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INTERNATIONAL/078: Philippinen - Netzbürger wehren sich gegen neues Internetgesetz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Oktober 2012

Philippinen:
Twittern kann strafbar sein - Netzbürger wehren sich gegen neues Internetgesetz

Von Kara Santos


Bereits ein Facebook-Kommentar kann auf den Philippinen ein Gesetzesbruch sein - Bild: © Kara Santos/IPS

Bereits ein Facebook-Kommentar kann auf den Philippinen ein Gesetzesbruch sein
Bild: © Kara Santos/IPS

Manila, 2. Oktober (IPS) - Ein neues Gesetz gegen Cyberkriminalität hat auf den Philippinen Befürchtungen geweckt, dass nicht nur den Online-Medien, sondern auch den Internetnutzern ein Maulkorb angelegt werden könnte.

Mediengruppen lehnen das Gesetz als Bedrohung der Pressefreiheit und Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsfreiheit ab. Blogger und Nutzer sozialer Netzwerke im Internet kritisieren, dass die Regierung unter Berufung auf die neuen Regelungen Websites auch ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren schließen könne. Internetuser könnten bereits haftbar gemacht werden, wenn sie den 'Gefällt mir'-Button auf Facebook anklicken oder eine Kurzmitteilung auf Twitter weiterleiten.

Das 'Gesetz zur Verhinderung von Cyberkriminalität' wurde im September von Staatspräsident Benigno Aquino III. unterzeichnet und somit in geltendes Recht überführt. Zu den nun strafbaren Handlungen gehören unter anderem der unberechtigte Zugang zu Computersystemen, Identitätsklau im Internet, Cybersex und Kinderpornographie. Außerdem kann der Straftatbestand der Verleumdung so weit ausgelegt werden, dass jeder, der einen Computer nutzt, theoretisch mit den Gesetz in Konflikt geraten kann.

'Verleumdung' wird in Paragraph 353 des Revidierten Strafgesetzbuches als "öffentliche Zuschreibung und bösartige Zuschreibung realer oder imaginärer Verbrechen, Laster oder Schwächen" sowie von Handlungen gewertet, die natürliche oder juristische Personen entehren, diskreditieren oder verächtlich machen oder das Ansehen eines Toten beschädigen.

Laut Luis Teodoro, stellvertretender Direktor des Zentrums für Medienfreiheit und -verantwortung' (CMFR) stärkt das neue Gesetz ein 82 Jahre altes Gesetz über Verleumdung, das vom UN-Menschenrechtsrat als "drakonisch" und "übertrieben" kritisiert wurde. "In einer Zeit, in der überall auf der Welt die Tendenz vorherrscht, die Strafbarkeit von Verleumdung abzuschwächen, ist das Gesetz über Cyberkriminalität rückschrittlich", beanstandete er.


'Verleumdung' kann weiter ausgelegt werden

Im Zeitalter der neuen Medien nutzten normale Bürger Facebook und Twitter dazu, ihre Meinung frei zu äußern. Das Gesetz sei zu beanstanden, weil es Behörden die Macht gebe, die freie Meinungsäußerung zu begrenzen, sagte der Wissenschaftler. Unter anderem sei es den Regierungsbehörden möglich, als verleumderisch eingestufte Tweet unsichtbar zu machen und sogar Aktivitäten im Internet einschließlich privater Facebook-Konten zu überwachen.

Der Nationale Philippinische Journalistenverband (NUJP) erklärte, dass das Inkrafttreten des Gesetzes Aquinos Zusage widerspreche, Transparenz und Meinungsfreiheit zu unterstützen. Das Gesetz sei "hinterhältig", sagte die NUJP-Generalsekretärin Rowena Paraan. Einige Teile des Gesetzestextes entsprächen nicht der Version, die vom Senat gebilligt worden sei. Sie seien plötzlich in der Fassung aufgetaucht, die der Präsident unterschrieben habe und somit nicht vom Parlament beraten worden.

Die Journalistin und Bloggerin Raissa Robles warf Senator Vicente Sotto III. vor, kurz vor Ende der Frist auf die Änderungen gedrungen zu haben. Viele Filipinos sind irritiert, zumal Sotto dafür bekannt ist, dass er Blogs plagiiert. Erst kürzlich wurde er von Internetnutzern heftig für die Verwendung von Zitaten ohne Angabe der Quellen kritisiert.

Robles beanstandete zudem, dass das Gesetz die Identifizierung der Herkunft des verleumderischen Materials erschwert und diejenigen, die bei Postings auf Facebook den 'Like'-Button anklicken, in den Verdacht des Gesetzesbruchs kommen. Auch Paraan warnte davor, dass im Internet verbreitete Meinungsäußerungen als Angriff auf den guten Ruf einer Einzelperson oder einer Institution gewertet werden könnten.

"Historisch betrachtet haben auf den Philippinen die Reichen und Mächtigen den Vorwurf der Verleumdung als Waffe benutzt, um die gegen sie gerichtete Kritik zu unterdrücken", sagte Robles. Vor der Einführung des Internets sei es für die Einflussreichen leichter gewesen, Kritik unter Kontrolle zu halten. "Sie brauchten nur Anteile bei Zeitungen, Fernsehkanälen und Radiosendern zu erwerben oder gegen sie vor Gericht zu gehen. Inzwischen haben sie gemerkt, dass das sich das Internet ihrer Kontrolle entzieht."


'Human Rights Watch' kritisiert "exzessive" Einflussnahme

Die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) übte in einer am 28. September verbreiteten Erklärung scharfe Kritik an dem Gesetz. Behörden sicherten sich damit eine exzessive und unkontrollierte Einflussnahme, indem sie Websites schließen und im Internet verbreitete Informationen überwachen könnten.

Das Gesetz gegen Cyberkriminalität müsse abgeschafft werden, forderte Brad Adams, der HRW-Direktor für Asien. "Es verstößt gegen die Rechte der Filipinos auf freie Meinungsäußerung und ist völlig unvereinbar mit den internationalen rechtlichen Verpflichtungen der Regierung."

Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben inzwischen den Rechtsweg beschritten, um die Behörden daran zu hindern, Teile des Gesetzes umzusetzen. Sie sei froh darüber, dass viele verschiedene Gruppen die Bedrohung des Rechts auf Meinungsfreiheit erkannt hätten, sagte Paraan. Mehrere Petitionen, die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in Frage stellen, sind bereits beim Obersten Gerichtshof des südostasiatischen Landes eingereicht worden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.gov.ph/2012/09/12/republic-act-no-10175/
http://www.mediadefence.org/sites/default/files/uploads/Comm%201815%202008_lo%20res.pdf
http://www.theafricareport.com/20120509501811034/columns/the-internet-in-the-21st-century-part-1.html
http://www.nujp.org/2012/09/cybercrime-law-threatens-freedom-of-expression/
http://raissarobles.com/
http://www.gmanetwork.com/news/story/276009/scitech/technology/fifth-petition-vs-cybercrime-act-filed-this-week
http://www.ipsnews.net/2012/09/filipino-netizens-reject-cybercrime-act/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2012