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FILM/008: Das Drama "Stein der Geduld" (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 16 vom 15. Oktober 2013

Endlich Worte
Zugesehen: Das Drama "Stein der Geduld" erzählt überwältigend sinnlich von einer afghanischen Frau

Von Andreas Körner



Sie haben keine Namen und bekommen auch keine. Sie werden Frau genannt, Mann, Tante. Und junger Soldat. Selbst der Krieg ist nur ein Krieg.

"Stein der Geduld" des Afghanen Artiq Rahami - der seinen eigenen Roman verfilmte - beginnt mit einem dezenten Schwenk im kargen Zimmer. Dann ein naher Einschlag, der Wasserbecher erzittert, ein Lappen wird darin eingetaucht. Die Frau wringt ihn aus und benetzt die Stirn des Mannes. Er liegt auf dem Boden. Im Koma. Die Frau gibt ihm den Tropf, versteckt ihn. Sie kommt und geht, erst mit der kleinen Tochter, dann allein. Und spricht.

Zunächst glaubt man, sie redet intuitiv mit dem Mann, weil man eben mit Komapatienten reden soll. Nach und nach und sehr eindringlich wird klar, dass sie es für sich tut. Sie schenkt sich Worte, die sie nie ausgesprochen, sehr wohl aber erlebt oder geträumt hat. Wie es ihr erging mit dem Vater, dem die Kampfwachteln näher waren als seine Töchter, die er einsetzte im Spiel. Wie sie bei ihrer Hochzeit alleine war, nur das Bild vom Bräutigam neben sich. Er war im Kampf - auf welcher Seite?

Intuition ist alles für diese Frau, auch als Schutzfaktor. Als sie unter Druck gerät und sagt, sie verkaufe ihren Körper, wird sie von einem Kommandanten angespuckt, von einem jungen Soldaten aber angefixt. Er wird wiederkommen, der Stotterer, der Unbeholfene, der mit dem Krieg genauso wenig anfangen kann wie mit einer Frau. Beides wird er lernen - müssen oder dürfen. "Jene, die nichts von der Liebe wissen, ziehen in den Krieg", heißt es. Auch der Stein der Geduld ist islamische Mythologie.

Man sieht die Frau halb nackt beim Waschen, mit kaum gottesfürchtigen Griffen und Gesten, dem ersten Kuss auf Stirn und Mund seit zehn Jahren Ehe. Koma und ihre entdeckenden, offenbarenden Worte erlauben ihr dieses Stück ungeahnter Freiheit.

Es ist ein erstklassiger Film, einer, der so nur im europäischen Kontext entstehen konnte, um von außen den Blick aufs Innen zu richten. "Stein der Geduld" gibt dem zum Slang gewordenen Begriff des Atemberaubenden Sinn und Sinnlichkeit durch Bilder, Klänge, Ruhe - die Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani. Dass diese Poesie verstören kann, ist mögliches Empfinden. Sie verklärt aber keine Tragödien.

Selten zuletzt hat man einer Frau, einer Hauptfigur an sich, so viel Gutes gewünscht.

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 24. Jg., Nr. 16 vom 15.10.2013, S. 12
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2013