbung für die Bundeswehr hing. Diese wurde durch die wissenschaftlich-leidenschaftlichen Vorträge über Medienmanipulationen zu Kriegszwecken mehr als konterkariert.

Whistleblower, Freie Radios und TV, Internet-Themen (v.a. juristische Repression und Ausspähung), Nazis, Öffentlichkeit und Straße, Dokumentarfilm, Transparenz, Web 2.0 und vieles mehr wurde wissenschaftlich und/oder engagiert präsentiert und diskutiert. Ich kann nur empfehlen, sich auf der Kongresswebsite umzusehen! Nun ist angedacht, den Kongress zu verstetigen. An Themen und Interessent_inn_en wird sicher kein Mangel sein.

R@lf G. Landmesser, LPA Berlin


Weitere Infos:
www.oeffentlichkeit-und-demokratie.de

* A megaphone, speaking-trumpet, bullhorn, blowhorn, or loud hailer is a portable, usually hand-held, cone-shaped horn use to amplify a person's voice towards a targeted direction.
(http://en.wikipedia.org/wiki/Megaphone)


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, 353, November 2010, S. 4
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2010