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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1334: Postvorstand will Macht der Gewerkschaft brechen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Postvorstand will Macht der Gewerkschaft brechen
Unternehmer radikalisieren den Klassenkampf

Von Jochen Gester


Die Krise als Chance, sagen sich Großkonzerne und versuchen, bei der Zurückdrängung der Macht der Gewerkschaften nun einen Schritt weiter zu gehen.


Die heutige Deutsche Post DHL AG ist das Ergebnis der Mitte der 80er Jahre eingeleiteten Privatisierung des ehemaligen Staatsunternehmens Deutsche Bundespost. Dieser Prozess hat die betriebliche Situation der mittlerweile um 40% reduzierten Belegschaft stark verändert. Verbeamtete Beschäftigte mit der Möglichkeit zu lebenslanger Beschäftigung und einem verlässlichen Bewährungsaufstieg prägen längst nicht mehr das Unternehmen. Die Arbeit wird zunehmend intensiviert, mehr Arbeit ruht auf weniger Schultern. Dafür macht das Unternehmen gute Profite: Selbst in der aktuellen Krise steht es noch auf Platz 10 der 30 DAX-Unternehmen. Das Konzernjahresergebnis ist seit Jahren nicht mehr unter die Milliardengrenze gesunken.

Die Fortschreibung dieser Bilanz, die die Aktionäre mit seit 2001 jährlich steigenden Dividenden erfreut, wird nun durch die Folgen der derzeitigen Wirtschaftskrise bedroht. Die prognostizierten Gewinne für 2009 sollen auf "nur" noch 1,2 Mrd. Euro sinken. Für die Geschäftsleitung ist dies Anlass, den Druck auf die Belegschaften weiter zu erhöhen. Der Vorstand wendet sich mit seinen Vorstellungen nicht an die Gewerkschaft, sondern präsentiert sein Forderungspaket den Medien und erklärt es zugleich für alternativlos. Auf der Wunschliste steht die Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden, die Aussetzung der vereinbarten Tariflohnerhöhung für 2009, die Einführung von Niedriglohngruppen für Neueingestellte. Auch sollen die für alle Mitarbeiter geltenden Pausen von 6 Minuten pro Stunde wieder abgeschafft werden.

Der Vorstandsvorsitzende Appel sprach in der Financial Times Deutschland Klartext: "Ich will die Krise nutzen, um Ver.dis Macht zu brechen." Falls sich die Gewerkschaft sperren sollte, droht Appel mit der Fremdvergabe von Zustell- und Fahrdienstleistungen. Ein Hammer ist sein Vorschlag, das gesamte Unternehmen in eine "First Mail"-Gesellschaft zu überführen, in der nach einer Nachwirkungszeit von einem Jahr sämtliche Tarifverträge zur Disposition stehen. Rechtlich liefe der Übergang nach Paragraph 622 BGB.

Ver.di hat die Forderungen des Vorstands bis jetzt klar abgelehnt und hat - was wirklich wichtig ist - den Rationalisierungstarifvertrag 444 und 3O6 gekündigt, um alle Teile der Belegschaft arbeitskampffähig zu machen. Auch wurde der Termin geschickt auf den Herbst gelegt, um so stärkeren Druck aufbauen zu können. Die Situation ist auch insofern ungewöhnlich zugespitzt, als Vorstand und Gewerkschaft jeweils 6-7 Punkte verhandeln wollen. Gleichzeitig haben beide Seiten ausgeschlossen, über die Forderungen der anderen Seite verhandeln zu wollen.

Dennoch ist fraglich, ob es gelingt, diese Position durchzuhalten. Aktive Gewerkschafter fürchten, dass die Kollegen einknicken könnten, sollte es dazu kommen, dass die Deutsche Post AG glaubhaft die "First Mail"-Karte zieht. Die Befürchtungen speisen sich aus mehreren Punkten. Zum einen ist die bisherige Medienarbeit von Ver.di zu schwach. Vor September gab es gar keine. Es mangelt auch an einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Angstpropaganda der Post AG gegenüber der Belegschaft. Zum zweiten nützt auch der noch ungewöhnlich hohe Organisationsgrad von über 70% wenig, wenn die Notwendigkeit nicht gesehen wird, die Mitglieder aktiv einzubeziehen. Die Gewerkschaft ist bei der Post zwar streikfähig, sie ist hier aber auch extrem zentralistisch organisiert, die selbstständige Bewegung ihrer Mitglieder wird wenig gefördert, um nicht zu sagen behindert.

So wurde der Antrag einer Berliner Betriebsgruppe, die laufenden Tarifverhandlungen mit wirksamen Aktionen vor der Ver.di-Zentrale zu begleiten, abgelehnt, weil man Angst vor Störungen hatte. Eine Briefzustellerin einer Ver.di-Betriebsgruppe hat das mir gegenüber so beschrieben: "Die schätzen das als Störfaktor ein und sagen: Stoppt alle Aktionen. Aber dieses 'Stoppt alle Aktionen' hatten wir schon mal, als wir ganz zu Anfang unsere Arbeitsgruppe installiert haben. Als wir Vorschläge gemacht haben, was man alles so machen kann, hieß es plötzlich in einem Ver.di-Gremium: Arbeitsgruppen machen nichts, keine Arbeitsblätter, keine Erklärung an die Beschäftigten... Das haben wir dann abgewehrt und so legitimiert, dass wir jetzt eine eigenständige Arbeitsgruppe sind. Und wir sind so eigenständig, dass wir uns auf der Betriebsversammlung zu Wort melden, auch wenn wir am Thiede-Ufer nicht gern gesehen sind."

Ihr Gewerkschaftskollege aus dem Sortierdienst meint, damit solle man sich nicht abfinden und das Thema nochmal auf der nächsten Betriebsgruppensitzung ansprechen. Mit Blick auf die bekannten Gefahren beim Zustandekommen unliebsamer Verhandlungsergebnisse fügte er hinzu: "Wir müssen unbedingt verlangen, dass die jeweiligen Verhandlungsergebnisse zuerst intensiv in der Belegschaft diskutiert werden, bevor sie angenommen werden. Sonst setzt die Tarifkommission Fakten und der Vorstand setzt Fakten, und du stehst da und denkst, ich als einfaches Mitglied bin zwar dagegen, aber da können wir jetzt eh nichts mehr machen."

Schließlich spielt noch ein weiterer Aspekt eine Rolle: Gerade die aktuelle Auseinandersetzung um die Bahnprivatisierung und die Erfahrung mit dem S-Bahn-Desaster in Berlin zeigen, dass die Öffentlichkeit - sprich andere Lohnabhängige, die öffentliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen und an ihrer Qualität und Verlässlichkeit interessiert sind - eine ganz entscheidende Rolle dabei spielen, ob die Beschäftigten, die diese Leistungen organisieren, sich mit Erfolg Gehör verschaffen oder durch die bürgerliche Meinungsmacht an den Rand gedrängt werden. Doch die Mobilisierung dieser Ressourcen wird bei den Postdiensten dadurch erschwert, dass gewerkschaftlich nur noch Position gegen die Folgen der Postprivatisierung bezogen wird, aber nicht mehr gegen die Privatisierung selbst, nachdem die Kampagne gegen die Privatisierung der Post in den 80er Jahren gescheitert ist.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (A/A)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2009