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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2332: UN-Migrationspakt - "Merkmal der globalisierten Welt"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Zum UN-Migrationspakt
"Merkmal der globalisierten Welt"

von Angela Klein


In letzter Minute vor seiner Verabschiedung am 12. Dezember in Marrakesch ist der UN-Migrationspakt von seiten der extremen und der populistischen Rechten unter massiven Beschuss geraten. Sie lehnte den Pakt ab, weil er angeblich die nationale Souveränität einschränke.


Das tut er aber gar nicht, im Gegenteil, er "bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln". Er schafft einen "rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen, der anerkennt, dass Migration von keinem Staat allein gesteuert werden kann". Für ausgekochte Nationalisten ist schon das ein Skandal.

Stein des Anstoßes ist auch: Der Pakt sieht in der Migration ein "bestimmendes Merkmal unserer globalisierten Welt" und "eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung"; "diese positiven Auswirkungen [will er] durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimieren". Und schließlich gründet der Pakt auf den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und vieler anderer internationaler Abkommen (gegen Sklaverei, Menschenhandel usw., aber auch auf den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem Klimaabkommen von Paris. Er geht somit davon aus, dass Migrantinnen und Migranten ebenso wie Flüchtlinge Individuen mit vollen Rechten und als solche zu behandeln sind, gemäß dem Völkerrecht. Damit war er für Donald Trump schon mal nicht annehmbar, die USA, Österreich, Ungarn und 25 weitere Länder haben den Pakt nicht unterzeichnet, von den 192 Staaten der Vereinten Nationen waren 164 dafür.

Das Völkerrecht schränkt nationale Souveränität natürlich ein; nach zwei mörderischen Weltkriegen zu leugnen, dass das im Zusammenleben der Völker auf einen Fortschritt abzielt, ist unerträglich. Sicher hat es weder Kriege noch Folter, Sklaverei, Kinderarbeit etc. verhindert, im Gegenteil, all diese Gräuel sind auf dem Vormarsch. So argumentieren auch einige Linke. Ohne internationale Vereinbarungen gäbe es aber auch viele Bestimmungen der ILO oder auch das UN-Klimaabkommens nicht - wie unzureichend sie auch seien. Wenn rechte Regierungen aus dieser Kooperation aussteigen wollen, nehmen sie ungeheure Rückschritte in Kauf, um ihre tumbes "Wir zuerst" durchzusetzen.


Das allein ist Grund genug, diesen Pakt zu unterstützen. Die LINKE im Bundestag hat das auch getan und zugleich eine Erklärung abgegeben, die besagt: Der Ansatz ist gut, aber er reicht uns nicht. Das stimmt aber nur halb, zum Teil geht er auch in die falsche Richtung.

Eine wichtige Kritik der LINKEN lautet: Der Pakt unterscheidet zwischen Migranten und Flüchtlingen, es gibt dafür auch zwei verschiedene Abkommen. In der Praxis lässt sich diese Unterscheidung kaum aufrechterhalten, denn Migration ist in aller Regel nicht freiwillig, sondern erzwungen. Durch die Hintertür wird so zwischen guten und schlechten Einwanderern unterschieden, was nur dazu führen kann, dass die "schlechten" Abschiebung und Ausgrenzung erwartet, während die wenigen "guten" in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, wobei sie als Nichtstaatsbürger nicht dieselben Rechte genießen wie die Einheimischen und verschärft ausgebeutet werden. Der Pakt enthält teils zweischneidige, teils abzulehnende Ziele: so die Bekämpfung der Schleuser (auch Seenotrettung wird als "Schleuserunwesen" diffamiert) oder ein "sicheres Grenzmanagement"; der Pakt zählt sogar den "Freiheitsentzug" für Migranten als "letztes Mittel" (gegen was eigentlich?) auf.

Zur Bekämpfung von Fluchtursachen hat er - obgleich sich die "Vereinten Nationen" doch gerade hier auf gemeinsame Standards verständigen müssten - wenig mehr zu bieten als die (ebenfalls nicht rechtsverbindliche) "Agenda 2030" für nachhaltige Entwicklung, die 17 Ziele im Bereich der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik definiert. Ein allgemeines Verbot von Waffenexporten sucht man dort vergebens. Der Pakt für Migration wird am ehesten dort wirken, wo es darum geht, "gemeinsame Analysen und den Informationsaustausch [zu] verstärken, um Migrationsbewegungen... besser zu dokumentieren, vorherzusagen und zu bewältigen, und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Menschenrechte aller Migranten wirksam geachtet... werden". Dazu gehören Informationen über Migrationstrends, die Ausstattung aller Menschen mit einer rechtlichen Identität, damit sie registriert werden können, die Gewährleistung "effektiver Migrationsverfahren", der Austausch biometrischer Daten...


Sahra Wagenknecht hält den Migrationspakt für ein Instrument, um Fachkräfte aus den armen Ländern abzuwerben, das sei "eine neue Art neokolonialer Ausbeutung". Dieser Aspekt ist in dem Pakt zweifellos enthalten. Er will u.a. "Vereinbarungen zur Arbeitskräftemobilität mit sektorspezifischen Standardbeschäftigungsbedingungen entwickeln" (auf der Basis der ILO-Normen und des internationalen Arbeitsrechts) und "Wege für eine reguläre Migration überprüfen, mit dem Ziel, die Abstimmung von Qualifikationen mit dem Arbeitsmarktbedarf zu optimieren"; "flexible Arbeitsmobilitätsprogramme für Migranten entwickeln"; "faire und ethisch vertretbare Rekrutierungsmechanismen" entwickeln.

Doch geht es dem Pakt nicht in erster Linie darum, Abwerbung zu erleichtern, sondern die Rechte von Migranten in diesem Zusammenhang zu stärken, die Staaten etwa zu verpflichten, dass sie "dieselben Arbeitsrechte und denselben Arbeitsschutz gewährleisten, die allen Arbeitskräften im jeweiligen (Wirtschafts-)Sektor gewährt werden" und ihnen "sicheren Zugang zu wirksamen Anzeige-, Beschwerde und Rechtsbehelfsmechanismen" geben. Der Pakt enthält einen umfangreichen Katalog an Schutzmaßnahmen, zu denen die Staaten angehalten werden sollen - gegenüber den Raubtiermethoden, die derzeit auf internationalen Arbeitsmärkten herrschen, wäre dies unzweifelhaft ein Fortschritt, selbst wenn nur ein bißchen davon umgesetzt würde.

Wagenknecht möchte am liebsten einen internationalen Arbeitsmarkt verbieten. In der Fernhaltung fremder Arbeitskräfte sieht sie ein Mittel, um Einheimische vor der Billigkonkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Sie übersieht dabei, dass auf dem Arbeitsmarkt zwei Akteure auftreten: Unternehmen und Arbeitsuchende. Die Rechte letzterer stärkt man nicht dadurch, dass man ihnen das Recht auf Freizügigkeit nimmt, sondern dadurch, dass man sie ausweitet - weltweit. Die Einschränkung der Personenfreizügigkeit trifft in erster Linie die Arbeitsuchenden, Unternehmen kommen immer an Arbeitskräfte ran, wenn nicht legal, dann eben illegal. Diesbezüglich verfolgt der UN-Pakt den richtigen Ansatz.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 34. Jg., Januar 2019, S. 4
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2019

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