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GRASWURZELREVOLUTION/1628: Das Schweizer "Nein" zum Atomausstieg


graswurzelrevolution 415, Januar 2017
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Das Schweizer "Nein" zum Atomausstieg

Kommentar von Axel Mayer


Am 27. November 2016 hat die Schweizer Bevölkerung über die Initiative für den geordneten Atomausstieg abgestimmt. Leider gab es ein unerfreuliches "Nein" zum Atomausstieg und damit ein "Ja" zur Gefahrzeitverlängerung.

Es ist unglaublich:

Die Schweiz, eines der schönsten und reichsten Länder, betreibt die ältesten Atomkraftwerke der Welt. Es ist nicht erklärbar, warum ein modernes Land wie die Schweiz in Beznau und Mühleberg die ältesten und unsichersten Atomkraftwerke der Welt betreibt und so die Existenz des eigenen Landes und der Menschen, auch in den Nachbarländern, so unverantwortlich auf's Spiel setzt. Mit zunehmendem Alter wächst auch die Gefahr atomarer Unfälle.

Bei einem schweren Atomunfall in Deutschland würden sich, ähnlich wie in Japan, zumindest noch Gebiete finden, wohin die Menschen evakuiert werden könnten. Bei einem Atomunfall in einem kleinen Land wie der Schweiz kämen als Fluchtorte, je nach Schwere des Unfalls und je nach Windrichtung am Katastrophentag, nur die ebenfalls betroffenen Nachbarländer in Frage.

In den Atomkantonen Aargau und Solothurn hatte die Atomausstiegsinitiative keine Chance. Die französischsprachige Schweiz lehnte (wie auch bei früheren Abstimmungen) die Gefahrzeitverlängerung ab. Wenn sich das älteste AKW der Welt in Beznau nicht irgendwann "selbst abschaltet", muss es nächstes Jahr nicht vom Netz. Der Schweizer Atomfilz und die Macht der Lobbys haben gewonnen.

In Deutschland werden Schweizer Volksentscheide gerne idealisiert. Doch die Spieße bei solchen Abstimmungen sind ungleich lang. Der eng verflochtene Schweizer Atomfilz (die meisten konservativ-bürgerlichen Parteien, der Bundesrat, economiesuisse ...) verfügte über viele Millionen Franken und die teuersten PR-Agenturen (Burson-Marsteller) für seine PR-Kampagnen.

"Es gibt keine Klimaveränderung", war eine der vielen Werbeaussagen von Burson Marsteller. Um das Jahr 1990 lancierte das weltweit agierende PR Unternehmen eine massive und erfolgreiche Anti-Klimaschutzkampagne im Auftrag von verschiedenen US-Ölfirmen und US-Autoherstellern. Es ging darum, aus wirtschaftlichen Interessen die Gefahren der Klimaerwärmung herunterzuspielen.

"Wegen der Klimaveränderung brauchen wir unbedingt Atomkraftwerke" ist erstaunlicherweise jetzt die gegensätzliche, neue Werbebotschaft der Atomindustrie, für die Burson Marsteller nun arbeitet. "Wes Brot ich ess, dess Lied ich sing", und diese Lieder klingen doch recht unterschiedlich. Jetzt arbeitet Burson-Marsteller für die großen Schweizer Atomkonzerne und singt laut, misstönend und für viel Geld das hohe Lied des Klimaschutzes und der "klimafreundlichen" Atomenergie. "Die geschickte Werbebotschaft der AKW-Betreiber hat bei der Abstimmung die Akzeptanz für alte AKW geschaffen - ein spannendes Exempel für organisierte Desinformation.

Die leider erfolgreichen Angst-Kampagnen der Atomlobby erinnerten stark an ähnliche "Vor-Fukushima-Propaganda-Kampagnen" in Deutschland. Es ist erstaunlich, dass gerade die konservativen Schweizer Parteien (1) die Wortführer der atomaren Heimatgefährdung sind. Schweizer Kraftwerksbetreiber hatten mit Milliarden Franken Schadensersatzforderungen gedroht, sollten sich die Menschen bei der Volksabstimmung für eine, auf immer noch gefährliche 45 Jahre begrenzte Laufzeit der Atomkraftwerke aussprechen. Das Stimmvolk wurde mit der Drohung von Schadensersatzforderungen erpresst. Für Atomkraftwerke, die nicht einmal für einen Franken an die EDF verkäuflich sind, wollten die Atomkonzerne Milliarden-Entschädigung einfordern.

David hat gegen Goliath verloren. Trinational gemeinsam werden sich die, von einem jederzeit möglichen Unfall betroffenen Menschen, Verbände und der BUND weiter für die AKW-Abschaltung und für Leben und Gesundheit der Menschen engagieren.


Axel Mayer ist BUND-Geschäftsführer in Freiburg und Vizepräsident des Trinationalen Atemschutzverbandes Basel.


Anmerkung:


1) www.bund-rvso.de/schweizerische-volkspartei-akw.html

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 46. Jahrgang, Nr. 415, Januar 2017, S. 24
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2017

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