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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1291: Nachbetrachtung zu Durban II


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Nachbetrachtung zu Durban II
Rassismus ist der schlimmste Vorwurf
Liliane Cordova-Kaczerginski über die Wurzeln der israelischen Apartheid

Von Sophia Deeg und Angela Klein


Die UN-Konferenz gegen den Rassismus, die im April in Genf stattfand, war von Anfang an Zielscheibe heftiger Kritik und Boykottdrohungen seitens der USA und der EU. Im Hintergrund setzte Israel alles daran, dass der Zionismus diesmal nicht als Form von Rassismus kritisiert wurde wie 2001 in der Abschlusserklärung der ersten UN-Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban.


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Liliane Cordova-Kaczerginski hat an der Konferenz teilgenommen. Wir trafen sie in Berlin - eine Frau mittleren Alters, die einen erstaunlichen Lebensweg hinter sich hat: Hineingeboren in eine jüdisch-kommunistische Familie, die nach Argentinien auswandern musste, musste sie sich auch dort vor der Militärdiktatur retten; als glühende Zionistin wanderte sie nach Israel aus, wo sie jedoch gründlich eines Besseren belehrt wurde. Als überzeugte Antizionistin kehrte sie dem Land in den 70er Jahren wieder den Rücken und lebt seither in Paris.

Liliane Cordova-Kaczerginski ist Mitbegründerin des International Jewish Anti-Zionist Network (IJAN, www.ijsn.net), das in Genf die massive Intervention israelischer Vertreter sowie zionistischer Organisationen und Apologeten kritisierte, die die Durban Review Conference haben entgleisen lassen und das Gedenken an den Völkermord der Nazis dazu missbrauchte, um die israelische Unterdrückung Palästinas und dessen ethnische Säuberung zu rechtfertigen. Mit ihr sprachen Sophia Deeg und Angela Klein.

Durban I war für die Zionisten ein Trauma, erklärt uns Liliane. Die UN-Konferenz gegen Rassismus hatte 2001 Israel zu einem rassistischen Staat erklärt. "Das ist das Schlimmste, was ihnen passieren kann, schlimmer noch als der Vorwurf, dass sie die Menschenrechte mit Füßen treten. Zionisten meinen, sie haben ein Recht, die Menschenrechte zu missachten - Palästinenser sind eh alles nur Terroristen. Aber wenn man ihnen Rassismus vorwirft, dann verlieren sie ihre jüdische Ausnahmerolle, ihre Singularität." Zionisten sehen im jüdischen Volk etwas Besonderes, auf das die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nur bedingt anwendbar sind.

Das wollen wir genauer verstehen. Dazu holt Liliane sehr grundsätzlich aus: "Nach zionistischen Vorstellungen basiert die Konzeption der jüdischen Nation auf der Blutszugehörigkeit; sie ist insofern rassistisch: Jude ist, wessen Mutter jüdisch ist." Eine solche Konzeption der nationalen Identität schließt andere von vornherein aus: "Wie kann man da jüdisch sein, ohne Teil der Unterdrücker zu sein?" In dieser Logik kann man nicht zur jüdischen Nation gehören, ohne Zionist zu sein.

Die Begründung für eine solch identitäre Definition der Nation speist sich aus der Suche nach der "jüdischen Besonderheit". Diese leitet sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts natürlich aus dem Holocaust ab, der mit nichts anderem in der Geschichte vergleichbar sei.

Liliane ist mit dieser Auslegung der Einzigartigkeit des Holocaust nicht einverstanden: "Sicher war er einzigartig, weil es geplanter, industriell durchorganisierter Völkermord war. Aber was uns an der Shoah aufrütteln muss, ist nicht die Besonderheit ihrer Durchführung, sondern dass sie Teil der allgemeinen Unmenschlichkeit war. Diese Unmenschlichkeit begegnet uns immer wieder, auf Schritt und Tritt. Aus dieser 'jüdischen Besonderheit' muss man heraustreten", denn sie führt dazu, eine "jüdische Essenz" zu konstruieren, und "das ist im Kern antisemitisch". Die Lage der Juden heute sei mit der bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht vergleichbar: Juden gehören heute überall zur privilegierten Schicht. Und in Israel führen sie sich als Herrenvolk auf. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, es sei denn, man betont die "jüdische Ausnahme", die "jüdische Einzigartigkeit".


Apartheidstaat

Liliane legt Wert darauf, dass der Zionismus eine historische Erscheinung ist, die ihre Wurzeln nicht in der Shoah hat. Auch dass er die tragende Ideologie der in Israel lebenden Juden wurde, hat weniger mit der Shoah als mit der Gründung des Staates Israel zu tun.

"Erst 1934 hat eine religiöse Strömung angefangen, den religiösen Zionismus zu erfinden. Der Bau jüdischer Siedlungen in Palästina wurde aus Frankreich und den USA bezahlt; die Siedler ließen sich dort mit einer Haltung der Überlegenheit der weißen Rasse gegenüber der einheimischen Bevölkerung nieder. Bis 1947 war die große Mehrheit der Juden nicht zionistisch."

Liliane sieht im Zionismus eine Variante des Imperialismus; Israel war und ist ein Kolonialprojekt. Aber noch wichtiger findet sie die Charakterisierung Israels als Apartheidstaat. "Es ist ein institutionalisiertes Apartheidsystem. Das israelische Gesetz unterscheidet zwischen der Nation und den Bürgerrechten. Die Nation hat alle Privilegien, alle Rechte, und den Anspruch auf den Boden. Kein Nichtjude kann die vollen Bürgerrechte bekommen."

93% alles Bodens in Israel gehört dem Jüdischen Nationalfonds; er hat sich alle Ländereien angeeignet, die den Palästinensern gestohlen wurden. Theoretisch könnten damit nur 7% des Grund und Bodens an Palästinenser verkauft werden. Der Fonds reserviert die Nutzung der Ländereien aber für Juden. Er hat den Status einer karitativen Vereinigung und ist in Ländern wie den USA, Großbritannien und Kanada steuerbegünstigt. Daneben sorgt die Jewish Agency, eine weitere weltweit operierende zionistische Organisation, für die Anwerbung jüdischer Immigranten nach Palästina, für deren Versorgung mit Wohnungen und Arbeitsplätzen und für ihre zionistische Erziehung. Die Jewish Agency hat einen paragouvernementalen, halbdiplomatischen Status; sie kann Forderungen aufstellen, die der israelische Staat nicht aufstellen kann.

Seit 2001 hat sich Israel auf die Durban-Nachfolgekonferenz vorbereitet. Im Bündnis mit den USA und der EU hat es alles daran gesetzt zu verhindern, dass in Genf eine Erklärung verabschiedet wird, die den Zionismus als eine Form von Rassismus kritisiert. Der Vorwurf der Apartheid trifft Israel am härtesten. Die Abschlusserklärung von Genf spricht deshalb von Islamophobie, von Sklaverei, aber nicht von Palästina und auch nicht über Entschädigungen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 24. Jg., Juni 2009, Seite 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009