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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1511: Ägypten und die Finanzkrise


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Ägypten und die Finanzkrise
Heißes Geld in Kairo
Wie westliches Kapital an der Diktatur Mubaraks verdient hat

Von Nomi Prins


Die Revolution in Ägypten und Tunesien richtet sich nicht nur gegen einen Diktator, sie lehnt sich auch gegen die Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung auf, beides hängt eng miteinander zusammen.


Mohammed Bouazizi, der 26 Jahre alte Tunesier, dessen öffentlicher Selbstmord der Funke war, der den Steppenbrand ausgelöst hat, hat sich nicht selbst verbrannt, weil er kein Wahlrecht hatte, sondern wegen der Qualen, die ihm seine prekären Lebensverhältnisse geschaffen haben - in einem Land, das offiziell 15,7% Erwerbslose zählt. Auch die sechs anderen Männer in Algerien, Ägypten und Mauretanien, die es ihm gleich gemacht haben, waren ohne Erwerbsarbeit.

Tunesiens düstere wirtschaftliche Lage ist ein direktes Ergebnis seiner zunehmend "liberaleren" Politik gegenüber ausländischen Spekulanten. Ein Index der Weltbank, der verschiedene Länder nach ihrer Offenheit gegenüber ausländischen Investitionen beurteilt, setzt Tunesien an die letzte Stelle: dieses Land hat die geringsten Beschränkungen gegenüber ausländischem Kapital. Es hat alle Sektoren seiner Wirtschaft für ausländische Kapitaleigner geöffnet - mit der einzigen Ausnahme der Stromversorgung.


Ausverkauf

Ägypten hat eine ähnlich "einladende" Politik betrieben. Zwischen 2004 und 2008 war Mubaraks Regime auf verschiedene Weise am Finanzhype beteiligt, der das Bankensystem der USA zu einer gierig giftige Wertpapiere aufsaugenden Maschine gemacht hat: Er hat den Ägyptern zwar keine faulen Kredite aufgeschwatzt, aber er hat große Anteile an ägyptischen Banken an meistbietende internationale Anleger verkauft.

Dieser Übernahmezirkus im Herzen von Kairo war für die ausländischen Banken ein wahres Schnäppchenfest. Den Raubzug eröffnete die griechische Piräus-Bank, die 2005 70% der Ägyptischen Handelsbank übernahm; 2006 folgte der Verkauf der Bank von Alexandria, eine der vier größten Staatsbanken, an die italienische Gruppe Sanpaolo Imi. In den folgenden zwei Jahren floß "heißes Geld" nach Ägypten, da die internationalen Banken in das ägyptische Finanzsystem drängten; damit war erst 2008 Schluss.

Während ausländische Banken ihre Geschäfte hochzogen, beseitigte die ägyptische Regierung mit Dekret Nr.583 auch noch den geringsten Schutz vor ausländischem Landkauf. Das Land, eh schon eine heiße Nummer für Touristen, wurde zu einem Magneten für globale Bodenspekulation. (Das hat auch in Irland gut funktioniert.) Selbst ein Goldman-Sachs-Fonds beteiligte sich an dem Spiel und kaufte einen Anteil von 70 Millionen an der Gesellschaft Palm Hills Development SAE, die Grundstücke für Luxusbebauung erschließt.

Andere Länder der Region, wie Jordanien, wo die Arbeitslosigkeit offiziell bei 13,4% und die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, (wie in den USA) bei 14,2% liegt, haben versucht, die "offene" Politik Ägyptens nachzumachen. Deshalb sind heute 8 der 21 in Jordanien operierenden Banken in ausländischer Hand, und der Versicherungsmarkt wird von US-amerikanischen Lebensversicherern dominiert.


Finanzcrash auf ägyptisch

Aber Ägypten hat den Vogel abgeschossen. Zwischen 2004 und 2009 hat es 42 Mrd. Dollar ausländisches Kapital ins Land geholt - das Land gilt damit als Top-Adresse für Investoren im Nahen Osten und Afrika. Ausländisches Kapital unterliegt keinen Beschränkungen hinsichtlich der Repatriierung der Profite, es gibt keine Steuern auf Dividenden, Kapitalgewinne oder Zinsen aus Industrieobligationen. Das Volumen der an der ägyptischen Börse gehandelten Wertpapiere hat demzufolge zwischen 2004 und 2009 um das Zwölffache zugenommen!

Ägypten und die arabischen Emirate haben auch Vorschriften beseitigt, die ein Minimum an Eigenkapital bei Investitionen vorsahen, sodass Spekulanten kaufen konnten, was sie wollten, auch ohne das Geld dafür zu haben.

Auch diese Blase ist geplatzt. In der zweiten Hälfte von 2009 begann der Ölpreis zu sinken und ausländische Banken reduzierten drastisch ihre Kapitalanteile in arabischen Ländern. Selbst in den ölreichen Vereinigten Arabischen Emiraten sank das Engagement ausländischen Kapitals auf das Niveau von 2004 - ein Beweis dafür, wie flüchtig, trügerisch, unbeständig und verantwortungslos das internationale Spekulationskapital ist. Wo heißes Geld das besetzte Feld verlässt, hinterlässt es eine breite Spur wirtschaftlicher Verwüstung. Und vorher hat es weder mehr Arbeitsplätze noch weniger Armut geschaffen. Die Jagd nach den großen Deals hat eher den gegenteiligen Effekt.

Ausländische Banken haben die ägyptische Regierung auch dazu animiert, komplexe Wertpapiere mit verrückten Derivaten auszugeben; deren Wert ist stark gesunken, als die ausländischen Investoren sie fallen ließen. Heute müssen auf ägyptische Staatsanleihen (und auch die anderer arabischer Länder) stark erhöhte Zinsen gezahlt werden, da die internationalen Anleger auf weitere Unruhen spekulieren.(*)


"Investieren Sie in Ägypten"

Im März 2010 versuchte Ägyptens Minister für Investitionen immer noch, ausländisches Kapital anzulocken. Er präsentierte den Investoren die Vorzüge des Landes in einer Hochglanzbroschüre "Investieren Sie in Ägypten". Darin wird stolz die Weltbank zitiert, die Ägypten als eins der zehn Spitzen-"Reformländer" bezeichnet hat. Das Prädikat "Reformer" der Weltbank hat nichts mit der Lage der Bevölkerung zu tun, sondern dreht sich nur um die Leichtigkeit, mit der "heißes" internationales Geld in ein Land geworfen und wieder herausgezogen werden kann. Ägypten hat sich den Platz unter den ersten 10 "Reformern" in den letzten fünf Jahren viermal verdient. (Diese Auszeichnung teilt es mit Kolumbien, wo die Arbeitslosigkeit in den Städten auf über 13% gestiegen ist.)

In der Broschüre warb das Ministerium u.a. mit dem großen Anteil an jungen Menschen mit höherem Bildungsabschluss, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt strömen - 325.000 pro Jahr. Diese gebildeten jungen Menschen bilden den Kern der gegenwärtigen Revolution, sie finden keine angemessene Arbeit. Offiziell liegt die Zahl der Erwerbslosen in Ägypten bei 10%, die der Menschen unterhalb der Armutsgrenze aber bei 20% (in den USA sind es jeweils 14,2% und 14%); 10% der Bevölkerung halten 28% der Haushaltseinkommen (in den USA halten sie 30%).

Die Menschen, die von Griechenland bis England, und sichtbarer noch von Tunesien bis Ägypten auf der Straße protestieren, mögen nationale Gründe für ihre Revolte haben und gegen unterschiedliche Regierungen angehen. Aber sie haben etwas gemeinsam: Sie lehnen sich gegen eine Welt auf, die die Taschen der reichen Geschäftemacher füllt, während normale Menschen stigmatisiert werden. Das ist allen gemeinsam. Ähnliche Proteste kann es deshalb auch in Kolumbien und in Ghana geben - oder auch eines Tages in den USA.


Ein globaler Virus

Denn in den USA sind die wirtschaftlichen Werte nicht besser, bestimmte, wie die Einkommensungleichheit, sind sogar schlechter als in Ägpyten. Aber wir haben keinen bösen Diktator, der als gemeinsamer Fokus in einer sagen wir amerikanischen Revolution herhalten würde. Hier wählen wir frei die Politiker, die ihre Wahlkampagne von Unternehmern finanzieren lassen und das Finanzsystem deregulieren, die lieber ganze Banken als einzelne Hypothekenschuldner retten, und die Körperschaftsteuer niedrig halten, die Belastungen für Kleinunternehmer und abhängig Beschäftigte hingegen erhöhen. Hier wählen wir die Führer, die unsere wachsende Einkommensungleichheit regeln, und wundern uns darüber, wie Wall Street es schafft, sich selbst wieder Rekordboni auszuzahlen.

So schwierig die Bedingungen im Nahen Osten auch sind - es besteht Grund zu Hoffnung, dass aus diesen Revolten auch wirtschaftliche Veränderungen folgen. Der Sturz des Regimes selbst wird dazu noch nicht ausreichen, aber das ist gewiss ein exzellenter Start.


(*) Am 7.2.2011 platzierte die Zentralbank in Kairo Schatzwechsel im Wert von 13 Mrd. Ägyptischen Pfund am Markt. Sie musste das Vertrauen der Anleger teuer erkaufen: Die Zinsen fielen so hoch aus wie seit zwei Jahren nicht. Für Investitionen in Dreimonatspapiere forderten die Anleger laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg eine Rendite von 10,97%, auf Sechsmonatspapiere fiel ein Zinssatz von 11,5% an, auf Neunmonatspapiere 11,65%.


Nomi Prins ist Mitarbeiterin von Demos, einer Nichtregierungsorganisation aus New York, die sich für Demokratie, Gemeingüter und Frieden einsetzt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011