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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1357: Hermann Dierkes über die Finanzmisere der Kommunen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Bilanztechnisch k.o.
Hermann Dierkes über die Finanzmisere der Kommunen und die Aufhebung ihrer Selbstverwaltung

Von Rolf Euler


Riesige Löcher klaffen in den Haushalten vieler Kommunen, besonders im Ruhrgebiet, das vom Rückzug des Bergbaus und der Stahlindustrie besonders betroffen ist. Die Entwicklung hat schon unter früheren Bundesregierungen begonnen. Aber die jüngsten Steuerbeschlüsse der schwarz-gelben Koalition tragen dazu bei, dass die Defizite noch höher werden: Steuerausfälle in Höhe von über 1,3 Mrd. Euro kommen zu den bisherigen Staatsschulden dazu, sie sind die Ursache der rapiden Verschärfung der Finanzkrise. Von Januar bis September 2009 betrugen die Steuereinnahmen der Gemeinden bundesweit nur noch 41,9 Mrd. Euro und lagen damit um 13% unter dem Vorjahresbetrag. Die für die Gemeinden wichtige Gewerbesteuer sank in den ersten drei Quartalen 2009 sogar um 21,5%, auf 19,8 Mrd. Euro.

Für die SoZ sprach Rolf Euler mit Hermann Dierkes, Abgeordneter der Linken im Rat der Stadt Duisburg.


SOZ: Ist die Entwicklung in Duisburg bei den kommunalen Finanzen so neu?

HERMANN DIERKES: Überraschen kann das nur Leute mit kurzem Gedächtnis. Wer die Entwicklung zumindest in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß: Duisburg schafft seit Mitte der 90er Jahre - damals war noch die SPD am Ruder - keinen ausgeglichenen Haushalt mehr und steht seit 2001 sogar unter Nothaushaltsrecht, d.h. die Stadt konnte auch das vorgeschriebene Haushaltsicherungskonzept nicht mehr aufstellen. Es gibt seit 2001 keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr. Zur derzeitigen Differenz von 300 Mio. Euro zwischen Einnahmen und Ausgaben kommen Altschulden in Höhe von etwa 2,5 Mrd. Euro.

SOZ: Vor kurzem wurden die kommunalen Haushalte von der früheren städtischen Finanzrechnung auf unternehmerische Abrechnung und Bilanzierung umgestellt. Hat das etwas geändert?

HERMANN DIERKES: Durch den krisenbedingten Einbruch der Gewerbesteuer, die erhöhte Inanspruchnahme von Kassenkrediten für die laufenden Ausgaben - gewissermaßen der Überziehungskredit der Kommunen, die Bedienung der Altschulden sowie durch die Umstellung des Haushaltswesens von der sog. Kameralistik auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) spitzte sich die Misere zu. Die jährliche Zinslast dürfte 100 Mio. Euro erreichen, wenn nicht übersteigen. Diese Summe entspricht allein schon den Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer. Duisburg ist inzwischen sogar überschuldet, das bilanzielle Eigenkapitel ist nicht nur aufgezehrt, sondern ist jetzt "negativ". Mit anderer Worten: Die Gesamtschuld der Stadt übersteigt die bilanzielle Habenseite, sie ist bilanztechnisch k.o. - das ist aber nur die finanztechnische Seite.

SOZ: Was bedeutet es, wenn die Kommunen Haushaltssicherungskonzepte aufstellen müssen oder unter das Nothaushaushaltsrecht fallen oder ihnen sogar ein "Sparkommissar" ins Rathaus geschickt wird?

HERMANN DIERKES: In Duisburg hat seit Mitte der 90er Jahre ein Sparpaket das nächste gejagt. Und doch hat die Vergeblichkeitsfalle immer wieder zugeschnappt. Ende 2008 wurde die Kommunalaufsicht in der Person von Regierungspräsident Büssow in Duisburg, Oberhausen und weiteren NRW-Städten vorstellig und forderte einen Sparkurs, der alles in den Schatten stellen sollte, was den Einwohnern bisher zugemutet wurde. Doch angesichts der Landtagswahlen 2009 und der Haushaltsmisere zahlreicher NRW-Städte wirkte die Drohung mit dem Sparkommissar nur wenig. OB, Verwaltung und Ratsmehrheit in Duisburg machten einfach weiter. Für 2009 hat der Rat noch nicht einmal formal einen Haushalt verabschiedet, der den Forderungen Büssows entsprochen hätte.

Welche Folgen die verschärfte Krise für den Haushalt 2010, für die künftige Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben und die ohnehin schwer angeschlagene Investitionskraft hat, wird sich in der anstehenden Haushaltsdebatte zeigen. Wen die erneuten Kürzungen treffen sollen, ist nach aller Erfahrung klar: Es gibt weitere Sozialkürzungen, Personalabbau in der Verwaltung, weitere Schließung von Kultur- und Bildungseinrichtungen, Erhöhung von Eintrittspreisen und Gebühren, weitere Privatisierungsvorhaben bei städtischen Betrieben und öffentlichem Eigentum, Stilllegung der 23 städtischen Brunnen - es sei denn, es finden sich einige Sponsoren.

Jetzt ist die Rede von weiteren Kürzungen in einer Größenordnung von über 160 Mio. Euro. Der Haushaltsentwurf wird dem Rat am 25. Januar vorgelegt.

SOZ: Was haben die kommunalen Finanzen mit der Bundespolitik zu tun?

HERMANN DIERKES: Nicht nur Duisburg, insgesamt wurde die kommunale Ebene über lange Jahre finanzpolitisch in eine verfassungswidrige Lage manövriert. Fast die Hälfte der NRW-Kommunen steckt in Haushaltskrisen oder ist pleite. Ursache ist in erster Linie die systematische Unterfinanzierung ihrer bundes- (und landes)gesetzlichen Aufgaben und nicht, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten.

Hier in Duisburg geben die Sozialberichte bittere Auskunft über die massiven Arbeitsplatzverluste seit den 80er Jahren und die verbreitete Sozialnot. Ursache Nr. 2 ist die Steuerpolitik des Bundes und des Landes NRW zugunsten der Reichen und zulasten der breiten Masse der Bevölkerung und der Kommunen. Eine der letzten "Großtaten" der Großen Koalition Merkel/Steinmeier war es, die Zuschüsse des Bundes an die Kommunen in Sachen Hartz IV zu kürzen. Mit der Krise und der schwarz-gelben Regierung kommen Steuerausfälle wegen des geringeren Gewerbe- und Einkommensteueraufkommens hinzu, außerdem Ausfälle wegen der Steuerverzichtspolitik zugunsten der Reichen - z.B. der Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotels und Gaststätten auf 7%.

SOZ: Bei Überschuldung dürfen betroffene Gemeinden über ihre Ausgaben nicht mehr selber bestimmen. Das Recht der gewählten Vertreter im Rat wird damit massiv eingeschränkt. Wie geht der Rat bei euch damit um?

HERMANN DIERKES: Über 100 Kommunen allein in Nordrhein-Westfalen stehen mittlerweile unter Haushaltssicherung und damit unter der Kontrolle der Landesregierung. Die Selbstverwaltung ist für weite Teile der kommunalen Ebene außer Kraft gesetzt worden.

Wir fordern die Kommunalpolitik auf, hinhaltend Widerstand zu leisten, sich zu koordinieren, ein Entschuldungsprogramm zu fordern, insbesondere für die enormen Altschulden, die, wie gesagt, vor allem durch die permanente Unterfinanzierung entstanden sind. Da läuft bisher viel zu wenig und auch die jüngste Reise von 19 Oberbürgermeistern zu Landesfinanzminister Linssen (CDU) zur Übergabe eines Memorandums war eher ein Fototermin.

Wir ermutigen die Betroffenen, die Gewerkschaften, die Migrantenselbstorganisationen usw. sich zu mobilisieren. Wir fordern öffentliche Haushaltsdiskussionen und Aufklärung über die Lage und ihre Ursachen. In einigen Fragen - z.B. bei den Geschwisterkinderbeiträgen im Kita-Bereich - hat der Rat bereits Anweisungen der Bezirksregierung demonstrativ nicht befolgt.

Der Oberbürgermeister wurde aber inzwischen von der Kommunalaufsicht angewiesen, die Beschlüsse zu beanstanden und nicht umzusetzen. Eine solche Widerspenstigkeit muss flächendeckend kommen, das erhöht den politischen Druck.

SOZ: Wie sind die Folgen für die Bewohner?

HERMANN DIERKES: Als Ausweg bleiben den betroffenen Städten und Gemeinden "normalerweise" nur zwei Mittel: Ausgaben reduzieren und Einnahmen erhöhen. Das bedeutet Kürzungen im sog. freiwilligen Bereich wie etwa Jugendeinrichtungen, Bibliotheken und Kultur, der Rotstift wird bei der Bauunterhaltung angesetzt - etwa in Schulen und Kitas. Soziale Probleme werden insbesondere in benachteiligten Stadtteilen massiv zunehmen. Das bedeutet auch, dass die Kommunen weiter massiv öffentliches Eigentum verkaufen, öffentliche Betriebe privatisieren oder in diese Richtung gedrängt werden, um Haushaltslöcher zu stopfen. Verkauft werden kann aber nur einmal - und dann?

SOZ: "Spaltung der Stadtgesellschaft" umschreiben Wissenschaftler den weltweiten Klassenkampf von oben. Was schlagt ihr dagegen vor?

HERMANN DIERKES: Man muss grundsätzlich eine Abkehr von der vorrangigen Wettbewerbs- und Angebotsorientierung in den Kommunen erzwingen. Die kommunale Selbstverwaltung muss wieder hergestellt werden. Dazu gehört eine umfassende staatliche Finanzreform, eine neue Steuerpolitik, die die Reichen kräftig besteuert und die Armen bzw. gering verdienenden Beschäftigte entlastet.

Wir haben in Duisburg und anderswo immer wieder die Ursachen der desolaten Haushaltslage aufgezeigt und Reformvorschläge unterbreitet, z.B. in der im letzten Jahr verabschiedeten "Hamborner Erklärung" (www.hamborner-erklaerung.de). Wir sind nicht bereit dabei mitzuhelfen, dass unsere Stadt mit der Brechstange kaputtgespart wird. Wir sind vor allem nicht bereit, Haushaltspolitik zulasten der Armen zu machen, Schulen und Infrastruktur verkommen zu lassen oder weitere städtische Unternehmen zu privatisieren. Wir fordern eine Entschuldung und eine Neuverteilung der Steuermittel zugunsten der Kommunen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 25. Jg., Februar 2010, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2010