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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1250: 90 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

90 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland

Von Gisela Notz


Nach langem, schwierigem Kampf konnte am 19. Februar 1919 erstmals eine Frau "als Freie und Gleiche zum Volke sprechen"


Bei der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 26./27.8.1910 in Kopenhagen beantragte Clara Zetkin gemeinsam mit Käthe Duncker und anderen Genossinnen die Durchführung eines Frauentags, der "in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht" dienen sollte. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Der Frauentag 1911 wurde "eine wuchtige, sozialdemokratische Kundgebung für das Frauenwahlrecht". Die Gleichheit berichtete anschließend: "Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen." Bürgerliche Depeschenbüros schätzten die Zahl der Teilnehmer auf 30.000 - "höchstwahrscheinlich gut über die Hälfte zu niedrig", vermutete die Gleichheit.

Am 19. Januar 1919 durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden. Der diesem Erfolg vorausgegangene Kampf war schwierig, weil auch Frauen - bedingt durch unterschiedliche Herkunft und politische Vorstellungen - durchaus nicht die gleichen Interessen einbrachten.

Für die proletarische Frauenbewegung stand das Frauenwahlrecht - eingebunden in die Debatten um eine allgemeine Wahlrechtsreform, denn noch durften nicht überall alle Männer wählen - von Anbeginn an auf dem Programm. Viele bürgerliche Frauen hielten die Forderung bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein für verfrüht, forderten ein Wahlrecht nach dem Vorbild der privilegierten Männer oder hielten ohnehin an der "natürlichen" Bestimmung der Frau "im Dienste des Familien- und Volkswohles" fest.

Clara Zetkin war, wie die meisten klassenbewussten Meinungsführerinnen der Arbeiterinnen, gegen eine "humanitätstrunkene Allerweltsbasenschaft". Sie wollte Seit' an Seit' mit den Männern ihrer Klasse gegen die herrschende Klasse kämpfen - ohne Unterschied des Geschlechts. Der 1863 von Ferdinand Lassalle gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein schrieb sich die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht auf die Fahnen. Die Sozialdemokratie blieb die einzige Partei, die diese Forderung vertrat.

In Deutschland sind viele Wegbereiterinnen gesellschaftlich geächtet, diskriminiert, verfolgt und nicht selten ins Gefängnis geworfen worden. Sozialistinnen waren einer doppelten Unterdrückung und Verfolgung durch die Staatsgewalt ausgesetzt, weil Frauen erst seit 1908 - mit Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes - einer politischen Partei oder Organisation beitreten konnten. Der Paragraph 9 dieses Gesetzes lautete: "Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, dürfen keine Frauenspersonen, Schüler oder Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen." Was "politische Gegenstände" waren, bestimmte die Obrigkeit, meistens ein örtlicher Gendarm. Keine der führenden Frauen der proletarischen Frauenbewegung blieb von Verfolgung verschont.

August Bebel war es, der die Frauen unterstützte. Er beantragte 1875 auf dem Gothaer Parteitag, der Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht für alle Staatsbürger die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen hinzuzufügen. Der Antrag wurde abgelehnt. Ausdrücklich betonten die männlichen Delegierten, die Ablehnung erfolge nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern aus "taktischen" Erwägungen. Sie erwarteten durch die Mobilisierung von Frauen keinen Kräftezuwachs für ihren Kampf. Im Gothaer Programm hieß es dann: "Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht ... aller Staatsangehörigen vom 20. Lebensjahre an." Alle Staatsangehörigen waren alle Männer.

Erst auf dem Parteitag 1891 in Erfurt konnte Clara Zetkin die (meisten) Genossen davon überzeugen, dass "allgemein und gleich" auch die Frauen einschließen musste. Nun stand im Parteiprogramm: "ohne Unterschied des Geschlechts". Als August Bebel 1895 im Deutschen Reichstag ein Gesetz zur Einführung des Frauenwahlrechts einbrachte, rief das bei den Männern aller übrigen Parteien Heiterkeit hervor.

Die Klassenschranken waren unüberwindbar und bildeten die Grenzlinie zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung. Luise Zietz kritisierte ihre bürgerlichen "Schwestern": Der größte Teil, so Zietz, gibt sich mit einem "beschränkten Frauenwahlrecht" zufrieden und kümmert sich nicht darum, wenn die große Masse der Proletarierinnen weiter in politischer Rechtlosigkeit gehalten wird.

Durch die Gründung einer internationalen sozialistischen Frauenbewegung 1907 erhofften sich die Genossinnen stärkere Durchsetzungskraft. Auf dem Kongress in Stuttgart verpflichteten sich die sozialistischen Parteien aller Länder, sich für die Einführung des uneingeschränkten allgemeinen Frauenwahlrechts einzusetzen.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs führte zum Verbot der Internationalen Frauentage. Gertrud Bäumer schuf aus patriotischen Motiven den "Nationalen Frauendienst", ein Betätigungsfeld für konservative Frauen, dessen Ziel die "Aufrechterhaltung der Heimatfront" war. Sozialdemokratische Frauen wie Marie Juchacz folgten der Aufforderung des SPD-Vorstands und beteiligten sich.


Erfolg durch Revolution

Das nahende Kriegsende und die Revolutionswirren gaben der Frauenstimmrechtsbewegung neuen Aufschwung. Das bürgerliche Frauenstimmrechtslager - mit Ausnahme der "Gemäßigten" - begann, mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung zusammenzuarbeiten. Die Gesetzentwürfe der SPD wurden dennoch bis in den Juli 1918 abgelehnt. Im Dezember 1917 überbrachten Frauen verschiedener politischer Richtungen dem Preußischen Landtag eine "Erklärung zur Wahlrechtsfrage", die das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht forderte.

Für die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich 1918 überall formierten, gehörte die Forderung nach dem Frauenstimmrecht zu den zentralen Parolen der Revolution. In der Erklärung des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12. November 1918 hieß es: "Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht ... für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen." Damit war eine Forderung der Frauenbewegung erfüllt, für die sie, wenn auch von unterschiedlichen Standpunkten aus und mit unterschiedlichen Zielsetzungen, jahrelang mit viel Ausdauer, Mut und Fantasie gekämpft hat.

"Meine Herren und Damen", das Protokoll verzeichnete Gelächter, so ungewöhnlich war die Anrede, "es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf", stellte die Abgeordnete Marie Juchacz am 19. Februar 1919 in der Nationalversammlung zu Weimar in der ersten Rede fest, die eine Frau in einem deutschen Parlament gehalten hat. Sie war sich sicher, dass die Frauen der Regierung nicht zu Dank verpflichtet waren: "Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."

In den beinahe 60 Jahren Bundesrepublik ist die "Frauenfrage" nur langsam voran gekommen. Aufgabe von Frauenpolitik bleibt es, darauf hinzuweisen, dass eine Demokratie unvollendet ist, solange soziale Ungleichheit fortbesteht und die Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht in allen Lebens- und Arbeitsbereichen erreicht ist.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009