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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2281: 1848 - eine europäische Revolution, Teil II


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2018 Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

1848 - eine europäische Revolution, Teil II
Die Unentschlossenheit der deutschen Nationalversammlung. März in Deutschland
Karl Marx über die politische Unabhängigkeit der arbeitenden Klasse

von Manuel Kellner


Zu besprechen, was vor 170 Jahren in Deutschland geschah, ist entgegen dem Anschein alles andere als eine zweckfreie Übung für Adepten der Geschichtswissenschaft. Die Wirkung der Niederlage der deutschen Revolution von 1948/49 reicht weit bis ins 20. Jahrhundert, bis in die Gegenwart und darüber hinaus.


Deutsche nationale Einheit und Demokratie waren die miteinander untrennbar verbundenen Ziele dieser Revolution. Doch die deutsche Einheit kam später, im Jahr 1871, von oben, von Bismarcks Gnaden, als Resultat des Sieges über Frankreich im Krieg und auf Grundlage der - gemeinsam mit der besiegten Armee Louis Bonapartes durchgeführten - Massakrierung der Pariser Kommune. Diese Tatsache, einschließlich der "Erbfeindschaft" gegenüber Frankreich, lastet wie ein Alp auf der gesamten späteren Geschichte Deutschlands.


Gesellschaft im Umbruch

1807 war in Preußen die Leibeigenschaft aufgehoben, 1810 die Gewerbefreiheit eingeführt worden. Noch 1819 gab es in den deutschen Ländern 48 Zoll- und Mautlinien. 1834 trat die überwiegende Mehrheit der deutschen Staaten dem preußischen Zollverein bei. Das neue Bürgertum und mit ihr die lohnabhängig arbeitende Klasse entwickelten sich mit der Industrie, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in Frankreich oder gar in England. Die Einwohnerschaft der Städte wuchs schnell, wenn auch die bäuerliche Bevölkerung immer noch bei weitem überwog. Die preußischen Großgrundbesitzer ("Krautjunker"), preußische Bürokratie und preußisches Militär waren die beherrschende Macht.

Der aufstrebende Bürger hatte keinen politischen Einfluss und blieb Untertan, der verschuldete adelige Leutnant in Berlin stand in der gesellschaftlichen Hierarchie Lichtjahre über ihm. Die Unterdrückung der elementaren politischen Rechte und die staatliche Zensur waren allgegenwärtig. In den Jahren vor 1848 gab es Missernten, Hungersnöte, Lohnsenkungen, neue Massenarmut. In der Industrie gab es Arbeitstage bis zu 17 Stunden und unerträgliche Arbeitsbedingungen, die in wenigen Jahren zum völligen körperlichen Ruin führten. Der Weberaufstand von 1844 war die erste spektakuläre Aktion der Gegenwehr gewesen.

Kurz nach der Februarrevolution in Frankreich griff die revolutionäre Bewegung im März 1848 auf Baden über. Bereits am 27. Februar forderte eine große Volksversammlung in Mannheim Pressefreiheit und Abschaffung der Zensur, Schwurgerichte, Vereinsrecht, Volksbewaffnung und ein allgemeines deutsches Parlament. Die badische Regierung ersetzte drei reaktionäre Minister durch Liberale. Nach Bauernunruhen wurde ein Gesetzentwurf zur Aufhebung der Feudallasten verfasst.

In den darauffolgenden Tagen machten in vielen deutschen Ländern die Märzkabinette Konzessionen an die demokratischen Forderungen und allerlei Versprechungen. So wurden die Throne der kleinen Könige und Fürsten gerettet. Ab dem 13. März griff die Bewegung auf Wien und Berlin über. In Berlin ließ die Obrigkeit die Truppen in die aufständische Menge schießen. Eine zeitgenössische Liste der "Märzgefallenen" zeigt, dass vor allem Arbeiter, Arbeiterinnen, Handwerker und Lehrlinge auf den Barrikaden verbluteten. Am 19. März verneigte sich der preußische König vor den Märzgefallenen. Am 31. März versammelten sich 500 Delegierte in der Paulskirche.

Karl Marx spielte als rédacteur en chef der in Köln vom 1. Juni 1848 bis zum 19. Mai 1849 erscheinenden Neuen Rheinischen Zeitung eine wichtige Rolle in der Revolution. Er vertrat in ihr einen radikaldemokratischen Standpunkt und trat - wie der äußerste linke Flügel des Paulskirchenparlaments - für eine demokratische Republik ein (statt für eine konstitutionelle Monarchie, wie sie das "gemäßigte" liberale Bürgertum forderte). Dabei hob er stets die internationalen Gesichtspunkte der Revolution hervor und verhehlte nicht, dass sein weitergehendes Ziel die "rote Republik" war, die Eroberung der politischen Macht durch die lohnabhängige Klasse als Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft. Im Rückblick auf diese Revolution hat er nach ihrer Niederlage Schlussfolgerungen gezogen, die für die Arbeiterbewegung und die politische Linke bis heute wichtig geblieben sind.


Das Elend der Nationalversammlung

Am 18. Mai sind die Wahlen zur Nationalversammlung und etwa 600 Abgeordnete ziehen in die Paulskirche in Frankfurt am Main ein. Karl Marx geißelt die Unentschlossenheit, die schwätzerische Wichtigtuerei und die Kriecherei dieses Vorparlaments einschließlich seines linken Flügels. Es lehnt mehrheitlich ab, die Republik auszurufen. Es berät endlos lange über eine deutsche Verfassung und über eine Erklärung zu den "Grundrechten des deutschen Volkes", während die Reaktion ihre Wunden leckt und ihre Kräfte sammelt, um die Revolution niederzuwerfen.

Dieses Parlament trägt dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 28. März 1849 mit 248 Fürstimmen bei 290 Enthaltungen die Kaiserkrone an - und dieser fühlt sich schon wieder stark genug, sie hohnlachend abzulehnen (überliefert ist, er habe keine Krone "mit dem Ludergeruch der Revolution" gewollt). Dieses Parlament überträgt sodann alle seine Rechte auf den Erzherzog Johann, den Bruder des Kaisers von Österreich, der als "Reichverweser" und "provisorisches Staatsoberhaupt" mit einem neunköpfigen Reichsministerium eingesetzt wird.

Bald darauf triumphiert die Konterrevolution. Am 19. Mai 1849 erscheint die letzte (die "rote") Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung, Karl Marx wird ausgewiesen. Am 18. Juni wird dem nach Stuttgart verlegten Paulskirchenparlament verboten zu tagen. Aufstände in Sachsen, Baden, der Pfalz, in Bonn, Elberfeld und Düsseldorf werden von der preußischen Soldateska niedergeschlagen. Die Zeit der Rache, der Erschießungskommandos und Einkerkerungen ist gekommen. Das ökonomisch aufstrebende Bürgertum bleibt politisch machtlos, da es sich bereits vor den unteren Volksmassen einschließlich der neu entstandenen Arbeiterschaft mehr fürchtet als vor der Unterordnung unter Adel, Bürokratie und preußische Vorherrschaft.


Marx: Eine bürgerlich-demokratische Republik...

Karl Marx hatte zusammen mit seinen Gesinnungsgenossen vom Bund der Kommunisten im März 1848 einen Text mit den "Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland" verfasst, der unter anderem in Köln als Flugblatt verteilt wird. Diese 17 Forderungen, beginnend mit denen nach der "einigen und unteilbare Republik" und dem allgemeinen Wahlrecht, gehen nicht über den Rahmen einer demokratischen bürgerlichen Republik hinaus. Dem widerspricht weder die Forderung nach "allgemeiner Volksbewaffnung" noch die nach Verstaatlichung der Banken und des Transportwesens. Am Ende des Textes werden die Motive dafür genannt:

"Es liegt im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger- und Bauernstandes, mit aller Energie an der Durchsetzung obiger Maßregeln zu arbeiten. Denn nur durch Verwirklichung derselben können die Millionen, die bisher in Deutschland von einer kleinen Zahl ausgebeutet wurden und die man weiter in der Unterdrückung zu erhalten suchen wird, zu ihrem Recht und zu derjenigen Macht gelangen, die ihnen, als den Hervorbringern alles Reichtums, gebührt." (MEW 5:4f.)

Das nächstliegende Ziel war für Marx eine möglichst demokratische, bürgerliche Republik. In dieser Republik würde die Bourgeoisie die politische Macht ausüben. Doch diese bürgerlich-demokratische Republik hielt Marx für den günstigsten Boden, um den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse voranzutreiben. In dieser Perspektive schrieb er in der Neuen Rheinischen Zeitung: "Die eigentliche Opposition der 'Neuen Rheinischen Zeitung' beginnt erst in der trikoloren Republik." (MEW 5:443.)

Dabei ging es Marx nicht um fein säuberlich getrennte "Etappen" der Revolution. Schon seine Beiträge in der Neuen Rheinischen Zeitung, an die er in der letzten Ausgabe erinnert, zeigen, dass Marx in seiner Konzeption keine chinesische Mauer zwischen dem Kampf für die demokratische Republik und der Selbstbefreiung der lohnarbeitenden Klasse errichtet hatte.

In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass die gesellschaftlichen und politischen Zustände anderswo in Europa fortgeschrittener waren als in Deutschland. Wenn das Proletariat von Paris im Juni 1848 in Frankreich nicht geschlagen worden wäre, dann hätte auch in Deutschland rasch der Kampf um die "rote Republik" alsbald auf der Tagesordnung gestanden.


...und Revolution in Permanenz

In seinem Rückblick vom März 1850 macht Marx noch deutlicher, wie wenig er darauf aus war, die Arbeiterklasse vom Kampf um die eigenen Interessen zurückzuhalten. Das Proletariat sollte sich von der Rolle des Anhängsels des demokratischen Kleinbürgertums befreien und die kommende Revolution über die Schranken des Privateigentums an den Produktionsmitteln hinaustreiben:

"Während die demokratischen Kleinbürger die Revolution möglichst rasch... zum Abschlusse bringen wollen, ist es unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit fortgeschritten ist, dass die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und dass wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind." (MEW 7:247f.)

Die wichtigste Lehre aus der Revolution für Karl Marx war, dass die Arbeiterklasse ihre eigenen Organisationen aufbaut und so die eigene politische Unabhängigkeit erringt: "Aber sie selbst müssen das meiste zu ihrem endlichen Siege dadurch tun, dass sie sich über ihre Klasseninteressen aufklären, ihre selbständige Parteistellung sobald wie möglich einnehmen, sich durch die heuchlerischen Phrasen der demokratischen Kleinbürger keinen Augenblick an der unabhängigen Organisation der Partei des Proletariats irremachen lassen. Ihr Schlachtruf muss sein: Die Revolution in Permanenz." (MEW 7:254.)

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 33. Jg., Juli/August 2018, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2018

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