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GRASWURZELREVOLUTION/1137: Antimilitaristin zu 90 Tagessätzen verurteilt


graswurzelrevolution 354, Dezember 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Antimilitaristin zu 90 Tagessätzen verurteilt

Das Landgericht Flensburg betrachtet eine gewaltfreie Ankettaktion gegen einen Militärtransport in Husum als "Nötigung"


Das Landgericht Flensburg hat nach zweitägiger Verhandlung die Antimilitaristin Hanna Poddig zu 80 Tagessätzen verurteilt.

Damit bestätigte das Gericht die Vorwürfe "Nötigung" und "Störung öffentlicher Betriebe", ging allerdings im Vergleich zur ersten Instanz in der Strafhöhe runter.

Das Amtsgericht Husum hatte die bisher nicht vorbestrafte Antimilitaristin in erster Instanz zu 120 Tagessätzen verurteilt. Gemeinsam mit weiteren Friedensaktivist_innen hatte sie im Februar 2008 einen Transportzug der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Übungsmanöver aufgehalten, indem sie sich im nordfriesischen Ohrstedt an die Gleise gekettet hatte (die GWR berichtete).

Die Weiterfahrt des mit Militärgerät beladenen Zuges verzögerte sich dadurch um mehrere Stunden.

Am Landgericht saß die heute 25jährige nun einem Berufsrichter und zwei Schöffen gegenüber. Einer der beiden Schöffen arbeitet selbst bei der Bundeswehr. Einen daraufhin formulierten Befangenheitsantrag gegen den Schöffen lehnte das Gericht aber ab. "Die Rolle der Gerichte ist ohnehin schon eindeutig: Engagement für den Frieden wird kriminalisiert, während die Gewalttaten der deutschen Armee gedeckt werden. Dass nun aber sogar Bundeswehrangehörige als Richter gegen Friedensaktivist_innen eingesetzt werden, ist wirklich absurd", kommentiert die Angeklagte den Vorgang.

In der Verhandlung mussten die Angeklagte und ihr Anwalt immer wieder erkämpfen, dass über das Thema Krieg und Frieden überhaupt geredet werden durfte, dann das Gericht war der Auffassung, dass es mit den Inhalten der hier verhandelten Aktion nichts zu tun hätte. Juristisch ging es in erster Linie um die Anerkennung der Aktion als Versammlung und die Auflösung dieser.

Im Gegensatz zum Amtsgericht in Husum erkannte das Landgericht die Aktion zwar als Versammlung an, stellte sich aber auf den Standpunkt, dass es nicht relevant sei, dass die Versammlung zu keinem Zeitpunkt aufgelöst worden war. Aus Sicht der Verteidigung liegt keine Pflicht zur Entfernung aus dem Gleisbereich vor, solange die grundgesetzlich geschützte Versammlung nicht durch die zuständige Polizei aufgelöst wurde. Dies ist unstrittig nicht geschehen, wurde von Richter Grisée aber als irrelevant betrachtet.

Weiterer Auseinandersetzungspunkt war ein Antrag auf Pflichtverteidigung, der abgelehnt wurde, obwohl hier eine komplexe Rechtslage vorliegt, denn es gibt diverse, teils widersprüchliche Urteile zum Thema Versammlungsrecht und Nötigung.

Doch auch hier bewies das Gericht seine Voreingenommenheit und behauptete, es lägen höchstrichterliche Urteile vor, an denen sich die Aktivist-innen hätten orientieren können, also sei eine Notwendigkeit der Pflichtverteidigung nicht gegeben.

"Das Gericht hat es sich die ganze Zeit möglichst einfach gemacht und bei strittigen Fragen an die nächste Instanz verwiesen. Mehrere Male betonte der Richter, ich solle mich nicht beschweren, das könne dann ja die Revisionsinstanz klären.

Das Gericht hat also fahrlässig bis mutwillig meine Verteidigungsrechte eingeschränkt", so die Angeklagte, die nun die Möglichkeiten einer Revision prüft und sich außerdem auf die Anfang 2011 anstehenden zivilrechtlichen Prozesse vorbereitet.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, 354, Dezember 2010, S.
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010