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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1236: Scherbenhaufen am Horn von Afrika


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Scherbenhaufen am Horn von Afrika
Die Piraterle ist eine direkte Folge der Militärintervention

Von Anton Holberg


Somalische Piraten haben in den letzten Wochen des Jahres 2008 die sog. Internationale Gemeinschaft imperialistischer Staaten und die ihnen untergeordneten lokalen Oligarchien in Afrika und Asien In höchste Alarmbereitschaft versetzt; die Bundesregierung hat einen weiteren Grund gefunden, Soldaten ins Ausland zu schicken. Das alles wäre nicht nötig gewesen, wenn die sog. "internationale Gemeinschaft" ihre Aufmerksamkeit dem Elend der Bevölkerung Somalias gewidmet hätte.


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Bereits der Zerfall der nationalistischen somalischen Militärdiktatur Siad Barres 1991 und die seitdem anhaltende Anarchie ging ganz wesentlich auf imperialistische Manöver zurück: koloniale Grenzziehung, imperialistische Konkurrenz zwischen Moskau und Washington vermittelt über ihre Unterstützung für Somalia oder Äthiopien. Der Höhepunkt der negativen Einflussnahme wurde jedoch im Jahr 2007, mit der äthiopischen Militärintervention erreicht.

Der in Somalia regierenden "Union Islamischer Gerichtshöfe" (UIC) war es gelungen, zumindest im relativ bevölkerungsreichen Süden des Landes dem über 15 Jahre anhaltenden Treiben der Warlords und Clanmilizen Einhalt zu gebieten. Sie bildete einen Ansatz zur Schaffung einer funktionierenden zentralen Staatsmacht. Dieser Ansatz wurde im Dezember 2006 durch die militärische Intervention Äthiopiens zerschlagen.

Formal wurde die Intervention als legitime Unterstützung der Übergangsregierung im Exil (TFG) verkauft, welche die besagte internationale Gemeinschaft aus einem Sammelsurium von Warlords zusammengeschustert hatte. In Wirklichkeit ging es jedoch darum, dass Äthiopien und die USA in einem von der UIC beherrschten Somalia einen sicheren Hafen für Al-Qaeda sahen, den es im Zuge des weltweiten "Antiterrorkriegs" auszuschalten galt. Äthiopien, Jahrhunderte lang unter der Herrschaft der amharischen Aristokratie der einzige christliche Staat in Afrika, ist zudem auf dem eigenen Territorium in Ogaden mit einer pansomalischen Irridenta konfrontiert, die seit der Unabhängigkeit Somalias bereits mehrfach zu bewaffneten Konflikten auch mit dem Nachbarland geführt hat. Eine von Äthiopien abhängige schwache Zentralregierung wie die TFG sind für Äthiopiens Regierung einer islamistischen und funktionierenden Zentralregierung in Somalia vorzuziehen - am liebsten hätte sie gar keine somalische Zentralregierung.

Mit der militärischen Hilfe der USA, die im ehemals französischen Djibouti - u. a. zusammen mit der Bundesrepublik - die dortige französische Militärbasis für ihre regionalen Interessen nutzen, machte Äthiopien im Dezember 2006 der UIC-Herrschaft den Garaus. Die USA betrachten das äthiopische Regime - ungeachtet aller obligatorischen Kritik an mangelhafter Demokratie - als einen ihrer wichtigsten Verbündeten in der Region. Allerdings zeigte sich schon bald, dass das leichter war, als aus der TFG und ihrem Parlament in Baidoa etwas zu machen, das dem somalischen Nationalismus eigenständig hätte Paroli bieten können; denn der islamistische Widerstand gegen den "äthiopischen Erzfeind" wurde durch die Intervention gestärkt.


Die Folgen des Scheiterns eines Staates

Der Sturz der UIC-Regierung hatte - immer vorausgesetzt, dass sein Ziel tatsächlich die Schaffung eines stabilen Somalias war - mehrere negative Folgen. Am auffälligsten ist die explosive Ausbreitung der Piraterie. Zu Zeiten der UIC-Regierung stellte sie praktisch kein Problem dar, doch inzwischen sind die Gewässer vor der somalischen Küste, durch die nicht zuletzt der Handelsverkehr durch den Suezkanal führt, zu den gefährlichsten der Welt geworden - noch vor der Straße von Malakka und dem Golf von Guinea. Bislang wurden über 110 Schiffe gekapert.

Das Fehlen einer Zentralmacht begünstigt die Ausbreitung der Piraterie, ihre Hauptursache aber liegt im wirtschaftlichen Elend, in das nicht nur der Bürgerkrieg, sondern vor allem auch die Umtriebe internationaler Flotten somalische Fischer gestürzt haben. Von keiner funktionsfähigen Regierung gehindert, haben diese Flotten die reichen somalischen Küstengewässer illegal leer gefischt und überdies die Gelegenheit genutzt, alle möglichen Arten von Industriemüll - offenbar sogar Atommüll - dort gratis zu verklappen. Das geschieht, wie die UN-Umweltorganisation UNEP Ende 2008 feststellte, seit Anfang der 90er Jahre - und zwar unter dem zumindest desinteressierten Blick der militärisch in der Region präsenten imperialistischen Staaten. Die sind jetzt offenbar durchaus in der Lage, die Piraterie militärisch einzudämmen, nicht aber das Unwesen der Flotten.

Eine weitere Folge des Fehlens einer Zentralmacht ist die Tatsache, das über eine Million Somalis derzeit als Flüchtlinge innerhalb oder außerhalb von Somalia von prekärer internationaler Hilfe abhängig sind. Vor allem aber ist durch die äthiopische-imperialistische Intervention das eingetreten, was sie angeblich verhindern sollte: Während Kräfte, die sich an Al-Qaeda orientieren, zur Zeit der UIC-Herrschaft überaus marginal waren, haben sie sich in Gestalt der "Al-Shabab"-Milizen seitdem im Widerstand gegen die äthiopischen Truppen und deren TFG-Anhängsel konsolidieren können. Es ist Äthiopien und der "internationalen Gemeinschaft" nicht gelungen, aus der TFG mehr zu machen als ein Quisling-Regime, überdies eines, das durch permanente interne Querelen lahm gelegt ist, derart, dass der somalische Staatspräsident Abdullahi Yusuf nach vier Jahren Amtszeit am 29. Dezember 2008 das Handtuch warf. In einem Interview mit der Londoner Financial Times hatte Äthiopiens Ministerpräsident Meles Zenawi schon am 28. August den Rückzug der Besatzungstruppen zum Jahresende angekündigt. Die Begründung war im Kern die, dass angesichts des bewaffneten Widerstands die Unkosten untragbar geworden seien und man nicht vorhergesehen habe, dass "die internationale Gemeinschaft zwar gerne auf dem äthiopischen Ross reiten, es aber gleichzeitig prügeln würde". Mit anderen Worten: Die "internationale Gemeinschaft" - sprich: die USA - haben Äthiopien die Kastanien aus dem Feuer holen lassen und an der versprochenen Hilfe gespart. Zenawis Ankündigung wurde später mehrfach von äthiopischer Seite zurückgenommen und dann wieder bestätigt.

Fakt ist, dass der Rückzug zum Jahresende begonnen hat, aber keineswegs abgeschlossen ist. Offensichtlich besteht die Strategie darin, ein Chaos zu hinterlassen. Zunächst wurde mit Hilfe der "internationalen Gemeinschaft" die ins Exil getriebene Opposition der UIC und anderer antiäthiopischer Kräfte gespalten in einen Flügel, der in Eritreas Hauptstadt Asmara, und einen Flügel, der in Djibouti sitzt. Der "gemäßigte" Flügel unterzeichnete in Djibouti ein Abkommen mit der TFG über die Bildung einer Koalitionsregierung. Beiden, aber insbesondere dem letztgenannten Flügel stehen die Al-Shabab-Milizen gegenüber, die die Exilkräfte als "Maulhelden" denunzieren.

Aktuell gibt es in Somalia Auseinandersetzungen zwischen der UIC und der TFG, aber auch zwischen der UIC und den Al-Shabab-Milizen. UIC-Kräfte haben Positionen besetzt, die von äthiopischen Truppen aufgegeben wurden, z. B. den Polizeiposten in Mogadishu und nach heftigen Kämpfen mit den "Shabab" am 10.1.2009 auch die Stadt Balad 30 Kilometer nördlich von Mogadishu. Am gleichen Tag fanden auch heftige Kämpfe zwischen den "Shabab" und einer anderen islamischen Organisation namens "Ahl-u Sunna wal Jamea" um die Stadt Griel in der Region Galgudal statt. Es wird berichtet, dass die äthiopische Armee Clanmilizen ausrüstet, um entweder an ihrer Seite oder nach ihrem Abzug an ihrer Stelle weiterzukämpfen.

Die Tage der TFG sind wohl gezählt; die Anarchie und damit das Elend für die nicht von ihr alimentierte Zivilbevölkerung wird nicht zuletzt dank der äthiopisch-imperialistischen Politik weitergehen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 24. Jg., Februar 2009, Seite 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2009