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INTERNATIONAL/001: Ungarn - Mediendiktatur (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 23. Dezember 2010

Mediendiktatur
Die rechtsnationalistische Regierung Ungarns hat die Pressefreiheit per Dekret abgeschafft

Von Uli Brockmeyer


Das ungarische Parlament hat per Gesetz eine absolute Kontrolle über die Medien verhängt und dadurch die beherrschende Position des autokratisch regierenden Premierministers Viktor Orbán weiter gefestigt. Politische Beobachter sind davon nicht überrascht. Es ist bekannt, daß der Premier es absolut nicht ausstehen kann, wenn in den Medien anders als in großer Bewunderung über ihn berichtet wird. Journalisten erinnern sich daran, daß Orbán während seiner ersten Regentschaft (1998 - 2002) aus Verärgerung über die unbotmäßige Berichterstattung etwa drei Jahre lang keine Interviews gewährte.

Wenige Tage vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn wurde ein Gremium zur Medienaufsicht eingesetzt, das von fünf Vertretern der Regierungspartei FIDESZ kontrolliert wird. Der Medienrat NMHH bestimmt die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender sowie der Nachrichtenagentur MTI. Die betroffenen Medien müssen im Zuge der neuen Gesetzgebung auch ihre Nachrichtenproduktion vereinheitlichen.

Um keinerlei Abweichungen in den staatlichen Medien zuzulassen, kommen alle Nachrichten nur noch aus einer Quelle, die sich »Programmdienstleistungsgesellschaft« nennt. Diese Informationskontrollanstalt hat auch das gesamte Vermögen der Rundfunk- und Fernsehanstalten, einschließlich wertvoller Immobilien in der Budapester Innenstadt. Den Rundfunk- und TV-Anstalten, die seit dem Amtsantritt der Orbán-Regierung ohnehin ausschließlich unter der Führung von Orbáns Gefolgsleuten stehen, wird nur noch gestattet, jeweils etwa 50 Personen zu beschäftigen. Mehrere hundert Mitarbeiter des Rundfunks und des Fernsehens wurden bereits gefeuert.

Rundfunksender, Zeitungen und Zeitschriften, deren Berichte als »nicht politisch ausgewogen« erachtet werden, dürfen ab 1. Januar 2011 mit hohen Geldbußen belegt werden. Journalisten müssen ihre Quellen offenlegen, wenn es um »Fragen der nationalen Sicherheit« geht. Im Mediengesetz gibt es eine Reihe weiterer vager Formulierungen. Die Interpretation der Vorschriften und der möglichen Verstöße dagegen obliegt allein dem Medienrat NMHH und dessen Präsidentin Annamária Szalai. Die wurde von Orbán persönlich für neun Jahre eingesetzt. Ihre journalistische »Qualifikation« stammt vor allem aus ihrer Arbeit als Redakteurin einer Provinzzeitung sowie als Chefredakteurin eines Erotikmagazins. Allerdings wurde sie vor einigen Jahren zur Professorin einer Budapester Hochschule ernannt, ein Titel, mit dem sie sich weiterhin schmücken darf.

Der Medienrat untersteht keinerlei parlamentarischer Kontrolle und bekommt per Gesetz das Recht, alle Medien, die nach seiner Ansicht »politisch nicht ausgewogen« oder »falsch« berichten, mit Strafen bis zu 90.000 Euro zu belegen. Sollte sich eine Redaktion nach Ansicht der fünf Chefs des Medienrates eines besonders schweren Vergehens schuldig machen, können Strafen in Millionenhöhe verhängt werden. Die Medienwächter - von denen keiner auf Erfahrungen in einer Redaktion einer größeren Zeitung oder beim Rundfunk bzw. Fernsehen verweisen kann -, haben somit die Möglichkeit, eine unliebsame Redaktion einfach zu vernichten. Die vom NMHH verhängten Strafen sind laut Gesetz sofort zu bezahlen.

Nichtstaatliche Sender können ebenfalls durch das Instrument der Vergabe von Frequenzen drangsaliert werden. Nach bisher vorliegenden Informationen laufen allein im Januar die Sendegenehmigungen von etwa 100 Rundfunksendern ab. Genehmigungen werden zur Zeit für einen oder wenige Monate verlängert - oder eben nicht. Gegenüber Zeitungen, Zeitschriften und Internetportalen darf ab dem Zeitpunkt der Übernahme der EU-Präsidentschaft am 1. Januar die Medienbehörde ohne Gerichtsurteil Bußgelder für rechtswidrige Berichterstattung verhängen oder auch die weitere Veröffentlichungstätigkeit verbieten.

Das Mediengesetz wurde im Parlament mit einer Mehrheit der Regierungspartei und ihres christdemokratischen Koalitionspartners von 256 gegen 87 Stimmen durchgepeitscht. Orbán hatte zuvor alle FIDESZ-Abgeordneten verpflichtet, an der Abstimmung teilzunehmen, und es wurde kontrolliert, ob auch alle ihre Stimme abgeben.


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Die Abschaffung der Pressefreiheit im EU-Land Ungarn traf bisher auf kaum hörbaren »Widerstand« in der EU. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament will »Ungarn sehr genau an den europäischen Standards zur Pressefreiheit messen«. Sollten diese nicht erfüllt werden, werde Budapest »große Probleme bekommen«.

Ausnahmsweise hat sich die Luxemburger Regierung mit einem bemerkenswerten Statement zu Wort gemeldet - als einzige Regierung eines EU-Landes am Tag nach dem Budapester Maulkorbbeschluß. Außenminister Asselborn wurde mit der Frage zitiert, ob Ungarn überhaupt »würdig sei, die Ratspräsidentschaft zu übernehmen.« Laut ORF benutzte er sogar ungewöhnlich deutliche Worte: »Das ist eine direkte Gefahr für die Demokratie. Hier wird die Meinungsbildung unter die Kontrolle des Staates gestellt.«

Herr Asselborn hat absolut recht. Leider hat er geschwiegen, als in Budapest die faschistoide »Ungarische Garde« aufmarschierte, und auch, als in Ungarn, Polen und anderen osteuropäischen EU-Ländern das öffentliche Zeigen der Symbole kommunistischer Parteien bei Strafe verboten wurde. Aber es ist besser, später wach zu werden, als überhaupt nicht.

U.B.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010