Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1313: "Das ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht"


graswurzelrevolution 376, Februar 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Das ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht"
Friedliche Massenaktion der EZLN im mexikanischen Chiapas: 40.000 Zapatistas demonstrieren in fünf Städten und kündigen neue Aktivitäten an: außerparlamentarisch, unten, links

Von Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A.



Es war ein Mediencoup: Am 21. Dezember 2012, dem Tag, der im Vorfeld von den großen Medien fälschlicherweise als von den Maya vorhergesagter "Weltuntergang" kommerziell ausgeschlachtet worden war nahmen rund 40.000 Zapatistas für einige Stunden friedlich die fünf Städte San Cristóbal, Ocosingo, Altamirano, Las Margaritas und Palenque im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas ein.


Parolen gab es nicht - es wurde schweigend demonstriert. Vor Rathäusern oder Kirchen aller fünf Städte wurden in Rekordzeit Bühnen aufgebaut, die dann alle TeilnehmerInnen mit erhobener linker Faust überschritten. Nach wenigen Stunden endete diese eindrückliche Massenaktion der von indigenen Mayas geprägten Bewegung, darunter Tzotziles, Tzeltales, Tojolabales, Choles, Zoques und Mames. Wenig später wurde dann das wohl bisher kürzeste, allerdings sehr symbolische Kommuniqué der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN veröffentlicht:

"Habt Ihr das gehört? Das ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht. Es ist die unsere, die wiederkehrt. Der Tag, der Tag war, wurde Nacht, und die Nacht wird der Tag sein, der Tag sein wird. Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit".

Die Zapatistas kämpfen seit Beginn ihres Aufstands von 1994 gegen Rassismus und für die Durchsetzung der Autonomierechte der indigenen Bevölkerungsgruppen. Ihnen ging es jedoch nie um indigenistische Politikansätze oder gar Weltuntergangsverschwörungen.

Sie setzen sich pazifistisch dafür ein, dass die Indigenen Menschen ihre Lebens- und Organisationsweise weiterhin praktizieren können, ohne dafür diskriminiert zu werden.

Die DemonstrantInnen, darunter viele Jugendliche und Frauen, signalisierten mit ihrer kraftvollen Aktion - der bisher größten Demonstration von Zapatistas in Chiapas -, dass die zapatistische Bewegung weiterhin lebt, Widerstand leistet und gleichzeitig basisdemokratische Alternativen aufbaut.

Seit Mai 2011, als etwa 20.000 Zapatistas friedlich in San Cristóbal gegen die Gewalt im Land demonstrierten, hatte sich die EZLN nicht öffentlich geäußert. Nun schaffte es die Bewegung mit ihrer spektakulären Massenaktion auf die Titelseiten der mexikanischen Zeitungen und auf die Internetseiten der globalen Bewegungen und Gruppierungen, die sich solidarisch auf die Zapatistas beziehen.

Ihre Forderungen nach einem Ende des Rassismus gegen die indigenen Bevölkerungsgruppen, einer radikalen Demokratisierung, einer antikapitalistischen Wirtschaftspolitik, einer Verbesserung der Situation der Frauen, nach konsequentem Naturschutz und nach Solidarität mit allen Marginalisierten wurden durch den Schweigemarsch wieder zum Thema.

Luis Hernández Navarro, Redakteur der Meinungsseite der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, brachte die Symbolik der Mobilisierung auf den Punkt:

"So wie sie sich das Gesicht bedecken mussten, um gesehen zu werden, hielten sie jetzt im Reden inne, um gehört zu werden".


Ablehnung der politischen Klasse

Am 30. Dezember 2012 rechnete die EZLN in einem Kommuniqué und zwei Briefen hart mit der gesamten politischen Klasse ab. Nach den Präsidentschaftswahlen von 2006 hatte ein nicht unerheblicher Teil der mexikanischen Linken der EZLN vorgeworfen, für den Wahlsieg von Felipe Calderón von der neoliberal-konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) verantwortlich zu sein, weil die Zapatistas nicht den sozialdemokratischen Kandidaten Andrés Manuel López Obrador von der Partei der demokratischen Revolution (PRD) unterstützt hatten. Weite Teile der parlamentarischen "Linken" hatten daraufhin mit der EZLN gebrochen.

Ihnen antwortete die Organisation nun Ende 2012, nach der Rückkehr der autoritären Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) an die Macht:

"Sie brauchen uns nicht, um zu versagen. Wir brauchen sie nicht, um zu überleben".

In beiden Fällen war die EZLN nicht für die Wahlniederlage der PRD verantwortlich, die Gründe dafür sind Wahlmanipulation, Stimmenkauf, massenmediale Kampagnen zugunsten von PAN und PRI und nicht zuletzt auch die geringe Zustimmung, vor allem in den kämpferischen Regionen, in den PRD-Gouverneure bereits regieren und sich mit ihrer repressiven und neoliberalen Politik nicht anders verhalten als PRI- oder PAN-Regierungen.


Fortschritte im Aufstandsgebiet

In ihrem Kommuniqué berichteten die Zapatistas, die weiterhin jedwede Unterstützung durch den mexikanischen Staat ablehnen, selbstbewusst über die Fortschritte in ihren autonomen Gebieten:

"In diesen Jahren haben wir uns gestärkt und haben unsere Lebensbedingungen bedeutend verbessert. Unser Lebensstandard ist höher als in den regierungshörigen indigenen Gemeinden, die Almosen erhalten und mit Alkohol und nutzlosen Artikeln überschüttet werden. Unsere Häuser haben sich verbessert, ohne die Natur zu verletzen und ihr Wege aufzuzwingen, die ihr fremd sind. In unseren Dörfern dient das Land, das früher dafür da war, das Vieh der Gutsherren und Großgrundbesitzer zu mästen, heute dem Anbau von Mais, Bohnen und Gemüse, welche unsere Tische erleuchten. Unsere Arbeit wird mit der doppelten Zufriedenheit belohnt, uns mit dem Nötigen zu versorgen, um anständig leben zu können und zum kollektiven Wachstum unserer Gemeinden beizutragen. Unsere Jungen und Mädchen besuchen eine Schule, die ihnen ihre eigene Geschichte beibringt, die ihrer eigenen Heimat und die der ganzen Welt, sowie die nötigen Wissenschaften und Techniken um sich zu bilden, ohne aufzuhören Indigene zu sein. Die indigenen zapatistischen Frauen werden nicht wie eine Ware verkauft. Die indigenen PRI-Anhänger kommen in unsere Krankenhäuser, Kliniken und Labors, weil es in denen, die die Regierung zur Verfügung stellte, weder Medikamente, noch Geräte noch Doktoren, noch qualifiziertes Personal gibt. Unsere Kultur erblüht, nicht isoliert, sondern bereichert durch den Kontakt mit Kulturen anderer Bevölkerungsgruppen aus Mexiko und der ganzen Welt. Wir regieren und wir regieren uns selbst, indem wir stets zuerst die Einigung vor der Konfrontation anstreben. All dies wurde nicht nur ohne die Regierung, die politische Klasse und die Medien, die sie begleiten, bewerkstelligt, sondern während wir gleichzeitig ihren Angriffen aller Art Widerstand leisten mussten. [...] Hier, bei nicht wenigen Fehlern und vielen Schwierigkeiten, ist eine andere Art des Politikmachens bereits eine Realität."

Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen

Darüber hinaus kündigte die EZLN an, verstärkt mit anderen sozialen Bewegungen zusammenzuarbeiten, vor allem mit den AnhängerInnen der 6. Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald und der Anderen Kampagne, die danach streben, über einen langen, strikt außerparlamentarischen Prozess eine neue antikapitalistische Verfassung für Mexiko durchzusetzen und die globale Vernetzung basisdemokratischer Kämpfe zu unterstützen. Am 3. Januar 2013 reagierte die mexikoweit arbeitende Bewegung für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Demokratie (MPJD) mit einem Brief auf die Demonstrationen der EZLN und dankte den Zapatistas für ihre Mobilisierungen für eine gerechte Gesellschaft:

"Wir beglückwünschen Euch, denn wir wissen bereits nach unserer kurzen Existenz als Bewegung, wie kompliziert es ist, eine Organisation aufzubauen und am Leben zu erhalten, aber vor allem wegen Eurer Kongruenz, uns beizubringen, dass die Moral, die Ethik und die Wahrheit die mächtigsten Waffen sind, um eine Welt des Friedens, der Gerechtigkeit, der Würde und der Demokratie aufzubauen".

Die Zapatistas haben mit der größten Massendemonstration ihrer Geschichte kurz vor dem 19. Jahrestag ihres Aufstands vom 1. Januar 1994 einmal mehr belegt, dass sie eine relevante Kraft in Chiapas und Mexiko sind, die auch Ausstrahlungskraft auf andere Kämpfe weltweit hat, die sich jenseits von Staat und Kapital für die Emanzipation der Menschen einsetzen. Viele Gruppen und Organisationen erwarten nun mit Spannung die neuen Initiativen der EZLN. Fortsetzung folgt.


Weitere Infos, Fotos und Videos unter:
www.gruppe-basta.de

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 376 Februar 2013, S. 12
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
 
Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2013