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IMI/907: Deutsche Waffen made in USA


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Analyse 2018/27 vom 27. November 2018

Deutsche Waffen made in USA
Die strategische Produktionsverlagerung von Klein- und Leichtwaffen in die USA

von Carlos A. Pérez Ricart und Lotta Ramhorst


Deutschland steht in den Rankings der Exportländer von Klein- und Leichtwaffen zwar noch immer an oberer Stelle, in der letzten Dekade hat es im internationalen Vergleich allerdings an Bedeutung verloren. Im gesamten Rüstungsexportbereich ist die deutsche Beteiligung am globalen Markt in den letzten Jahren gesunken.[1] In der Sparte der Klein- und Leichtwaffen zeigt sich diese Tendenz aber am deutlichsten: 2017 haben deutsche Firmen ca. 33.000 Waffen dieser Kategorie exportiert - eine deutlich geringere Anzahl als die 80.000 exportierten Einheiten im Jahr 2015.[2] Vor diesem Hintergrund beklagt die deutsche Industrie der Klein- und Leichtwaffen, Deutschland verliere auf dem globalen Markt seine Wettbewerbsfähigkeit. Das sei vor allem damit zu begründen, dass die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern eine deutlich restriktivere Rüstungsexportpolitik habe, was für die deutschen Firmen einen Wettbewerbsnachteil darstelle.[3]

Einiges deutet allerdings darauf hin, dass sich die deutsche Klein- und Leichtwaffen-Industrie statt in einer Krise in einem weitreichenden Transformationsprozess befindet und sich angesichts der wachsenden Restriktionen neue Wege der Produktion und des Exports sucht - ohne dabei faktisch seine Vorreiterrolle auf dem globalen Markt zu verlieren. Ein herausstechender Faktor ist in dieser Hinsicht die Verlegung der Fabrikation in Rechtsgebiete mit weniger restriktiven Rüstungsexportkontrollen - wie beispielsweise die USA. Dies geschieht unter anderem über die Bildung von Holdings, d.h. Finanzgemeinschaften, die einen Großteil der Aktionen einer Gruppe von Schwester- oder Tochterfirmen besitzen bzw. kontrollieren. Die Verlegung der Produktionsstätten ins Ausland vereinfacht für die Rüstungsfirmen letztendlich den Export in krisengeprägte Drittländer bzw. Staaten mit schlechter Menschenrechtsbilanz.


Deutsches vs. US-amerikanisches Rüstungsexportkontrollsystem

Deutschland verfügt über eines der strengsten Rüstungsexportkontrollsysteme der Welt. Das langjährige Engagement antimilitaristischer Gruppierungen hat dazu geführt, dass die Bundesrepublik in den letzten Jahren wichtige Mechanismen zur - zumindest teilweisen - Begrenzung des Waffenexports etabliert hat. Zwar mangelt es nicht an Beispielen, in denen Vorschriften illegal umgangen wurden oder die laxe Auslegung der bestehenden Regelungen Lieferungen in kritische Regionen nicht verhindert haben[4], zumindest auf dem Papier verfolgt Deutschland aber eine im Vergleich zu anderen Staaten relativ restriktive Rüstungsexportpolitik. Diese Politik folgt einer Reihe nationaler, europäischer und internationaler Vorschriften, an die deutsche Rüstungsfirmen beim Export ihrer Produkte gebunden sind.

Im Gegensatz dazu sind die Regelungen und Kontrollen in den USA deutlich milder - ein Umstand, der sich unter Donald Trump noch zu verstärken scheint. So hat der Präsident der Vereinigten Staaten zu Beginn dieses Jahres in einer offiziellen Stellungnahme die "ökonomische Sicherheit" zum künftigen Leitfaktor seiner Rüstungsexportpolitik erklärt.[5] Es ist davon auszugehen, dass speziell dieser Unterschied zwischen den Rüstungsexportkontrollsystemen Deutschlands und der USA den Umstand begründet, dass deutsche Firmen begonnen haben, ihre Produktionsstandorte auf US-Territorium zu verlegen. Die Fälle zweier Waffenbauer - Sig Sauer und Heckler & Koch - legen diese Interpretation nahe.


Sig Sauer: Von Eckenförde nach Exeter

Das breite Firmen-Konglomerat um den Waffenproduzenten Sig Sauer - die 2001 gegründete Holding L&O Sig Sauer Verwaltungs-GmbH - besteht unter anderem aus drei Sig Sauer-Produktionsfirmen in Deutschland, der Schweiz und den USA: (1) der deutschen Filiale Sig Sauer GmbH & Co. KG mit Sitz im deutschen Eckenförde; (2) der Schweizer SAN Swiss Arms AG; und (3) der relativ jungen US-Filiale Sig Sauer, Inc. (ehemals Sigarms), die 1985 gegründet wurde und ihren heutigen Sitz in Newington hat. Die Holding L&O Sig Sauer Verwaltungs-GmbH verkauft jährlich Dienstleistungen und Produkte für hunderte Millionen von Euros und beschäftigt insgesamt um die zweitausend Personen.[6] Ihr Steuersitz ist das westfälische Emsdetten.

Die US-Firma Sigarms diente anfangs lediglich als Logistikzentrum zum Vertrieb der vollständig in Deutschland produzierten Waffen auf dem US-amerikanischen Markt. 1992 begann sie jedoch, in ihrer neuen Fabrik in Exeter, New Hampshire, auch eines der Top-Sig Sauer-Produkte - die Pistole P229 - herzustellen. Zunächst wurden die Waffen noch aus importierten Einzelteilen aus Deutschland zusammengebaut - schließlich ging man aber dazu über, einige Pistolenmodelle gänzlich in Exeter zu produzieren.[7] Zu Beginn dieses Jahrhunderts lag die Produktion in Exeter so bereits bei durchschnittlich 54.000 Pistolen jährlich.[8]

Die strukturelle Verlegung der Sig Sauer-Produktion von Deutschland in die USA begann 2004 mit einer Reihe von Veränderungen: (1) der Steigerung der Produktion in den USA, während die Waffenmanufaktur des Schweizer und des deutschen Sig Sauer-Standortes reduziert wurde; (2) der Bau einer produktionsstärkeren Fabrik auf US-amerikanischem Boden in Newington, New Hampshire, der 2014 abgeschlossen wurde und die Fabrik in Exeter ersetzte; (3) der Inbetriebnahme einer Munitionsfabrik in Arkansas 2016 mit einer Produktionsfähigkeit von 200 Millionen Patronen jährlich; und (4) der Umwandlung der alten Fabrikanlage in Exeter in ein Zentrum für professionelle Schießtrainings (Sig Sauer Academy).

Nach den aktuellsten Zahlen fertigte Sig Sauer zwischen 2013 und 2016 in den USA einen Jahresmittelwert von 505.000 Pistolen und 63.000 Gewehren.[9] Gleichzeitig wurde auch die Beschäftigtenzahl deutlich erhöht: von 130 Personen im Jahr 2004 auf 900 im Jahr 2014.[10] Dem entgegen hat der Standort Eckenförde in Folge des Umstrukturierungsprozesses an Relevanz für die Produktion der Sig Sauer-Holding verloren. Während die deutsche Fabrik 2009 noch über 450 Beschäftigte verfügte, sind es heute nur noch knapp 100 und es ist zu erwarten, dass diese Zahl weiter sinkt.[11] Die Verlegung der Sig Sauer-Produktion von Deutschland und der Schweiz in die USA ist also evident.

Die Gründe dafür mögen multipel sein, zwei Erklärungsansätze stechen aber hervor: einerseits das Streben nach einem besseren Zugang zum Heimatmarkt der waffenaffinen USA und andererseits die Suche nach günstigeren rechtlichen Rahmenbedingungen für den Export von Klein- und Leichtwaffen. Ersteres hat damit zu tun, dass unter Präsident George W. Bush (2001-2009) eingeführte Protektionsmechanismen internationale Konzerne in der Vergangenheit vermehrt dazu bewegt haben, direkt in den USA zu produzieren. Da aber die Protektionspolitik in diesem Sektor bereits in die 1990er-Jahre zurückreicht, das Übergewicht des US-Waffenabsatzmarktes ebenfalls kein neues Phänomen ist und der Export deutscher Rüstungsgüter in die USA bislang nie ein Problem darstellte, scheint der verbesserte Zugang zum US-Binnenmarkt nicht der Hauptfaktor für die Verlegung des Sig Sauer-Produktionsstandorts zu sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass diese Entwicklung sich primär über die wachsende Kluft zwischen den nationalen Rüstungsexportkontrollsystemen Deutschlands und der USA erklären lässt.[12]


Illegale Dreiecksgeschäfte von Sig Sauer

In den letzten fünf Jahren sah sich der Sig Sauer-Konzern dem Problem gegenüber, dass er einerseits eine hohe Nachfrage nach Schusswaffen aus Drittstaaten mit extrem schlechter Menschenrechtslage und daher geringen Aussichten auf legale Exportchancen aus Deutschland heraus erhielt, und andererseits die Fabrik in Newington noch nicht fertig gestellt war, während der Exeter-Standort eine zu geringe Erzeugungsrate aufwies. Die Deckung der Nachfrage durch die Produktion in den USA und den Export von US-Territorium aus war also noch nicht möglich. Im Versuch, dieses Dilemma zu lösen, entwickelte Sig Sauer daher für den Waffenexport vermutlich eine Struktur für illegale Dreiecksgeschäfte zwischen Deutschland, den USA und dem jeweiligen Importland. Klarheit über die Existenz solcher Praktiken wird die Antwort auf die Frage bringen, ob wegen des illegalen Exports von Pistolen nach Kolumbien ein Gerichtsverfahren gegen Sig Sauer eingeleitet werden wird oder nicht.

Nach vier Jahren der Ermittlung hat die Staatsanwaltschaft Kiel im April 2018 gegen fünf ranghohe Mitarbeiter des deutschen Sig Sauer-Konzerns Anklage erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, den US-amerikanischen Standort verwendet zu haben, um zwischen 2009 und 2012 indirekt Pistolen nach Kolumbien zu exportieren. Die für Rüstungsexportgenehmigungen zuständige Behörde - das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) - hatte zuvor auf Grund der Sicherheitslage in Kolumbien schon seit 1993 keinen dahingehenden Exportantrag mehr positiv bescheinigt - der legale Export aus Deutschland wäre also kaum möglich gewesen.

Den Auftrag für die Waffenlieferungen stellte das kolumbianische Verteidigungsministerium im Rahmen eines Vertrages mit dem US-Militär zur Ausrüstung der kolumbianischen Nationalpolizei. Auftragnehmer war das Sig Sauer-Unternehmen in den USA. Die Beweislage deutet darauf hin, dass die Sig Sauer-Filiale in New Hampshire - weil unfähig, die Auftragsmenge in Exeter zu produzieren - die Pistolen allerdings aus Eckenförde importierte. Zwar wurde dieser erste Export vom BAFA autorisiert - jedoch unter der Auflage, dass der Endverbleibsort die USA sein würden. Der Weiterexport in ein anderes Land war nicht gestattet. Nichtsdestotrotz wurde das Geschäft wie geplant abgewickelt. Die genaue Anzahl der nach Kolumbien exportierten Schusswaffen ist bisher noch unklar. Während die Staatsanwaltschaft Kiel von 36.628 gelieferten Waffen ausgeht, berichten kolumbianische Medien von bis zu 100.000 importierten Pistolen des Typs SP2022 und 500 Scharfschützengewehren des Models SSG 3000.[13] Wie im Fall der Pistolen soll auch die Mechanik der Gewehre komplett in Eckenförde gefertigt worden sein, während in Exeter nur noch der Kunststoffschaft angebracht wurde. Die Schusswaffen trugen zwar die Gravur "Exeter, NH", die Behörden in Deutschland definieren sie allerdings trotzdem als deutsche Waffen, die nicht hätten weiterexportiert werden dürfen.[14]

In einem etwaigen Strafprozess gilt es nun zu klären, ob die Führungsebene der deutschen Sig Sauer-Firma Kenntnis darüber hatte, dass der Endabnehmer der exportierten Waffen die kolumbianische Nationalpolizei sein würde. Viele Belege deuten darauf hin, dass dies spätestens ab 2009 der Fall war.[15] Wenn auch das Gericht zu diesem Schluss kommt, könnten fünf Sig Sauer-Manager zu jeweils fünf Jahren Haft und die Firma zu einer Strafzahlung von bis zu zwölf Millionen Euro verurteilt werden.[16] Nach neuesten Berichten der Süddeutschen Zeitung wurde Mitte Oktober bereits einer der fünf Angeklagten - der Geschäftsführer der US-Niederlassung von Sig Sauer, Ron Cohen - festgenommen, gegen den seit August 2018 ein europaweiter Haftbefehl ausgeschrieben war. Das Landgericht Kiel wollte Cohen auf diese Weise davon abhalten, sich dem möglichen Prozess gegen ihn und seine Mitangeklagten zu entziehen. Ende Oktober sei der Waffenhändler allerdings in Folge einer Kautionszahlung in Millionenhöhe zunächst einmal wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ob es tatsächlich zu einem Gerichtsprozess gegen Sig Sauer kommt, ist weiterhin unklar. Erst muss das Landgericht Kiel darüber entscheiden, ob es die Hauptverhandlung eröffnet oder nicht.[17]

Während der potentielle Strafprozess gegen Sig Sauer nur den kolumbianischen Fall betrifft, besteht die Vermutung, dass ähnliche Exportmechanismen auch für die Lieferung von Klein- und Leichtwaffen nach Kasachstan und in den Irak angewandt wurden. Nach Berichten der Süddeutschen Zeitung wurden 2005 mehr als 5.000 Pistolen nach Bagdad geliefert, indem zuvor ebenfalls der Umweg über die USA gewählt wurde.[18] Für den kasachischen Fall wurde im Oktober 2012 gegen Sig Sauer ein mittlerweile vor dem Tübinger Landgericht laufender Justizprozess eingeleitet.[19] Auch für illegale Lieferungen nach Brasilien, Pakistan und Indien soll Sig Sauer die Zwischenstation USA gewählt haben, um deutschen Restriktionen zu entgehen.[20] Zudem soll der Konzern über Phantomunternehmen in Rumänien Waffen nach Venezuela exportiert haben.[21]


Sig Sauer-Lieferungen nach Mexiko

Den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung zufolge hat es in den letzten Jahren keine Exporte von Klein- und Leichtwaffen von deutschen Rüstungsfirmen an Mexiko gegeben. Betrachtet man allerdings die Exportzahlen der US-amerikanischen Sig Sauer-Zweigstelle nach Mexiko, sieht der Fall anders aus. So wurden 2015 vom Standort in New Hampshire 7.400 Waffen an Mexiko geliefert - darunter über 3.000 Sturmgewehre, rund 500 Maschinenpistolen und 3.814 Pistolen. Viele dieser Güter wurden an mexikanische Polizeieinheiten übergeben, die in der Kritik stehen, strukturell mit kriminellen Gruppen zu kollaborieren.[22]

Darüber hinaus wurde im Januar 2017 bestätigt, dass US-Behörden Anfang 2015 ein Abkommen zwischen der US-Filiale von Sig Sauer und der mexikanischen Marine genehmigt hatten, in dem für einen Preis von 266 Millionen Dollar der Verkauf von Lizenzen für die Produktion von Pistolen und Gewehren vereinbart wurde. Der Vertrag sieht den Transfer von Fertigungstechnologien bis 2024 vor, sodass Sig Sauer-Schusswaffen direkt in Mexiko produziert werden können.[23]

Der mexikanische Fall untermauert die Vermutung, dass Sig Sauer seine Produktion zunehmend von Deutschland in die USA verlegt, um so uneingeschränkter Schusswaffen in Regionen wie Mexiko liefern zu können, für die es nach den deutschen Regelungen schwierig sein könnte, Exportgenehmigungen zu erhalten. Zwar ist schwer zu sagen, wie viele Sig Sauer-Waffen in Mexiko zirkulieren - klar ist aber, dass sie bereits in aufsehenerregenden Mordfällen in verschiedensten Regionen des Landes zum Einsatz kamen.[24] Dies unterstreicht einmal mehr die Relevanz, die die Unternehmensumstrukturierung deutscher Klein- und Leichtwaffenproduzenten aus friedenspolitischer Sicht hat.


Neue Heckler & Koch-Fabrik in den USA

Im internationalen Vergleich ist Heckler & Koch der zweitwichtigste Produzent von Maschinenpistolen und der wichtigste für die Herstellung von Gewehren, Granatwerfern und Militärpistolen.[25] Wie Sig Sauer ist auch die 1949 im süddeutschen Oberndorf gegründete Heckler & Koch GmbH inzwischen Teil einer internationalen Holding-Gesellschaft. Das Firmenkonglomerat H&K AG besteht aus insgesamt acht Heckler & Koch-Firmen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA. Heckler & Koch ist in der Vergangenheit mehrfach wegen Korruptionsfällen und illegalen Waffenlieferungen öffentlich in Kritik geraten. Aktuell beschäftigen nicht genehmigte Rüstungsexporte des Konzerns nach Mexiko die deutsche Justiz.

Im August 2017 kündigte die Aktionärsgesellschaft der Heckler & Koch GmbH jedoch an, die Exporte künftig auf so genannte "grüne Länder" - d.h. Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) oder des Atlantischen Bündnisses (NATO) bzw. gleichwertige Staaten - beschränken zu wollen.[26] Diese Information wurde von vielen Medien als Versuch interpretiert, die Reputation des Unternehmens wiederherzustellen.[27] Der Vorsatz von Heckler & Koch GmbH ist allerdings wenig wert, wenn die Zweigstelle in den USA, die kürzlich merklich ihre Produktionskraft erhöht hat, weiterhin Schusswaffen in problematische Drittstaaten exportiert.

Nur einen Monat nach dem aufsehenerregenden Beschluss einer neuen Exportpolitik für Heckler & Koch GmbH - im September 2017 - begann die US-amerikanische Schwesterfirma damit, in ihrem neuen Produktionsstandort in Columbus, Georgia, halbautomatische Gewehre herzustellen. Mehrere Anläufe der seit 1976 bestehenden US-Filiale mit dem heutigen Namen Heckler & Koch Defense Inc., seine Zuständigkeit neben dem Vertrieb und der Entwicklung auch auf die Produktion von Heckler & Koch-Waffen zu erweitern, waren in der Vergangenheit gescheitert. Inzwischen aber wird in der Fabrik in Georgia auch das Modell HK MR762A1, eines der führenden Produkte von Heckler & Koch, hergestellt[28], obwohl die Firma anfangs noch angekündigt hatte, den neuen Standort nur zur Produktion von Sportwaffen nutzen zu wollen.[29]

Die Entscheidung, die Fabrik in Georgia zu errichten, fiel in einer Zeit merklicher Gewinnverluste des Heckler & Koch-Konglomerats zwischen 2013 und 2015 sowie einer wachsenden Verschuldungsrate des Unternehmens.[30] Beide Umstände waren neben anderen Faktoren durch die Schwierigkeit bedingt, in Deutschland Exportgenehmigungen zu erhalten. Selbst jüngste Großaufträge konnten der Krise nicht beikommen: der Verkauf von mehr als 100.000 Sturmgewehren an die französischen Streitkräfte und von mehreren tausend G36-Gewehren an die litauische Armee[31] - zusätzlich zu den Exporten in Millionenhöhe an Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und den Libanon.[32] Im Rahmen der Krise kündigte die Firma schließlich einerseits den Bau der US-Produktionsstätte und andererseits die Grüne-Länder-Strategie an - zwei Neuerungen, die in einem engeren Zusammenhang zu stehen scheinen als auf den ersten Blick zu erwarten.

Heckler & Koch begründete seine Expansion in die Vereinigten Staaten wie folgt: "Die USA sind als grünes Land einer der größten und wichtigsten Absatzmärkte für die Heckler & Koch Gruppe. Eine logische Folge der Grüne-Länder-Strategie, auf deren Grundlage wir uns in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung aus zahlreichen Regionen und Ländern dieser Welt zurückgezogen haben, ist, dass wir unsere Aktivitäten in den grünen Ländern ausbauen."[33] Die neue Strategie von Heckler & Koch scheint klar: die Exporte aus den deutschen Standorten auf so genannte "solide" Staaten zu begrenzen und gleichzeitig die Produktion in den USA zu erhöhen, wo die Rüstungsexportkontrollen deutlich weniger restriktiv sind. Wenn Präsident Trump die Exportbedingungen für Klein- und Leichtwaffen in Zukunft wie angekündigt zudem weiter lockert, erhöht sich der Paradiescharakter der USA für die Industrie noch weiter: Exporterleichterungen, ein enormer Binnenmarkt für Rüstungsgüter, eine waffenaffine Regierung, Zugang zu Innovationstechnologien etc.

Zwar ist es noch zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, dass Heckler & Koch eine ähnliche Strategie wie die Konkurrenz Sig Sauer fährt und seine Produktion perspektivisch weitestgehend in die USA verlegt, u.a. um von dort aus leichter in Drittstaaten exportieren zu können - vieles deutet allerdings daraufhin. So ist zu erwarten, dass die US-Filiale in der näheren Zukunft einen großen Teil der globalen Nachfrage nach Heckler & Koch-Produkten decken wird. Anders ist die Investition von 23 Millionen US-Dollar für den Bau der Fabrik in Georgia kaum zu erklären.[34]

Suche nach neuen Aktionsformen

Das relativ funktionstüchtige deutsche Rüstungsexportkontrollsystem bezieht sich auf traditionelle Exportmechanismen der Klein- und Leichtwaffenfabrikanten. Mit langjährigem und strategischem Engagement hat es die deutsche Zivilgesellschaft geschafft, den Kleinwaffenexport zu einem zentralen Punkt auf der politischen Agenda zu erheben. In den - nicht unbedingt seltenen - Fällen, in denen das staatliche Kontrollsystem versagt, bilden sich soziale Koalitionen, die stark genug sind, Skandale zu erzeugen, die oftmals in einem Strafprozess gegen die Rüstungskonzerne enden - wenn auch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Wegen der zunehmend ungünstigen Bedingungen für die Kleinwaffenindustrie in Deutschland reagieren die Unternehmen allerdings mit neuen Strategien - wie der Verlegung der Produktion in die USA.

Angesichts dieser neuen Waffenexportpraktiken, die rein national orientierte Kontrollmechanismen umgehen, müssen auch die Rüstungsexportgegner_innen neue Formen des Aktivismus und der juristischen Anklage entwickeln - auf lokaler, nationaler und globaler Ebene. Lösungsansätze sollten insbesondere im Bereich des Völker- und des Handelsrechts gesucht werden. Dabei bleiben einige Fragen offen: Wie können bereits bestehende rechtliche Regelungen dazu genutzt werden, Rüstungskonzerne an die Exportvorschriften zu binden, selbst wenn diese in den USA produzieren? Wie weit reicht der Wirkungsgrad des deutschen Rechts über eine zwar in den USA, aber mit deutschem Know-How und Kapital produzierte Waffe? Und wie kann das deutsche System der Rüstungsexportkontrolle angesichts der neuen grenzüberschreitenden Exportlogiken wirksam angepasst werden? Hierbei ist ein breites, transnationales Engagement aus Zivilgesellschaft, Journalismus, Wissenschaft und nicht zuletzt der Politik gefragt. Gleichzeitig wird es aber notwendig sein, vor Ort an den jeweiligen Standorten sichtbar zu machen, dass deutsche Technologie, Kapital und Arbeitskraft ihre Vorreiterrolle auf dem internationalen Markt für Klein- und Leichtwaffen nicht verloren haben und die Profite aus den genannten Waffengeschäften weiterhin in Deutschland generiert werden.


Eine spanische Langfassung dieses Textes erschien beim Observatorium für europäische Rüstungsexporte nach Mexiko (euroarmasmx.org).


Anmerkungen

[1] Vgl. Perlo-Freemann, Sam et al.: Trends in International Arms Transfers, 2015, SIPRI, 02/2016, S. 2.

[2] Wir beziehen uns auf die Zahlen vom United Nations Register of Conventional Arms für die Kategorie Small and Light Weapons (SALW), https://www.unroca.org/.

[3] Vgl. Siebold, Sabine: Kaum Exportgenehmigungen mehr: So leidet die deutsche Rüstungsindustrie, n-tv.de, 19.07.2014.
https://www.n-tv.de/politik/So-leidet-die-deutsche-Ruestungsindustrie-article13239466.html

[4] Für eine Zusammenfassung siehe Friederichs, Hauke: Bombengeschäfte: Tod made in Germany, St. Pölten: Residenz Verlag, 2012.

[5] Vgl. Trump; Donald J.: "National Security Presidential Memorandum Regarding U.S. Conventional Arms Transfer Policy, 19.04.2018.

[6] Vgl. Hegemann, Gerhard: Pistolenproduzent setzt wieder auf deutschen Markt, Die Welt, 22.07.2016.
https://www.welt.de/wirtschaft/article157227431/Pistolen-Produzent-setzt-wieder-auf-deutschen-Markt.html

[7] Vgl. Ferrari, Steve: Is my 'Made in Germany' (or West Germany) SIG Really German?, Real Guns Review, 17.03.2016.
https://www.realgunreviews.com/is-my-made-in-germany-or-west-germany-sig-really-german/

[8] Vgl. Annual Firearms Manufacturers and Export Report (AFMER) von 2002 bis 2004.

[9] Vgl. Annual Firearms Manufacturers and Export Report (AFMER) von 2013 bis 2016.

[10] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Endstation Caracas, Süddeutsche Zeitung, 24.07.2014.

[11] Vgl. Friedrichsen, Matthias: Sig Sauer: in Eckenförde noch eine Zukunft?, NDR 1 Welle Nord, 20.08.2014.
https://web.archive.org/web/20140821223909/http:/www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/SIG-Sauer-In-Eckernfoerde-noch-eine-Zukunft,sigsauer168.html

[12] Vgl. Pérez Ricart, Carlos A./Lindsay-Poland, John: Derechos Humanos y exportación legal de armas: Estados Unidos y Alemania frente a la crisis en México (im Druck), 2018.

[13] Vgl. Tagesschau: Illegale Waffenexporte nach Kolumbien, 25.05.2014; Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Scharfschützengewehre fürs Bürgerkriegsland, Süddeutsche Zeitung, 09.08.2014.
http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/waffenlieferungen-von-sig-sauer-nach-suedamerika-scharfschuetzengewehre-fuers-buergerkriegsland-1.2082732

[14] Vgl. Becker, Sven et al.: Pistolen für den Diktator, Der Spiegel 30 (2014), S. 38.

[15] Vgl. Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Anklage gegen Waffenhersteller, Süddeutsche Zeitung, 12.04.2018.
https://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/illegaler-export-anklage-gegen-waffenhersteller-1.3941830

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Die Kolumbien-Connection des Sig-Sauer-Chefs, Süddeutsche Zeitung, 22.11.2018.
https://www.sueddeutsche.de/politik/ruestungsindustrie-die-kolumbien-connection-des-sig-sauer-chefs-1.4223191

[18] Vgl. Becker, Sven et al.: Pistolen für den Diktator, S. 39.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Endstation Caracas.

[22] Vgl. Lindsay-Poland, John: Will The United States Massively Arm The Mexican Military?, Huffington Post, 23.12.2016.
https://www.huffingtonpost.com/john-lindsaypoland/will-the-united-states-ma_b_13535236.html

[23] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Endstation Caracas; Secretaria de Marina: Respuesta a solicitud de información, número de folio 0001300012417, 10.03.2017; bestätigt wurden die Angaben am 18.01.2017 durch eine Aussage von Julia Friefield (Assistant Secretary Legislative Affairs) gegenüber Senator Patrick Leahy.

[24] Vgl. Knight, Ben: German gunmaker Sig Sauer faces criminal charges over Mexico drug killings, Deutsche Welle, 18.08.2015,
https://p.dw.com/p/1GOhQ.

[25] Vgl. Grässlin, Jürgen: Schwarzbuch Waffenhandel: Wie Deutschland am Krieg verdient, München: Heine, 2013, S. 439.

[26] Vgl. Götz, Uschi/Schmale, Oliver: Waffen nur für Demokraten, Deutschlandfunk, 12.11.2017.
https://www.deutschlandfunk.de/heckler-koch-mit-neuem-geschaeftsmodell-waffen-nur-fuer.724.de.html?dram:article_id=402903

[27] Siehe z.B. ebd.

[28] Vgl. Tactical-Life: HK to Build MR762A1 Rifles in New Georgia Factory, 01.03.2018,
https://www.tactical-life.com/firearms/rifles/heckler-koch-mr762a1-rifle/.

[29] Vgl. Waffenbauer Heckler & Koch setzt auf USA, Deutsche Welle, 03.05.2017.
https://p.dw.com/p/2cJFL

[30] Vgl. Nowak, Inge: Heckler & Koch baut das US-Geschäft aus, Stuttgarter Zeitung, 15.05.2015.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.waffenhersteller-aus-oberndorf-heckler-koch-baut-das-us-geschaeft-aus.ba20ec68-be9b-4ae3-ba1a-63bb2298b1a8.html

[31] Vgl. Heckler & Koch: Heckler & Koch erhält G36 Großauftrag aus Litauen, Pressemitteilungen, 31.08.2016;
http://www.heckler-koch.com/de/presse/detail/article/heckler-koch-erhaelt-g36-grossauftrag-aus-litauen.html
Heckler & Koch: Großauftrag aus Frankreich. Heckler & Koch stellt künftiges Sturmgewehr der Franzosen, Pressemitteilungen, 28.09.2016.
http://www.heckler-koch.com/de/presse/detail/article/frankreich-entscheidet-sich-fuer-das-hk416-als-neues-sturmgewehr.html

[32] Vgl. Kabinett billigt millionenschweren Waffendeal mit Oman, Zeit Online, 09.11.2015.
http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-11/heckler-koch-waffen-export-oman-bundessicherheitsrat

[33] Vgl. Götz, Uschi/Schmale, Oliver: Waffen nur für Demokraten.

[34] Vgl. HK-USA Public Relations: Heckler & Koch to Expand in Columbus, Georgia, 12.01.2017,
https://hk-usa.com/heckler-koch-expand-columbus-georgia/.

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Quelle:
IMI-Analyse 2018/27 vom 27. November 2018
Deutsche Waffen made in USA
https://www.imi-online.de/2018/11/27/deutsche-waffen-made-in-usa/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2018

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