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GRASWURZELREVOLUTION/1327: "Piratenprozess" - Erfolgreiche Solidaritätsaktion


graswurzelrevolution 378, April 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Erfolgreiche Solidaritätsaktion

Während die Urteilsbegründung im Hamburger "Piratenprozess" Monate auf sich warten ließ, haben die solidarischen Protestaktionen in Deutschland dazu geführt, dass ein "Piraten"-Kind freigelassen wurde



Am 19. Oktober 2012 ging nach 105 Verhandlungstagen der erste sogenannte Piratenprozess in Hamburg seit 400 Jahren zu Ende (die GWR berichtete). Die zehn somalischen Angeklagten wurden allesamt des erpresserischen Menschenraubs und des Eingriffs in den Seeverkehr für schuldig befunden und zu Gefängnisstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt.


Die vierstündige Urteilsbegründung ist wortgetreu auf dem Blog reclaim-the-seas.blogspot.com dokumentiert. Das schriftliche Urteil aber ließ auf sich warten. Fast alle Angeklagten legten zunächst Revision ein, zogen diese aber nach und nach wieder zurück. Damit sind - mit Ausnahme der Jugendlichen, die ihre Strafe bereits abgesessen haben und des als 'Kronzeugen' bekannten Angeklagten, der im offenen Vollzug ist - sämtliche Angeklagten im 'Normalvollzug' in Hamburg Fuhlsbüttel.

Einige der Gruppen, die den Prozess über fast zwei Jahre begleitet und diverse Veranstaltungen und Soli-Aktionen organisiert haben, haben jetzt einen Brief an die Öffentlichkeit geschrieben.


Brief an die am "Piraten"-Prozess interessierte Öffentlichkeit

Während das schriftliche Urteil erst jetzt bei den Rechtsanwälten angekommen ist, ist das entführte Kind eines der somalischen Angeklagten frei! Es könnte freigekauft werden mit Solidaritätsgeldern aus dem Verkauf des Pixi-Buchs mit der Geschichte der Entführung.

Die mündliche Urteilsverkündung fand im Oktober 2012 statt.

Anschließend haben alle Angeklagten - mit Ausnahme des Kronzeugen - Revision eingelegt. Aber der Druck der zweijährigen Untersuchungshaft hat seine Wirkung nicht verfehlt und so war der Wunsch der Gefangenen nach besseren Haftbedingungen im "Regelvollzug" in Fuhlsbüttel größer und einer nach dem anderen zog den Revisionsantrag zurück. Zur Zeit haben noch zwei der damals Minderjährigen Revisionsanträge gestellt.

Die Kammer blieb der Tradition des Prozesses treu und hat erst nach fast drei Monaten das schriftliche Urteil herausgegeben, während das mündliche Urteil - Wort für Wort von ProzessbeobachterInnen transkribiert - seit Wochen auf reclaim-the-seas.blogspot.com nachzulesen ist.

Das Urteil ist rechtsgültig, aber es ist eben erst jetzt den Rechtsanwälten zugestellt worden. Diese haben nun eine Frist von einem Monat, die Revision begründen. Es könnte der Eindruck entstehen, dass die Kammer so lange wartete, bis die Gefangenen ihre Revisionsanträge zurückgezogen haben und das öffentliche Interesse am Urteil völlig verschwunden ist und keine Medien mehr darüber berichten.

Aber es gibt etwas Positives zu berichten, das die interessierte Öffentlichkeit doch interessieren könnte: Die Freilassung des Kindes eines der Angeklagten. Dieser hatte ausführlich vor Gericht erzählt, wie er als Fischer keinen Fisch mehr fangen konnte, Schulden beim Lebensmittelhändler hatte und dieser dann seinen fünfjährigen Sohn entführte, um die Schulden einzutreiben.

Deshalb sei er mit auf die Taipan gegangen, um das Geld für die Auslösung seines Sohnes zu verdienen.

Die Solidaritätsgruppe hat 2012 die Geschichte in Form eines illustrierten Pixi-Buchs aufgeschrieben, von dem 380 handsignierte Exemplare für 5,- € verkauft wurden, um das Geld zu sammeln und dem Angeklagten - der absolut verzweifelt in U-Haft saß - zu geben, um sein Kind freikaufen zu können (vgl. GWR 371).

In Dezember 2012 war das Geld zusammengekommen und wurde im Januar 2013 an den Ladenbesitzer übergeben, der das Kind freigelassen hat. Was zunächst unmöglich schien, wurde möglich.

Die Freilassung des Kindes ist eine Bestätigung dafür, wie anmaßend es von einem deutschen Gericht ist, über das Leben in Somalia urteilen zu wollen. Die Kammer hatte bei der Urteilsverkündung dem Angeklagten vorgeworfen, gelogen zu haben, weil er die Geschichte der Kindesentführung in seinen letzten Worten nicht noch einmal wiederholt hatte.

Und noch ein Hinweis an das Gericht: Es gibt zum Glück auch ein Leben außerhalb Ihres Gerichts, und in diesem anderem Leben wusste der Angeklagte, dass Geld für sein Kind gesammelt wurde. So stand er nicht mehr unter Druck, Ihnen das zu erzählen. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, vom Gericht verstanden zu werden. Stattdessen gibt es Menschen außerhalb der Gerichtswelt, welche die Gefangenen nicht allein lassen wollen.

Die Prozessbeobachtungs-Gruppe plant weitere Veranstaltungen, Hafenrundfahrten, Ausstellungen und Filmvorführungen und verkauft das Pixi-Buch weiter, um die Gefangenen zu unterstützen und ihre Situation hier, aber auch in Somalia öffentlich zu machen.


UnterstützerInnengruppe der somalischen Angeklagten; Kein Mensch Ist Illegal, Hamburg; Dritte-Welt-Hafengruppe, Hamburg

Mehr Infos:
www.reclaim-the-seas.blogspot.com

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 378, April 2013, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2013