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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1272: Wie weiter nach dem 28. März?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wie weiter nach dem 28. März?
Eine erste Auswertung

Von Angela Klein


Mit wenigen Ausrutschern und bei kritischeren Tönen auf der Seite der radikalen Linken haben die Organisatoren der Demonstrationen vom 28. März diese einhellig als Erfolg bewertet. Im Detail fällt das Urteil jedoch differenziert aus.


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Der größte Erfolg der ersten Großdemonstrationen gegen die Krise in Deutschland besteht in der Zahl der Teilnehmenden: Die Angaben schwanken zwischen 30.000 und 55.000 (für beide Demos zusammen); hält man sich an die Einschätzung von Michael Schlecht, wirtschaftspolitische Abteilung von Ver.di, wurden "40.000 auf jeden Fall erreicht". Dabei waren es in Berlin mehr als in Frankfurt - und das war eine Überraschung.

Denn die Gewerkschaften Ver.di und IG Metall, die in Frankfurt mit starken Blöcken zugegen waren und von denen man annahm, dass sie die Masse bringen, waren in Berlin nur mit vereinzelten Fahnen sichtbar - obwohl beide Gewerkschaften auch hier aufgerufen hatten. In Berlin bildete Attac den größten Block, gefolgt von der Partei DIE LINKE und verschiedenen Gruppen der radikalen Linken, von denen einige der Interventionistischen Linken nahe stehen (Gruppe soziale Kämpfe, ALB, FelS), und die eine wichtige Rolle in der Mobilisierung gespielt haben.

Die Mobilisierung. Auf einem ersten Nachbereitungstreffen in Frankfurt hieß es dazu, Attac, die Sozialproteste und die radikale Linke hätten ihre Mobilisierungspotenziale ausgeschöpft, die Gewerkschaften noch nicht. Ob die dieser Einschätzung zugrundeliegende Haltung "Wir sind der Riese, wir schlafen nur noch" zukunftsträchtig ist, wird sich weisen, wenn die Krise die Zahl der Erwerbslosen schlagartig verdoppelt. Auf jeden Fall wirft sie die Frage auf, warum auch auf gewerkschaftlicher Seite nur das mobilisiert werden konnte, was von der gewerkschaftlichen Linken angesprochen wurde.

Das war allerdings beachtlich: Aus verschiedenen Teilen der hessischen und baden-württembergischen Metallindustrie wurde berichtet, Vertrauensleute hätten mit Flugblättern in die Betriebe gewirkt und dort einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, das habe es schon lange nicht mehr gegeben. "Da sind nicht nur die Aktiven gekommen, auch 'normale' Kollegen." Allerdings setzte die Mobilisierung hier erst eine Woche vor der Demonstration ein. Vielerorts trauten sich die Organisatoren nicht, so viele Busse zu bestellen, wie sie am Schluss hätten brauchen können, weshalb etliche zu Hause bleiben mussten. Das Mobilisierungspotenzial wurde hier nicht ausgeschöpft.

Kein Aufbruch. Vielfach wird der 28. März mit dem 1. November 2003 verglichen - als ein Bündnis aus Erwerbslosengruppen, radikalen Linken und linken Gewerkschaftern zu einer bundesweiten Demonstration gegen die Hartz-Gesetze nach Berlin aufrief und überrascht war, welch große Resonanz sie erfuhr - bis hin zum spontanen Anschluss zahlreicher Berliner; am Schluss wurden 100.000 Teilnehmer gezählt. In dieser Demonstration entlud sich der über Jahre aufgestaute Zorn über die Abrissbirne, mit der der Sozialstaat von einer "rot-grünen" Regierung zerschlagen wurde. Auf den 1. November folgten die Montagsdemos und die Gründung der WASG.

Einen ähnlichen Aufbruch hat der 28. März nicht bewirkt. Das hat mehrere Gründe:

Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten. Das Tor für schonungslose Kapitalismuskritik steht heute weit offen, auf der mentalen Ebene gibt es einen Radikalisierungsprozess, in der Praxis aber noch nicht. Die Angst ist immer noch größer als der Zorn. In den Metallbetrieben ist die Entwicklung dramatisch: Überall werden kleinere und mittlere Betriebe dicht gemacht; die Großbetriebe haben alle Kurzarbeit eingeführt (es sind jetzt über eine Million!); die Zahl der registrierten Erwerbslosen ist nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zwischen September 2008 und März 2009 um eine halbe Million auf 3,5 Millionen gestiegen. Jeder weiß mehr oder weniger genau, dass die Wirtschaftskrise erst nach der Bundestagswahl so richtig auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird - und das vor dem Hintergrund dramatisch gekürzter Leistungen für Arbeitslose und einer Entrechtung der Hartz-IV-Beziehenden.

Spaltung. Verwiesen wurde auch auf die ungleichen Auswirkungen der Krise: Am stärksten spürten sie derzeit die Prekären und die Kollegen aus der exportorientierten Metallindustrie. Die Leiharbeiter waren die ersten Opfer der Krise, die Exportwirtschaft breche dauerhaft weg, weil die Verschuldungsblase in den Abnehmerländern geplatzt sei. Andere Sektoren der Bevölkerung hingegen hätten in diesem Jahr mehr bekommen als früher - z.B. habe es erstmals eine Rentenanhebung und auch nennenswerte Lohnerhöhungen gegeben.

Andere betonten, in den Gewerkschaften gebe es "eine richtige Spaltung". Die Vorstände der Einzelgewerkschaften und der DGB hatten die Beteiligung an den Demonstrationen vom 28.3. abgesagt mit Verweis auf die Mobilisierung am 16. Mai, zu der der Europäische Gewerkschaftsbund aufruft; der DGB mobilisiert an diesem Tag nach Berlin und organisiert in den Tagen davor einen "Kapitalismuskongress" (nicht etwa einen Antikapitalismuskongress). Der tiefere Grund aber sei, dass die SPD die Gewerkschaften seit einem Jahr wieder richtig umwirbt. "Schwarz-Gelb verhindern" lautet die Melodie, die sie wieder verbinden soll. Die IG Metall hat für den 9. September eine Kundgebung vorgesehen, die man nur als Wahlkampfveranstaltung für die SPD verstehen kann.

"Die Gewerkschaftsbezirke, in denen die SPD dominiert, haben die Demo vom 28.3. abgelehnt; die haben sie zum Teil richtig bekämpft", erklärte Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart. "Andere hätten sich der Demo schon gern angeschlossen, sind aber umgefallen, als der DGB seine Beteiligung abgesagt hat." Die Gewerkschaftslinke aber habe regelrecht, und erfolgreich, mobilisiert. Der 28. März habe deshalb in den Gewerkschaften auch mehr bewegt als der 1. November. Die Ausstrahlung der Demonstrationen in die Büros und Betriebe sei größer, als auf den Demonstrationen sichtbar wurde.

Wie aber soll es jetzt weiter gehen? Dazu haben wir nachstehend einige Wortmeldungen von Organisationen eingeholt, die das Bündnis getragen haben.


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KASTEN I


Bernd Riexinger (Ver.di Stuttgart)

Viel wird davon abhängen, ob sich die Gewerkschaften dazu durchringen können, die außerparlamentarische Mobilisierung für politische Positionen und Lösungsansätze mit der Gegenwehr gegen Entlassungen und Arbeitsplatzabbau zu verbinden. Eine Position des Haltens um jeden Preis, oder gar "Wir müssen schauen, dass wir die Krise mit Konkurrenzvorteilen überstehen", oder ein Kampf der Branchen um die größten Anteile am Konjunkturprogramm wäre höllisch gefährlich; genauso die längst zu beobachtende stärkere Anschlussfähigkeit an die SPD und an eine Politik, die auf die Fortsetzung der großen Koalition orientiert. Beides wäre eine Bankrotterklärung an das politische Mandat der Gewerkschaften.

In dieser Phase organisieren verschiedene Verwaltungsstellen der IGM in Baden-Württemberg in den ersten Maiwochen betriebliche Aktionstage für einen Schutzschild für Arbeitsplätze. Es wurde leider kein Versuch unternommen, mit anderen Gewerkschaften oder Bündnispartnern ins Boot zu kommen. So sind diese Aktionen zwar uneingeschränkt zu begrüßen, schon allein weil sie während der Arbeitszeit stattfinden und die Option auf politischen Streik aufrecht erhalten. Aber sie stehen relativ isoliert im Raum, ohne größere Klarheit über die gesellschaftliche Perspektive oder den ernsthaften Willen, ein breites gesellschaftliches Bündnis der Gegenwehr aufzubauen.

Handlungsmöglichkeiten eröffnen sich den Gewerkschaften nur dann, wenn sie ihre Aktivitäten in einen gesellschaftlichen/politischen Zusammenhang stellen. Einige wichtige Grundlinien dafür könnten sein:

Stärkung des öffentlichen Sektors. Mehr Geld in Bildung, Soziales und Ökologie.
Schutzschild für Arbeitsplätze. Dazu gehört auch die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Vermutlich muss diese jedoch als gesellschaftliche Forderung formuliert werden, verbunden mit staatlicher Hilfe, weil immer mehr Betriebe kurz vor der Insolvenz stehen.
Vermögensteuer/Millionärssteuer.
Verstaatlichung und öffentliche Kontrolle der Banken.
Forderung nach Wirtschafts- und Sozialräten, wie sie die IGM in Esslingen fordert.
Und vor allem die Forderung nach dem politischen Streikrecht.

Die nächsten konkreten Schritte sind relativ klar. Bei den Mai-Kundgebungen müssen die Forderungen und Positionen zur Krise in den Mittelpunkt gestellt werden. So kritikfähig die Vorgehensweise des DGB zum 16.5. ist, die Demonstration in Berlin muss ein Erfolg werden. Ein Misserfolg, würde außerparlamentarische Aktivitäten im DGB eher hemmen. Die Bildungsstreiks Mitte Juni müssen vom Bündnis, aber auch von den Gewerkschaften, unterstützt werden.

Von zentraler Bedeutung ist die Bildung von örtlichen/regionalen Bündnissen unter Einschluss der Gewerkschaften. Wir können nicht nur zentrale Aktivitäten organisieren. Etappenweise soll der politische Streik vorbereitet werden. Spätestens dann, wenn nach den Bundestagswahlen die ersten massiven Angriffe auf die Sozialsysteme folgen. Bei der Verteidigung von Arbeitsplätzen und beim Kampf gegen die Zerschlagung der Betriebe dürfen "neue" Aktionsformen, wie Betriebsbesetzungen, Boykott oder die Blockierung von Verkehrsknotenpunkten nicht ausgeschlossen werden.


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KASTEN II


Gruppe Soziale Kämpfe, Berlin

Die gesellschaftliche Linke muss versuchen, an den Brüchen des herrschenden Krisenmanagements anzusetzen, um über ein breites gesellschaftliches Bündnis Gegen-Macht aufzubauen und darin Alternativen zum Kapitalismus zu verbreitern.

Dabei sollten drei Bereiche zentral sein:

soziale Absicherung und Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum, z. B. Grundsicherung - Mindestlohn - Arbeitszeitverkürzung.
längerfristig Ent-Privatisierung von öffentlichen Gütern, soziale und ökologische Ausrichtung der Wirtschaft durch globale Umverteilung, Vergesellschaftung wichtiger Wirtschaftsbereiche, Demokratisierung.
Entwicklung sozialistischer Perspektiven jenseits der zyklischen Krisen des Kapitalismus.

Die Kooperation von Gewerkschaftslinken, Attac, Linkspartei, Sozialprotesten und antikapitalistischen Gruppen war nicht ohne Schwierigkeiten, könnte aber in der derzeitigen Situation die Leerstelle eines neuen gesellschaftlichen Projekts füllen. Einzelnen Akteuren alleine wird es kaum gelingen, eine umfassende Gesellschaftsveränderung voranzubringen und über Milieugrenzen hinaus Leute für verschiedene Formen von Protesten zu mobilisieren. Wir sollten den Bündnisprozess verbreitern: in vielen Städten und Regionen Bündnisse gründen und z. B. das NGO-Spektrum einbeziehen. Dabei ist es nicht sinnvoll, Kapitalismuskritik strategisch für die Akzeptanz in der "Mitte" auszutauschen: wir müssen über die ausschließliche Kritik des Neoliberalismus hinausgehen.

Schritte in Richtung politische Streiks und Generalstreik könnte andere Kämpfe und Gruppen, die nicht streiken können, mit einbeziehen und sich so über die Betriebe hinaus gesellschaftlich verankern. Etwa durch politische Streikaktionen in den Betrieben, die durch Straßenblockaden von Solidaritäts-Initiativen aus dem Bewegungsspektrum unterstützt werden; Job-Center-Aktionen; Solidaritätsstreiks von IGM und Verdi; gewerkschaftliche Unterstützung in der Bildungsstreikwoche.
Die Fantasie kommt beim Kämpfen.
www.gruppe.soziale-kaempfe.org


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KASTEN III


Tim Laumeyer (Antifaschistische Linke Berlin)

Am 28. März hat sich die organisierte Linke ihrer selbst vergewissert. Das war voll in Ordnung, die Erwartungshaltungen innerhalb des Vorbereitungskreises waren nicht viel größer. Die Menschen sind allerdings zum jetzigen Zeitpunkt weder bereit, die Krise als Kampfansage für eine bessere Wirtschaftsform, noch als Abwehrkampf gegen die Sozialisierung der Verluste zu begreifen.

Damit stellt sich für die organisierte Linke die Frage, was als Nächstes kommen soll.

Ich plädiere für eine längerfristige Kampagne, welche zum einen die Möglichkeit für die Linke bietet, wieder in das Feld des Politisch-Sozialen zu intervenieren, und gleichzeitig die Chance beinhaltet, den Menschen (der Arbeiterklasse!) einen Orientierungspunkt zum Kämpfen zu geben.

Dies sollte die Forderung nach einem politischen Streikrecht sein. Recht auf Streik? Das Streiken muss erkämpft werden! Richtig, nur müssen wir hierbei folgendes bedenken: In Deutschland gibt es keine Tradition der Klassenkämpfe in den Betrieben oder auf der Straße. Insofern bedarf es erst einer Idee, einer Forderung, welche sich dann in Klassenkämpfen äußern kann. Der Wunsch nach einem Generalstreik heißt noch lange nicht, dass er auch geschieht. Die Forderung nach dem politischen Streikrecht lässt sich ein Stück weit mit der Forderung nach einem Mindestlohn dahingehend vergleichen, dass nur weil andere Länder diesen bereits haben und in Deutschland Hunderttausende für Hungerlöhne arbeiten, trotzdem niemand von ihnen auf die Idee kam, sich für solch eine Forderung einzusetzen. Diese ist inzwischen aber deutlich mehrheitsfähig.

Mit einer bundesweiten Kampagne für das Recht auf politischen Streik haben wir folgende Vorteile: Die Forderung setzt die sozialpartnerschaftlichen Organisationen von links unter Druck, stärkt gleichzeitig ihre linken Flügel, ist bundesweit bei sämtlichen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konflikten einsetzbar, spricht die breite Masse der Bevölkerung an (alle, die in irgendeinem Beschäftigungsverhältnis stehen) und kann von den verschiedensten linken Gruppen in ihre eigene Politik und Kämpfe mit eingebunden werden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 24. Jg., Mai 2009, Seite 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009