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GRASWURZELREVOLUTION/1163: Wie feministisch ist ein Anarchist?


graswurzelrevolution 357, März 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Wie feministisch ist ein Anarchist?
Der Kampf um die Frauenbefreiung ist auch einer für libertäre Verhältnisse

Von Merle Aberle


Sich für Frauenthemen zu engagieren, ist eine Aufgabe, für die man nicht gerade einen Blumentopf ernten kann. Es sei doch schon alles erreicht und inzwischen übernehmen die Frauen doch schon das Ruder, geben nicht nur Männer, sondern erstaunlich viele, auch gerade jüngere Frauen zu bedenken.


Anarchafeministisch gesehen sind diese Aussagen wohl eine katastrophale Fehleinschätzung unserer damaligen wie heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Selbst wenn die Frau nach deutschem Recht dem Mann gleichgestellt ist, wie weit ist die Emanzipation in unseren soziokulturellen und ökonomischen Strukturen, in unserem täglichen Handeln und Denken, in unseren privaten und intimen Beziehungen fortgeschritten?

Trotz einer öffentlichen Realität mit einer amtierenden weiblichen Bundeskanzlerin erstellen wir unsere geschlechtsspezifischen Rollenmuster im privaten Bereich allzu häufig nach traditionellem Rezept: Oft ist ein Mann der Redeführer einer Gruppe, ebenso wie er das "Entertainment", das Sich Darstellen übernimmt, während viele Frauen sich, klischeetreu, lieber unterhalten lassen, als das Geschehen mitzubestimmen. So werden die Geschlechter in "aktiv" und "passiv" unterteilt - ein Normalfall im gesellschaftlichen Leben, wenn von der Gruppe oder den Einzelpersonen nicht bewusst etwas dagegengesetzt wird.

Wie elementar unser privates Verhalten für die gleichberechtigte Umstrukturierung der Gesellschaft ist, stellte auch die Frauenbewegung der 1970er fest: "Das Private ist politisch." Anders als in der früheren Frauenbewegung ging es nicht mehr nur um parlamentarische Fragen und das Wahlrecht, sondern vielmehr um "Körperpolitik", also um die Politisierung von Bereichen wie Sexualität, Menstruation, Schwangerschaft und Kindererziehung.

Auch heute noch ist der ideelle Widerspruch im Handeln vieler Männer sichtbar, die zwar emanzipatorisch fortschrittlichen Wandel im öffentlichen Raum fordern, ihr privates Patriarchat aber dennoch weiter ausleben. Im Umkehrschluss muss also die Trennlinie zwischen privater und öffentlicher Emanzipation überschritten werden, damit eine menschenwürdige, libertäre Gesellschaft entstehen kann.

Diese kann nur herrschaftslos sein, wenn das Patriarchat abgeschafft und das gesamte "Triple-Oppression"-Modell, das die Dreifachunterdrückung durch Rassismus, Sexismus und Klassismus darstellt, beseitigt wurde.

So beinhaltet jeder anarchistische auch immer den antipatriarchalen Gedanken, hierzu die These des Anarchafeministinnentreffens im April 2006: "Frauen und Männer, die sich nicht mit dem Patriarchat auseinandersetzen, können sich nicht AnarchistInnen nennen." Gleichzeitig muss der Kampf um die Frauenbefreiung auch ein Kampf für libertäre Verhältnisse überall in der Gesellschaft sein, um dem Begriff "Befreiung" gerecht zu werden.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, 357, März 2011, S. 9
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2011