Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1829: Sofortprogramm für ein anderes Europa


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Sofortprogramm für ein anderes Europa

Von Angela Klein



Die linke Debatte darüber, wie Europa anders gestaltet werden könnte, steht ganz am Anfang. Nachstehend soll nur eine Skizze in fünf Punkten entworfen werden.


Das Programm setzt voraus, dass in irgendeiner Weise (egal ob über Wahlen oder über die Handlungsunfähigkeit der alten Regierung) eine gesellschaftliche Situation entsteht, wo die da unten nicht mehr wollen. Dann braucht es gemeinsame Leitlinien für eine politische Intervention der Linken in Europa, die dafür sorgen, dass die da oben auch nicht mehr können.


1. Die feindliche Artillerie ausschalten

Von der Ansammlung unvorstellbarer Reichtümer in den Händen weniger Menschen geht eine sehr große Gefahr für die Entwicklung unserer Gesellschaften aus, vor allem für die Demokratie. Elmar Altvater hat in der Karfreitagsausgabe der Süddeutschen Zeitung die Zahl von 3000 Milliarden Dollar genannt, auf denen Investmentfonds in den USA sitzen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen.

Die entsprechende Zahl für die EU habe ich nicht zur Verfügung, aber klar ist, dass die Krise nicht das Ausmaß an Kapitalvernichtung gebracht hatte, das sie hätte sollen, und dass die Finanzinstitute auf einer schweren Artillerie sitzen, die sie jederzeit gegen alles einsetzen können, das ihnen auch nur im Mindesten in die Quere kommt.

Dieser Sumpf muss trockengelegt werden, das dort angehäufte Kapital entweder vernichtet oder, unter öffentlicher Kontrolle und Mitbestimmung, einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden. Das heißt: sofortige Einführung von Kapitalverkehrskontrollen; vollständige Transparenz über die Geldströme der Finanzinstitute, Offenlegung der Bücher; sofortige Schließung aller Steueroasen, insbesondere in der City of London. Änderung der Gesetze über die Kreditwirtschaft im Sinne einer dienenden Funktion für den Aufbau einer solidarischen Wirtschaft, das impliziert auch ein Verbot von Eigengeschäften der Banken; in diesem Sinne auch eine Satzungsänderung der Europäischen Zentralbank, sofern man bei einer gemeinsamen Währung bleiben will, was jedoch nicht unbedingt erforderlich ist.


2. Steuern statt Schulden

Umverteilung von oben nach unten ist eine feine Sache, wenn man auch bereit ist, die nötige Kavallerie aufzustellen, die sie durchsetzt. Umverteilung ist Klassenkampf und geht ans Portemonnaie. Irgendwann in den 70er Jahren hat das Bürgertum in Westeuropa und in den USA angefangen, das Programm durchzusetzen: Wir geben dem Staat lieber Kredit, als dass wir Steuern zahlen. Die Steuern der Vermögens- und Kapitalbesitzer sind infolgedessen auf einen historischen Tiefstand gefallen und die Staaten haben sich überschuldet. Jetzt reiten dieselben Besitzenden die neue Attacke: Die Staaten sind an der Krise schuld. Die CDU plakatiert: Steuern und Schulden senken. Das ist eine Aufforderung zur Plünderung der öffentlichen Kassen und der Liquidierung der Reste von Sozialstaatlichkeit.

Das Rad muss herumgeworfen werden. Die Entschuldung der öffentlichen Haushalte und eine große Steuerreform sind zwei Seiten derselben Medaille. Für die Entschuldung braucht es ein Schuldenaudit, das klärt, welche dieser Schulden bedient und welche als illegitime Schulden gestrichen werden. Auch hier ist Transparenz das oberste Gebot: Es muss Licht in die öffentlichen Haushalte gebracht, Schattenhaushalte aufgedeckt werden.

Für eine Steuerreform, die den Namen verdient, könnten folgende Richtwerte taugen: Kapitalgewinne, die nicht sinnvoll produktiv investiert werden, werden zu 100% besteuert; Gewinne aus Vermögen, die 50.000 Euro im Jahr überschreiten, unterliegen einer steilen Progression (zwischen 75 und 100%). Die Einkünfte werden für den notwendigen Umbau der Wirtschaft verwendet. Die Steuersätze für Kapital- und Vermögensteuern werden (zunächst) auf europäischer Ebene harmonisiert.


3. Stop Troika

Die Sparbeschlüsse, die den Bevölkerungen Europas zur Überwindung der Krise aufgezwungen wurden, müssen rückgängig gemacht werden, das betrifft vor allem die Länder Süd- und Osteuropas. Vor allem bedarf es eines Programms der öffentlichen Wiederaneignung der Gemeingüter (Grund und Boden, Infrastruktur) und massiver Investitionen in personennahe Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung) sowie einer Aufstockung der Sozialleistungen in einer Weise, dass eine menschenwürdige Existenz für alle möglich wird. Europaweit müssen gemeinsame Mindeststandards dafür gelten; es wird ein europäischer Mindestlohn und Höchstlöhne eingeführt.

Alle Gesetze, die Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaftsrechte beschneiden, werden rückgängig gemacht. Es wird ein europäisches Betriebsverfassungsgesetz entworfen, das sich jeweils an den höchsten Errungenschaften orientiert.


4. 100% Erneuerbare

Die Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben ist der Kern eines europäischen Sozialprogramms. Es hängt aber in der Luft, wenn es nicht wirtschaftlich unterfüttert wird. Es können nicht nur Sozialkassen ausgebaut werden, es braucht auch ein wirtschaftliches Entwicklungsprogramm, das den Menschen eine sinnvolle Arbeit gibt, von der sie leben können.

Das allervordringlichste Entwicklungsprogramm ist der ökologische Umbau der europäischen Industrie und Landwirtschaft. Hier stehen wir in einem Wettlauf mit der Zeit, wie der jüngste Bericht des Weltklimarats wieder zeigt. Der Umbau beinhaltet zum Teil eine Re-Industrialisierung, zum Teil die Wiedereinführung arbeitsintensiverer Prozesse (Landwirtschaft, Handwerk), zum Teil die Verlagerung gesellschaftlicher Arbeit auf den Reproduktionssektor und dessen Aufwertung. Damit wird eine grundlegende Umverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit erforderlich, die demokratisch nur über einen Prozess der öffentlichen Diskussion und Entscheidung über die notwendige Allokation der Ressourcen und einen Rahmenplan für Investitionen bestimmt werden kann.

Leitlinie für einen solchen Umbau sollte Energievermeidung sein: das bedeutet mehr regionale Wirtschaftskreisläufe, Ersatz der industriellen durch die kleinbäuerliche Landwirtschaft, eine Ökonomie der kurzen Wege, eine Reform des Städtebaus, die den Antagonismus zwischen Stadt und Land tendenziell aufhebt.


5. Demokratie neu erfinden

Der Kern eines ökosozialen Umbaus ist nicht die Umverteilung, die ist nur ein Hilfsmittel, um die nötigen Ressourcen dafür zu beschaffen. Der Kern ist die Aufhebung der Konkurrenz als Leitlinie des Wirtschaftens zugunsten eines anderen Leitgedankens: der Solidarität. Solange es nur darum geht, andere (in Südeuropa, in China oder wo auch immer) niederzukonkurrieren und ihnen Anteile an Rohstoffen und Märkten abzujagen, solange treiben wir unweigerlich autoritären Regierungsformen und Kriegen zu.

Solidarität ist auch nicht nur ein moralisches Postulat, und schon gar nicht kann sie von oben, von Staats wegen dekretiert werden. Sie setzt die aktive Beteiligung der Bevölkerung an den wesentlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen voraus. Die bisherige repräsentative Demokratie ist dafür nicht geeignet. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen uns heute eine Vielzahl neuer Formen der Mitentscheidung und der Repräsentation, die sich aus dem Zwangskorsett des Parteienstaats lösen. Mechanismen der Rätedemokratie, der direkten Demokratie, der Liquid Democracy bieten uns hier einen ganzen Strauß von Möglichkeiten, dessen Elemente miteinander kombiniert werden können und nicht gegeneinander gestellt werden sollten.

Zu einer aktiven Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen des Gemeinwesens gehören jedoch unbedingt drei Voraussetzungen: 1. die Menschen müssen die Zeit dazu haben, das bedeutet Arbeitszeitverkürzung und verbindliche Formen der Bürgerbeteiligung im Alltag; 2. die Medien und Kommunikationsmittel dürfen nicht in privater Hand liegen, sondern müssen offene Plattformen für alle bieten; 3. die Sachverhalte, über die entschieden wird, müssen für die Mehrheit überschaubar sein, was wiederum auf ein möglichst regionales Wirtschaften verweist, das sich der ungleichen Verteilung der Ressourcen in der Welt bewusst ist. Entsprechend wäre auch die Kooperation im europäischen Raum neu zu regeln - durchaus mit dem Anspruch, hier ein Modell zu entwickeln, das verallgemeinerbar ist.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 29. Jg., Mai 2014, S. 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
im Normalabo: 55 Euro
im Sozialabo: 26 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2014