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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1342: Über den Kampf gegen Zensur im Internet


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Löschen statt sperren!"
Rainer Klute (Piratenpartei) über den Kampf gegen die Zensur im Internet

Von Rolf Euler


Die Piratenpartei wurde in Deutschland im September 2006 gegründet; neun Monate nach der Gründung des Vorbilds in Schweden. Seit Mitte 2009 verfügt sie über Landesverbände in allen Bundesländern. Sie bat sogar einen Jugendverband, die "Jungen Piraten". Den üblichen Organisationsaufbau mit Bezirks-, Kreis und Ortsverbänden haben die Landesverbände NRW und Berlin durch "Crews" mit einer Größe zwischen 5 und 9 Mitgliedern ersetzt.

Erstmals nahm die Piratenpartei an den Landtagswahlen in Hessen 2008 teil, danach an einigen Landtagswahlen, der Europawahl und der Bundestagswahl. Bei letzterer holte sie 2%. Bei den Kommunalwahlen in NRW erlangte sie jeweils einen Sitz im Stadtparlament von Aachen und Münster. Ihre Hochburgen hat sie in Universitätsstädten, auch im Osten.

Die Partei setzt sich u.a. für die Ausdehnung des Datenschutzes, eine Reform des Urheberrechts und des Patentrechts sowie für freien Zugang zur Bildung un zu wissenschaftlicher Literatur ein.

Für die SOZ sprach Rolf Euler mit RAINER KLUTE von der Landespressestelle NRW der Piratenpartei Deutschland.


SOZ: Was treibt die Piraten an? Die "Freiheit der Meere" aus früheren Zeiten als Beispiel für heutige Politik? Oder "Freibeuter" bei anderen Parteien sein, um ihnen Stimmen abzujagen?

RAINER KLUTE: Die größte Antriebskraft der Piraten ist der stetige Abbau der Bürgerrechte in den letzten Jahren. Die Anhänger unserer Partei sind nicht länger gewillt, tatenlos mit anzusehen, wie durch immer neue Gesetzesänderungen ihre Freiheit immer stärker eingeschränkt wird.

Ein wichtiger Auslöser der Piratenbewegung in Deutschland war das 2008 geschaffene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Dieses schreibt eine Speicherung der Telekommunikationsdaten für einen Zeitraum von 6 bis 7 Monaten vor. Dies schließt E-Mail, Handy, Festnetz und andere Kommunikationsnetze ein. Gespeichert werden die Daten aller Kommunikationsteilnehmer. Die Nutzung entgeltlicher Anonymisierungsdienste ist verboten.

Mit Hilfe dieser Daten ist es zum Beispiel möglich, Bewegungsprofile der Handy-Nutzer zu erstellen, geschäftliche Kontakte zu rekonstruieren oder auf das soziale Umfeld und die persönlichen Vorlieben von Menschen zu schließen. Zugriff auf die Daten können Polizei, Staatsanwaltschaft und ausländische Staaten bekommen, die sich davon eine verbesserte Strafverfolgung versprechen.

Abgesehen von der generellen Tragweite und der zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes greift es zudem in verfassungsrechtlich geschützte Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Die Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwälten und Ärzten und das Seelsorge- bzw. Beichtgeheimnis von ordinierten Geistlichen sind nicht mehr gewährleistet.

Dass die Piraten den anderen Parteien ihre Stimmen abjagen ist nur ein Nebeneffekt unserer Politik der uns zeigt, dass die etablierten Parteien es in den letzten Jahren verschlafen haben, die Bürgerrechte zu schützen.


SOZ: Warum gründet Ihr ausgerechnet eine Partei für die Verfolgung eurer Ziele, wo doch die Parteien täglich zeigen, wie wenig sie innerhalb der etablierten politischen Institutionen zu positiven Veränderungen in der Lage sind?

RAINER KLUTE: Wenn wir in Deutschland etwas verändern wollen, geht das nur, wenn wir in den Parlamenten vertreten sind. Das ist nur als Partei möglich. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Petitionen, themenbezogene Arbeitskreise und Bürgerinitiativen bei den etablierten Politikern keine wirkliche Beachtung finden. Als Partei werden wir mit unseren Zielen aber durchaus wahrgenommen, da wir die Etablierten Wählerstimmen kosten. Das war im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahl zu beobachten, denn viele Politiker waren gezwungen, sich mit uns und unseren Themen auseinanderzusetzen. Unabhängig davon stehen uns als Partei viele Möglichkeiten offen, die wir mit einer anderen Organisationsstruktur nicht hätten. Und als Partei geben wir den Bürgern die Möglichkeit, sich bei Wahlen explizit hinter unsere Ziele zu stellen und uns damit voranzubringen.


SOZ: Wenn es um Freiheit vor Bespitzelung und Bevormundung geht - wie machen die Bewegung, aus der Ihr kommt, und eure Partei da Dampf?

RAINER KLUTE: Im Moment sehen wir es als unsere wichtigste Aufgabe an, die Bevölkerung aufzuklären. Viele Bürger wissen gar nicht, wie stark sie schon durch den Staat kontrolliert werden. Oder sie erfassen die möglichen Auswirkungen nicht. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, wie die Ergebnisse der letzten Wahlen gezeigt haben.


SOZ: Der Gesetzgeber hat das BKA mit der Sperrung von Selten beauftragt, die über Kinder-Porno-Links verfügen. Das ist sicher ein Thema, woran sich die Freiheit des Internet nicht definieren kann. Wie grenzt sich eure Forderung nach Nichtüberwachung da ab?

RAINER KLUTE: Um es ganz klar zu sagen: Die Piratenpartei ist selbstverständlich gegen Kinderpornografie. Wir wollen das Internet nicht zu einem rechtsfreien Raum machen. Im Gegenteil, wir wünschen uns, dass mehr Polizeikräfte eingesetzt werden, um Verbrechern im Internet das Handwerk zu legen. Uns ist aber wichtig, dass der Staat nicht versucht, die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Das von Familienministerin Ursula von der Leyen durchgesetzte Zugangserschwerungsgesetz wird die Kriminalität im Internet nicht reduzieren. Ihr geplantes Stoppschild ist kinderleicht zu umgehen und außerdem verfassungsrechtlich bedenklich, weil es keinen richterlichen Beschluss für die Sperrung von Seiten im Internet verlangt, sondern diese Aufgabe dem Bundeskriminalamt (BKA) überträgt. Für Einzelpersonen, Unternehmen oder Institutionen kann das Gesetz existenzbedrohend sein, wenn deren Web-Auftritt "versehentlich" auf die Sperrliste des BKA gelangt.

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt am Gesetz ist die damit verbundene Möglichkeit, eine Zensurinfrastruktur aufzubauen, mit deren Hilfe sich beliebige Inhalte sperren lassen, beispielsweise missliebige politische Aussagen.

Im schlimmsten Fall kann das Gesetz sogar genau das Gegenteil von dem bewirken, wofür es gedacht ist. Wenn die Sperrliste in falsche Hände gerät, wird sie zum Inhaltsverzeichnis für Kinderpornografie. Dieses Szenario ist gar nicht so unwahrscheinlich. Die Listen werden regelmäßig vom BKA an die verschiedenen Zugangsanbieter verschickt und in letzter Zeit gab es mehrere Fälle, in denen ähnlich sensible Daten an die Öffentlichkeit gelangten.

Für die Piratenpartei gilt das Motto "Löschen statt Sperren": Was von der Leyen nur tarnen will, das wollen wir beseitigen. Dass dies möglich ist, zeigen verschiedene Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Sehr viele dieser Seiten werden auf deutschen Servern betrieben und unterliegen daher dem deutschen Strafrecht. Aber auch international kann man gegen rechtswidrige Internetpräsenzen vorgehen. Hier sind die Politiker gefragt, entsprechende Vereinbarungen mit anderen Ländern auszuhandeln, soweit diese noch nicht existieren.


SOZ: Ihr verlangt vom Staat Freiheit von Zensur oder Bevormundung im Internet. Ist die freie Informationsarbeit im Internet aber nicht eher gefährdet durch die Datensammlung großer Konzerne wie Google, deren Kontrolle sich fast jeder politischen Instanz entzieht?

RAINER KLUTE: Wie bereits erwähnt, müssen die Menschen wissen, wer welche Daten über sie sammelt. Wer weiß, was mit seinen persönlichen Daten geschehen kann, wird verschiedene Dienste im Internet meiden oder sich zumindest genau überlegen, welche Daten er herausgeben möchte. Trotzdem ist es nötig, dass der Staat die Bedingungen für eine wirkliche informationelle Selbstbestimmung schafft. Das Recht des Einzelnen, die Nutzung seiner persönlichen Daten zu kontrollieren, muss gestärkt werden. Jeder Bürger muss zu akzeptablen Kosten gegenüber den Betreibern zentraler Datenbanken einen durchsetzbaren Anspruch auf Selbstauskunft und gegebenenfalls auf Korrektur, Sperrung oder Löschung seiner Daten haben. Dazu müssen insbesondere die Datenschutzbeauftragten völlig unabhängig agieren können.


SOZ: Die Freie Softwareszene hat oft weitergehende Vorstellungen, die nicht nur die Ablehnung proprietärer Software beinhaltet, sondern überhaupt die freie Verfügung von Können und Wissen der Menschen für alle anderen fordert. Kommt das in eurem Programm vor, ist das ein Kern einer anderen gesellschaftlichen Ökonomie?

RAINER KLUTE: Ja, das wollen wir! Es ist sehr wichtig, dass alles Wissen allen Menschen zur Verfügung steht. Die technischen Möglichkeiten dazu wurden in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen. Die Piratenpartei behandelt dieses Thema unter dem Stichwort "Open Access".

Viele schöpferische Tätigkeiten werden aus dem Staatshaushalt finanziert und bringen urheberrechtlich geschützte Werke hervor. Da diese Werke von der Allgemeinheit finanziert wurden, sollten sie auch der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stehen. Das ist heute selten der Fall. Durch Open Access können auch Wissenschaftler und Institutionen mit geringem Budget an der wissenschaftlichen Entwicklung teilhaben. Wer auf einen wissenschaftlichen Artikel nicht zugreifen kann, kann ihn auch nicht auf Fehler überprüfen oder verbessern.

Patente auf Software, Lebewesen, Gene oder Geschäftsideen lehnt die Piratenpartei ab. Sie haben unzumutbare und unverantwortliche Konsequenzen und behindern die Wissensgesellschaft in ihrer Entwicklung. Sie privatisieren gemeinschaftliche Güter ohne Gegenleistung und besitzen kein Erfindungspotential im ursprünglichen Sinn. Beispielsweise hat auf dem Softwaresektor die gute Entwicklung kleiner und mittelständischer IT-Unternehmen in Europa gezeigt, dass Patente vollkommen unnötig sind und im Gegenteil kontraproduktiv wären.


SOZ: Wie seht ihr das Problem, dass viele Journalisten, Künstler, Freischaffende und Wissenschaftler für ihre Denkarbeit bezahlt werden müssen. Wenn sie Im Internet Texte, Bilder und andere Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen, leisten sie ArbeIt, die vergütet werden muss - wovon leben sie sonst?

RAINER KLUTE: Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen beim Urheberrecht beschränken das Potential vieler aktueller Entwicklungen, da sie auf einem veralteten Verständnis von sog. "geistigem Eigentum" basieren.

Der Piratenpartei geht es nicht darum, das Urheberrecht abzuschaffen, sie will es reformieren. Dabei soll der Zugang der Öffentlichkeit zu Kunst und Kultur verbessert werden, während zugleich die Künstler und Kunstschaffenden nicht benachteiligt werden. Der Konsument soll dabei sein Recht auf Privatkopien tatsächlich nutzen können, ohne durch das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen rechtswidrig zu handeln.

Dass für alle Beteiligten faire Systeme möglich sind, zeigen Künstler, die beim Vertrieb ihrer Werke die Verwertungsgesellschaften umgehen. Sie verkaufen zwar vielleicht weniger, aber ihre Erlöse sind dafür entsprechend höher. Die Piratenpartei setzt sich dafür ein, dass derartige Modelle in Zukunft stärkere Beachtung finden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2009