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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1539: Griechenland unter dem Zeichen des Spardiktats


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Griechenland unter dem Zeichen des Spardiktats
Es fehlt eine echte Alternative

Von E. Ule-Rich


Griechenland hat viele Probleme - vor allem die Korruption und die Perspektivlosigkeit der Jugend. Leider fehlt es derzeit auch an einer substanziellen Alternative.


Griechenland ist ein modernes Land. In den letzten 30 Jahren hat es wirtschaftlich einen großen Aufschwung genommen (siehe Tabelle I). Sein Bruttosozialprodukt liegt knapp unter dem Durchschnitt der EU (gleichauf mit Italien), was vor wenigen Jahren noch nicht der Fall war. Die griechische Wirtschaft ist in den fünf Jahren vor 2009 etwa doppelt so schnell gewachsen wie in Deutschland. Seit 2009 sinkt die Wirtschaftsleistung allerdings zwischen ca. 3% und über 5% pro Jahr.


Tabelle I: BIP in US-Dollar je Einwohner


EU-Durchschnitt
Griechenland
Deutschland
Italien
Ungarn
Schweiz
Indien
2004

26900
21000
28700
27700
14900
33800
3100
2008

33700
31000
35400
31300
19800
41800
2900

Absolut gesehen erwirtschaftete Griechenland 2008 etwas mehr als 11% des deutschen BIP. Davon kamen rund 4 Mrd. pro Jahr als Subventionen aus der EU (=1,6%). Das BIP setzt sich allerdings etwas anders zusammen als in anderen wichtigen EU-Ländern (siehe Tabelle II, Zahlen von 2008).


Tabelle II


GRE
GER
ITA
Agrarleistung
3,7%
0,9%
2,0%
Dienstleistung
75%
69%
71%
Industrieleistung
20,7%
30,1%
27,0%

Dienstleistung und Agrarwirtschaft machen am BIP 10% mehr aus als in Deutschland. Der Dienstleistungssektor in Griechenland ist allerdings mehr als ineffektiv. Demgegenüber wird die landwirtschaftliche Erzeugung, wie überall auf der Welt, aber insbesondere die von industrieschwachen Staaten, unterbewertet. Dazu ein Beispiel: Ein Kilo gleich guter, früher griechischer Spargel kostet in Deutschland 5 Euro, der vier Wochen später angebotene deutsche Frühspargel rund 18 Euro.


Das Haushaltsdefizit

In Griechenland gibt es eine große Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung ist in allen Bereichen (von Privatpersonen bis zu großen Konzernen) sehr verbreitet.

2009 verbuchte das Land rund 89 Mrd. Euro Staatseinnahmen. Dem standen Staatsausgaben in Höhe von ca. 125 Mrd. Euro gegenüber. Das Haushaltsdefizit belief sich auf über 36 Mrd. Euro, das sind 15,4% des BIP. Die akkumulierten Staatsschulden betrugen Ende 2009 126,8% des BIP (Italien 116%, Irland 65%, Deutschland 63%).

Im Februar 2011 meldete die Süddeutsche Zeitung, Griechenland könne seine Schulden wohl nicht mehr zurückzahlen: "Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) bricht ein Tabu: Erstmals spricht er davon, dass die Kreditinstitute griechische Staatsanleihen wohl abschreiben müssen. Griechenland kosten die Staatskredite bis zu 10%, obwohl die sie verleihenden (deutschen) Banken dafür maximal 2% bei der Europäischen Zentralbank zahlen."


Ausländer raus?

Aus Griechenland, einem früher sehr fremdenfreundlichen Staat, ist ein eher fremdenfeindlicher Staat geworden. Das griechische Wort Xenos muss mit Gast oder Freund übersetzt werden. Heute werden Schwarze, Albaner oder Asiaten abfällig behandelt und beschimpft. Flüchtlinge aus Afrika oder Asien werden von staatlicher Seite teilweise unmenschlich behandelt, ohne dass eine breite Bevölkerungsschicht dagegen aufbegehrt. Eine große Ursache hierfür war der Krieg in Jugoslawien und Albanien und dessen Folgen. Die Angst und die geschürten Aversionen haben zu einer generellen Fremdenfeindlichkeit und insbesondere zum Hass auf die Albaner geführt. Das hat sich bis heute nicht geändert, obwohl ein Großteil der körperlich schweren Arbeit von Albanern geleistet wird.


Eine abhängige Wirtschaft

Die Ursache der Krise 2009 ist natürlich, neben der Weltwirtschaftssituation, die besondere Abhängigkeit Griechenlands von imperialistischen Staaten, vor allem der Bundesrepublik Deutschland.

Der griechische Markt wurde unter finanziellem Druck vornehmlich für deutsche Industrieprodukte geöffnet. Autos konnten vor 2006 von Privatpersonen nur gekauft werden, wenn dem ein entsprechender Verdienst gegenüber stand. Luxus-Pkws waren mit einer Luxussteuer belegt. Diese Praxis wurde unter dem Druck der EU abgeschafft. Heute stehen mehrere 10000 finanzierte Autos, die von den Banken wegen fehlender Zahlungen eingezogen wurden, herum und rosten ihrem Ende entgegen.

Im Jahr 2000 orderte die griechische Marine bei der Kieler HDW vier U-Boote vom Typ 214, die mit einem nahezu lautlosen Brennstoffzellen-Antrieb wochenlang unter Wasser agieren können. 2004 wurde das erste Boot fertiggestellt, aber von den Griechen nicht abgenommen. Das U-Boot tauchte nicht, oder muss es heißen: es taugte nichts? Bei dem Deal ging es um 1290 Mio. Euro (andere Zahlen gehen von 2800 Mio. Euro aus). Kaum drohte Griechenland 2010 die Zahlungsunfähigkeit, entspannte sich der deutsch-griechische U-Boot-Krieg zugunsten der Deutschen auf wundersame Weise. Während die EU ein Milliardenpaket für Athen schnürte, die Deutschen erst Nein, dann, nach Rückmeldung aus Griechenland, Ja zum Finanzpaket sagten, gaben die Hellenen klein bei: Man werde den finanziellen Verpflichtungen bis auf den letzten Cent nachkommen. HDW hat sein Rüstungsgeschäft positiv abgewickelt.

Danach nahm die griechische Behörde für die Verfolgung von Finanzverbrechen (SDOE) Ermittlungen wegen Schmiergeldzahlungen im U-Boot-Deal auf. Es werden Bestechungszahlungen von bis zu 230 Mio. Euro an die damalige konservative griechische Regierung vermutet.

Deutsche Großunternehmen wie Siemens haben sich via Bestechung Aufträge in Griechenland geholt. Häufig waren es konservative Politiker der ND (Nea Demokratia, bis 2009 Regierungspartei), die die "Spenden" erhielten. Allerdings ist Korruption in Griechenland parteiübergreifend. Vielfach waren örtliche PASOK-Regierende massiv in korrupte Handlungen involviert.

Die griechische Industrie wurde ausverkauft. Die Deutsche Telekom hat die Mehrheit an der Telefongesellschaft OTE übernommen. Dabei wurde vereinbart, dass ein Großteil der Belegschaft in Vorruhestand geht - auf Betreiben der Telekom. Das belastete die Staatskasse mit dreistelligen Millionenbeträgen - soviel zum Vorwurf von Bild, die Griechen gingen mit 49 Jahren in Rente.

Auf Rhodos wurden 2009 mehrere Riesenhotels mit fremdem Geld gebaut - laut Aussagen heimischer Hoteliers mit Mafiageldern. Trotz Leerstand wird mit ihnen viel Geld "eingenommen" - es kommt aus dem Drogengeschäft, Waffenhandel, Frauenhandel und der Prostitution, sagen Kenner. Auch die Finanzbehörden und örtliche Politiker verdienen daran. Rhodos war 2010 die einzige Insel in Griechenland, die einen Zuwachs an Tourismus verzeichnete. Landesweit gingen die Einnahmen aus diesem Geschäft um etwa 20-30% zurück.


Die Kirche

Die Bevölkerung ist in weiten Teilen gläubig. Formal sind Staat und Kirche getrennt. Tatsächlich ist das nicht der Fall. Alle Kirchenneubauten - und davon gab es in den letzten Jahren massenhaft - werden vom Staat bezahlt, ebenso das Kirchenpersonal. Die Verwobenheit zwischen Kirche und Staat ist so groß, dass auch hier die Korruption Blüten treibt. Die letzte konservative Regierung hat wertlose Ländereien von der Kirche übernommen und ihr dafür wertvolles Bauland übereignet. Dieser Vorgang ist in der Bevölkerung auf harte Kritik gestoßen.


Die Korruption

Die Korruption ist enorm und belastet den Staatshaushalt erheblich. Ein Beispiel: Die Kommune Nea Kalikratia hat 2010 monatelang ihre Kindergärtnerinnen nicht bezahlt, obwohl die Eltern ihren Beitrag zahlten und der überregionale Zuschuss eingegangen war. Nach mehr als fünf Monaten ohne Lohn hörten die Kindergärtnerinnen auf zu arbeiten. Ähnliches gab es bei der Müllabfuhr.

Währenddessen haben Spitzenpolitiker und Immobilienhaie aus Kalikratia illegal Dünen am Strand beseitigt und einen Strandpavillon errichten lassen. Presse und Fernsehen haben landesweit darüber berichtet, ohne dass es den Akteuren geschadet hätte. Der Pavillon erfuhr 2010 einen rekordverdächtigen Zuspruch. Tausende nutzten ihn im Sommer. Dagegen gab es von seiten der Linken keine Aktion, weder bei den Müllarbeitern noch in den Kindergärten. Irgendwie scheint alles verwoben, sodass Vorschläge zur kollektiven Gegenwehr, zum Beispiel den Müll vor das Rathaus zu kippen, verpuffen.


Die Jugend

Die Jugend ist am stärksten von der Krise betroffen, wie in Deutschland. Wurde sie vor der Krise als 600-Euro-Generation bezeichnet, des geringen Verdienstes der jungen Beschäftigten wegen, müsste sie jetzt 400-Euro-Generation oder Null-Euro-Generation genannt werden. Nach dem gewaltsamen Tod eines 15-Jährigen im Dezember 2008 - ein Polizist hatte ihn erschossen - folgten die schwersten Jugendunruhen in Griechenland seit mehr als 25 Jahren. Die Wut einer Generation entlud sich auf der Straße.

Auf der Jugend lastet eine große Perspektivlosigkeit: Die notwendigen, radikalen Verbesserungen im Bildungswesen werden nicht in Angriff genommenen, und die Polizeigewalt hinterlässt tiefe Wunden. Ihr Protest fand auf der Straße statt und hat sich - zum Teil - radikalisiert. Das linksalternative Athener Stadtviertel Exarchia war Mitte Dezember komplett frei von Polizeieinheiten. Diesen revoltierenden Jugendlichen standen die Arbeiter und auch die KP zuerst ablehnend gegenüber. Im Zuge der Verschärfung der Krise wurde die Ablehnung allerdings überwunden und es kam zu gemeinschaftlichen Aktionen.


Die Kämpfe

In den großen Städten gibt es ununterbrochen Gegenwehr. Doch es wird keine entscheidende Alternative aufgezeigt. Die Situation ist ähnlich wie in Deutschland (wenn auch auf einem höheren Niveau): Der Pelz wird gewaschen, aber er wird nicht nass. In der einen Woche streiken die Busfahrer, das ist gut für die Taxifahrer, in der nächsten Woche streiken die Taxifahrer.

Ein Problem ist die starke Zersplitterung der Beschäftigten. Es gibt tatsächlich Arbeiterschichten, die enorm viel verdienen, z.B. einige Hafenarbeiter in Piräus. Dort wird bis zu 90000 Euro verdient, nicht selten tritt der Betreffende die Arbeit selber gar nicht an, sondern verkauft seinen Arbeitsplatz weiter. Das sind zwar große Ausnahmen, sie spalten aber die Arbeitnehmer bei deren Kampf um einen Lohn zum Leben.

In der Bevölkerung ist deswegen bis jetzt die Stimmung weit verbreitet, dass es zum Sparkurs keine Alternative gibt. Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung findet auch, dass speziell Angela Merkel eine inkompetente Kontrahentin des griechischen Staates ist, das negative Urteil wird auf die Deutschen allgemein ausgedehnt. Als die deutsche Kanzlerin zu Beginn der Krise den Griechen zeitweise die Kredite verweigerte, tobten die Medien und der Geist der Griechen.

Der Kampf der Bevölkerung gegen die Sparpläne eint aber auch viele Teile der Bevölkerung. Außer den Arbeitern haben schon Rechtsanwälte, öffentliche Angestellte und Bankbeschäftigte gestreikt - Schichten, die in Deutschland eher nicht auf die Straße gehen. Dabei trifft es am meisten die Arbeiter. Ihre Löhne wurden gesenkt - von ca. 900 auf unter 700 Euro pro Monat. Gleichzeitig kletterte der Benzinpreis 2010 von 99 Cent (67 Cent 2004) auf 1,50 bis 1,70 Euro, ebenso die Heizölpreise.


Keine Alternative

Den oberen Mittelstand und die Reichen trifft es bislang nicht. Die eingesparten Löhne fließen direkt in die Taschen der Unternehmen. 2009 und 2010 sollen die Superreichen ca. 30 Mrd. Euro aus dem Land geschafft haben, mehrheitlich in die Schweiz.

Diese Ungereimtheiten, die Forderung der griechischen Bevölkerung nach Krediten, gleichzeitig ihre Angst, übers Ohr gehauen zu werden, zeigten dass es bisher keinen Plan gibt für eine konsequente Gegenwehr und eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus. Eine geschlossene Gegenwehr wie in Tunesien und Ägypten mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und ein neues System zu errichten, hat es in Griechenland nicht gegeben.

Vereint sind die Akteure in der geschlossenen Ablehnung des Staates und der sie persönlich betreffenden Sparpolitik; das ist allerdings zu wenig, um etwas Neues aufzubauen. Dazu fehlt europaweit eine Perspektive, die nicht auf die Rettung der Banken oder der Autoindustrie setzt, sondern auf eine nachhaltige, solidarische Wirtschaft und auf die Selbstbestimmung der Beschäftigten und der Bevölkerung.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 26.Jg., Mai 2011, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2011