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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1580: "Griechenland zum Verkauf"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Griechenland zum Verkauf"

Von Angela Klein


So titelten deutsche Wirtschaftszeitungen nach dem Beschluss des Europäischen Rats im Juli über ein zweites Rettungspaket für die Banken. In Griechenland heißen die Abgesandten der Troika (IWF, EU-Kommission, EZB) "Männer in Schwarz". Wie Dürers apokalyptische Reiter bringen sie Elend und Zerstörung.


Rekolonialisierung über das Treuhandmodell

Im Eiltempo werden die Staatsbetriebe verscherbelt: die größte Telefongesellschaft OTE (10% übernimmt die Deutsche Telekom); die Eisenbahn Trainose; die Häfen von Piräus und Saloniki; der Gasversorger DEPA; die Mobilfunklizenzen; die Wasserversorgung von Athen und Saloniki; der internationale Flughafen von Athen (die Konzession an Hochtief dafür wurde verlängert); die Autobahngesellschaft Egnatia Odos; die Post; die regionalen Häfen; die Elektrizitätsgesellschaft DEI; die regionalen Flughäfen; der staatliche Anteil an den hellenischen Banken; die Postbank; die Landwirtschaftsbank ATE; die Sparkassen.

Dies geschieht nach demselben Muster, nach dem die Ostdeutschen enteignet wurden: Es wurde eine Treuhandgesellschaft eingerichtet, mit dem Unterschied, dass diese von ausländischen "Experten" geführt wird. Sie haben damit angefangen, ein Katasteramt einzuführen, das ein "Portfolio" der Grundstücke zusammenstellt, die internationalen Investoren langfristig überlassen werden.

50 Mrd. Euro sollen auf diesem Wege bis 2015 "eingenommen" werden. Das wären immer noch nur 13,5% der aktuellen griechischen Staatsschulden. Im Gegenzug heißt das, dem griechischen Staat werden dauerhaft die Einnahmen aus diesen Betrieben entzogen. Und ob der Erlös tatsächlich so hoch ausfallen wird, darf nach den Erfahrungen mit der Treuhand in Ostdeutschland bezweifelt werden, hier sind profitable Betriebe für den symbolischen Betrag von 1 Euro über die Theke gegangen. In jedem Fall hat der griechische Staat nichts von den Einnahmen, sie fließen in die Zinszahlungen an die (deutschen und französischen) Banken.

Das griechische Volk ist nicht mehr souverän, es ist einer neuen Form des Kolonialismus unterworfen.


Blut, Schweiß und Tränen

Auf Verlangen der Troika hat die griechische Regierung das inzwischen 5.Spardiktat verabschiedet: Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst wurden bereits um 20% gesenkt, weiter Lohnsenkungen sind angekündigt; bei einem offiziellen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 16% wurde das Arbeitslosengeld gekürzt und die Armenunterstützung, die erst 2009 eingeführt worden war, wieder gestrichen; Tarifverträge erodieren und machen zunehmend individuellen Arbeitsverträgen, unbezahlten Praktika und Leiharbeit Platz. Das Renteneintrittsalter wurde angehoben, die Renten erst gekürzt, dann eingefroren. Dafür wurde die Mehrwertsteuer auf 23% angehoben, für einzelne Produkte soll der Satz sogar noch weiter steigen. Im öffentlichen Dienst stehen Massenentlassungen an, 75 Staatsbetriebe sollen geschlossen oder mit anderen fusioniert werden (mit der Folge von Massenentlassungen auch hier). Die Ausgaben für das Gesundheitswesen werden gesenkt, illegale Baumaßnahmen legalisiert.


Operation gelungen, Patient tot

Das erste Paket zur Bankenrettung vom Mai 2010 hatte offiziell das Ziel, Griechenland zu erlauben, bis 2012 wieder in der Lage zu sein, sich auf dem Kapitalmarkt zu refinanzieren. Dieser Plan ist grandios gescheitert, die sog. Rettungspakete haben Griechenland endgültig in den Bankrott getrieben. Im vergangenen Jahr ging die griechische Wirtschaftsleistung erst einmal um 4,5% zurück, für 2011 ist ein Rückgang von 9,5% im Gespräch. Die Staatsverschuldung ist von 139% auf 150% vom BIP gestiegen, das Haushaltsdefizit am 10,5%, und die EU-Kommission sieht auch für dieses und das kommende Jahr ein Defizit zwischen 9 und 10% vor.

Im Mai 2011 mussten die Griechen für 10-Jahres-Kredite 16,5% Zinsen bezahlen, für 2-Jahres-Kredite sogar 24,5%! Dass Griechenland nunmehr zahlungsunfähig ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Ihren Plan, die griechische Staatsverschuldung bis 2015 auf 1% des BIP zurückzufahren, kann die Troika getrost begraben.


WAS IST EIN SCHULDENAUDIT?

Ein Schuldenaudit ist eine öffentliche, umfassende Prüfung der Schulden eines Landes oder einer Region mit dem Ziel festzustellen, was davon zurückgezahlt werden soll.

Es gibt unterschiedliche Arten öffentlicher Verschuldung: multilaterale Schulden (das sind solche bei internationalen Institutionen); bilaterale Schulden (solche bei ausländischen Regierungen); private Schulden (bei Banken und anderen Finanzinstituten); Bonds (das sind Anleihen, die von Staaten ausgegeben werden).
Die Aufnahme solcher Schulden ist normalerweise nicht rechenschaftspflichtig, und meistens hat die Bevölkerung keine Vorstellung davon, was da in ihrem Namen gemacht wird.

Wann sind Schulden illegitim?

Wenn sie illegal sind - d. h. von den Gesetzen des Landes, das sie einging, nicht gedeckt.
Wenn sie unmoralisch sind, also z. B. von Diktaturen aufgenommen wurden.
Wenn sie unbezahlbar sind - die Kosten für die Rückzahlung der Schulden also unangemessen hoch. Das kann der Fall sein, wenn der Zwang, Schulden zurückzuzahlen, ein Land in die Armut stößt oder einer Regierung verunmöglicht, für die eigene Bevölkerung zu sorgen.
illegitim sind Schulden auch, wenn sie auf korrupte Weise, zum Schaden für die Bevölkerung und die Umwelt, für nicht realisierte Projekte oder auch zu Wucherbedingungen aufgenommen wurden.

Wer führt ein Schuldenaudit durch?

Das kann ein Parlament sein (das gab es in Peru). Oder ein Gericht (das gab es in Argentinien in den 80er Jahren). Oder eine Regierung, wie 2006 in Ecuador. Oder Gruppen der Zivilgesellschaft - um ein solches Bürgeraudit bemühen sich derzeit Initiativen in Griechenland und Irland.
Ein Bürgeraudit ist nicht alternativ zu einem institutionellen Audit. Letzteres ist notwendig, doch nur Ersteres garantiert eine breitere Beteiligung der Bevölkerung und eine demokratische Rechenschaftslegung über die Beschlüsse, die in diesem Zusammenhang gefasst werden.
Ein Bürgeraudit ist ein Schritt der Schuldenstreichung "von unten"; es hilft den Bürgern zu verstehen, wie ihre Wirtschaft funktioniert, und sich ein Bild davon zu machen, wie sie funktionieren sollte. Es stellt die Selbstermächtigung der Elite eines Landes, über die von der Bevölkerung aufgebrachten Ressourcen eigenmächtig zu verfügen, in Frage und ist damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Demokratisierung der Wirtschaft.

Ein griechisches Audit

Am 3. März 2011 haben 115 Ökonomen, Akademiker, Parlamentarier und politisch Aktive aus der ganzen Welt ein öffentliches Schuldenaudit für Griechenland gefordert. Ein öffentlicher Ausschuss soll die Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der griechischen Schulden prüfen, um den Anteil an illegitimen Schulden, die gestrichen gehören, daran auszumachen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Aufruf findet sich unter
www.cadtm.org/call-for-an-audit-commission-on.

Material zum irischen Schuldenaudit unter
www.debtireland.org/resources/publications/an-audit -of-irish-debt.

Die internationale Initiative zur Schuldenstreichung CADTM hat auch ein Handbuch zur Schuldenprüfung veröffentlicht unter
www.cadtm.org/img/pdf/cetim_angl_pdf.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 26.Jg., Oktober 2011, Seite 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2011