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INTERNATIONAL/028: Ägypten - Neue Herren auf altem Kurs, Kritik an den staatlichen Medien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2011

Ägypten: Neue Herren auf altem Kurs - Kritik an den staatlichen Medien

Von Cam McGrath


Kairo, 10. August (IPS) - In den ägyptischen Staatsmedien war dem Arabischen Frühling nur ein kurzes Gastspiel vergönnt. Auch ein Wechsel in den Führungsetagen habe sie nicht von ihrem gut eingespielten Kurs der Obrigkeitshörigkeit abbringen können, kritisieren Analysten und unabhängige Journalisten.

"Alles was sie können ist ihr Lobgesang auf die jeweilige Obrigkeit, sei es nun Mubarak oder der derzeit regierende Oberste Militärrat (SCAF)", erklärte Rasha Abdulla, Dozentin für Journalistik und Massenkommunikation an der Amerikanischen Universität in Kairo. "Diese Institutionen haben Mubarak 30 Jahre lang an der Macht gehalten", betonte sie. Jetzt sei es an der Zeit, dass Journalisten erkennen, welche Rolle ihnen die Reformbewegung zuweist.

Weil Ex-Staatspräsident Hosni Mubarak die Macht der Medien kannte, investierte er massiv in die Kontrolle staatlicher Zeitungen sowie der Rundfunk- und Fernsehsender. Sie überschwemmten die Massen mit Propaganda, die die wenigen aber kräftigen Stimmen der unabhängigen Presse übertönen sollte.

Die demokratische Revolution stellte die ägyptischen Medien auf den Prüfstand. Sollte sie sie verurteilen, darüber berichten oder schweigen? Im Laufe des 18-tägigen Aufstands probierten sie alle drei Möglichkeiten aus.


Berichterstattungsverbot

Die Journalistin Shahira Amin, eine erfahrene Moderatorin und stellvertretende Direktorin des englischsprachigen 'Nile-TV', dessen Studios in Kairo in Hörweite des Tahrir-Platzes liegen, berichtete über ihre Erfahrungen. "Anfangs durften wir nur über Demonstrationen der Mubarak-Anhänger berichten, später versuchten die Staatsmedien, die Menschen mit Verschwörungstheorien gegen die Demonstranten aufzuwiegeln." Israelische, iranische und Hamas-Agenten hätten die Revolution angezettelt, hieß es.

Erst ein Besuch bei den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz habe ihr vor Augen geführt, welches Lügennetz ihr Sender verbreitete. "Ich sah, dass es sich um eine Volksbewegung handelte, mit Familien, jungen und alten Menschen, Reichen und Armen."

Als dann am 2. Februar Mubaraks Schlägertrupps auf Kamelen und Pferden auf dem Tahrir-Platz anrückten und das internationale Satellitenfernsehen in Live-Sendungen zeigte, wie sie mit Stöcken und Schwertern auf unbewaffnete Demonstranten einschlugen, weigerten sich ägyptische TV-Kanäle, diese Clips auszustrahlen. "Mein Nachrichtenredakteur erklärte mir, es gebe strikte Anweisungen, diese Ereignisse nicht zu diskutieren", erinnerte sich Amin. Einen Tag später warf die Journalistin ihren Job hin und beteiligte sich an den Demonstrationen.

Erst als Mubaraks Sturz absehbar war, schwenkte die Berichterstattung der Medien um. Hatten sie bislang die Demonstranten als 'Störenfriede' und 'ausländische Agenten' beschimpft, so war plötzlich von der patriotischen Jugend die Rede, die nach längst überfälligen Reformen rief.

Ägyptens Übergangsregierung des Militärrates veranlasste in den Staatsmedien einige Veränderungen. Sie löste das für die Medienkontrolle zuständige Informationsministerium auf und wechselte das Führungspersonal der staatsnahen Tageszeitungen sowie der Rundfunk- und TV-Sender aus.

Als stellvertretender Chefredakteur der amtlichen Nachrichtenagentur MENA begrüßte Ashraf El-Leithy die Neuerungen als Chancen für eine unabhängige Berichterstattung der Medien. "Bestimmte Themen wie die verbotene Muslim-Bruderschaft waren früher für uns tabu. Jetzt können wir über Auswahl und Inhalt unserer Berichte selbst bestimmen."


Kosmetische Veränderungen

In der Hoffnung, in Zukunft unabhängig arbeiten zu können, ist die Fernsehmoderatorin Amin wieder zu 'Nile TV' zurückgekehrt. Enttäuscht bezeichnet sie die Veränderungen als reine Kosmetik. Die neuen Chefredakteure und Sendeleiter seien Veteranen der alten Propagandamaschinerie und ihre Vorgänger als Berater geblieben. "Sie haben Mubarak gegen das Militär eingetauscht", betonte die Journalistin.

Die erneute Etablierung eines Informationsministeriums im Juli hat Menschenrechtsaktivisten alarmiert. Zudem besteht die Militärregierung neuerdings darauf, dass sämtliche Berichte, die sich mit ihr oder ihrer Führung befassen, vorab genehmigt werden müssen. Journalisten und Blogger, die sich nicht an diese Weisung halten, werden schikaniert oder verhaftet.

Nach Mubaraks 30-jährigem Regime müssten Ägyptens Journalisten ihr neues Rollenverständnis erst einmal lernen, betonte die Medienexpertin Abdullah. "Schließlich bezahlt das Volk die Medien. Diese sollten die Interessen der Menschen vertreten und sich nicht in den Dienst der Regierung stellen." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2011