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INTERNATIONAL/124: Aserbaidschan - Freies Wohnen auf Staatskosten für Journalisten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2013

Aserbaidschan: Freies Wohnen auf Staatskosten - Journalisten geraten in Ruch der Bestechlichkeit

von Shahin Abbasow (*)



Baku, 12. September (IPS) - Um die Pressefreiheit ist es in Aserbaidschan schlecht bestellt. Kritische Journalisten werden eingeschüchtert, verprügelt und manchmal getötet. Vor den nächsten Wahlen im Oktober setzt die die Regierung von Staatschef Ilham Alijew zunehmend auf die Zuckerbrot-Strategie, um eine missliebige Berichterstattung zu verhindern.

Ende Juli weihte die Regierung in der Hauptstadt Baku ein neues Wohngebäude mit 155 Ein-, Zwei- und Drei-Zimmer-Apartments ein, in die ausschließlich Medienschaffende und deren Familien einziehen dürfen. Das 17-stöckige Haus, dessen Bau umgerechnet 6,37 Millionen US-Dollar kostete, befindet sich im Viertel Bibi Heybat.

Viele der neuen Bewohner arbeiten für regierungstreue Medien. Doch gibt es auch Kollegen, die für die unabhängige Presse tätig sind. Alijew versucht offensichtlich aus der Eröffnung des Gebäudes politisches Kapital zu schlagen. Die Tatsache, dass "Journalisten verschiedener Medien und Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen Wohnungen erhalten haben, zeigt, dass es in Aserbaidschan keine politische Diskriminierung gibt", betonte der Präsident.


Recht auf Meinungsfreiheit droht ausgehöhlt zu werden

Kritiker wenden jedoch ein, dass das Angebot eine kaum verhüllte Bestechungsaktion ist, mit der die Regierung die Berichterstattung in ihrem Sinne beeinflussen wolle. "Die Behörden haben das Grundrecht der Meinungsfreiheit in das Recht auf mietfreies Wohnen umgewandelt", kommentierte der ehemalige Zeitungsjournalist Sahveled Chobanoglu auf der Nachrichtenwebsite 'Contact.az.'.

Selbst zwei Beschäftigte des als besonders regierungskritisch bekannten Blattes 'Azadliq' (Freiheit), die mit der oppositionellen Volksfront-Partei verbunden ist, haben kostenfrei Apartments in dem neuen Hochhaus bezogen, ebenso Kollegen anderer oppositioneller Publikationen wie 'Yeni Musavat' und 'Bizim Yol'.

Der Chefredakteur von Azadliq, Rahim Hajijew, räumte große Vorbehalte gegen die Initiative der Regierung ein. Den beiden Angestellten, die sich in einer Notlage befänden, habe er aber nicht verbieten wollen, das Angebot zu nutzen. "Denn die Zeitung kann ihre finanziellen Bedürfnisse nicht erfüllen."

Das Blatt erhält zudem Unterstützung vom staatlichen Medienfonds. "Wir arbeiten unter harten Bedingungen und erhalten weder finanzielle Hilfe von auswärts noch Werbeeinnahmen", erklärte Hajijew. "Trotzdem müssen wir überleben." Sowohl der Chefredakteur als auch die beiden von der Regierung Begünstigten beharren darauf, dass die neue Wohnsituation keinen Einfluss auf ihre Berichterstattung nehmen wird.

Nur die privat finanzierte Nachrichtenagentur 'Turan' hat wiederholt Wohnungsofferten der Regierung ausgeschlagen. Die Staatsführung sei vor allem daran interessiert, die Integrität der Mitarbeiter oppositioneller Medien ins Wanken zu bringen, meinte Huquq Salmanow. Der Turan-Reporter, der selbst in finanziellen Schwierigkeiten steckt, hatte sich privat um eine Wohnung in dem Hochhaus bemüht. Ihm wurde daraufhin mitgeteilt, nur in seiner Funktion als Turan-Berichterstatter einen Antrag stellen zu können. "Ich wollte dieses Spiel aber nicht mitspielen und habe abgelehnt", erklärte er.


Viele Journalisten in materieller Not

Wie Salmanow leben die meisten Journalisten in Aserbaidschan am Rande der Existenz. Die monatlichen Gehälter für Beschäftigte bei Radiosendern, Zeitungen oder Online-Medien betragen durchschnittlich nur etwa 574 Dollar. Die Miete für eine Wohnung im Zentrum von Baku ist aber oft mindestens doppelt so hoch. Viele Medienvertreter sahen sich vor allem durch die hohen Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt dazu gezwungen, eine Wohnung auf Regierungskosten zu beantragen.

"Mit unseren Einkommen können wir kein anständiges Leben führen", erklärte ein Familienvater, der für eine oppositionelle Zeitung arbeitet und ebenfalls das Angebot, mietfrei zu wohnen, angenommen hat. In einem Interessenskonflikt sieht er sich aber nicht. "Das Haus wurde nicht mit dem Privatvermögen von Ilham Alijew gebaut", sagte der Journalist, der seinen Namen nicht genannt sehen wollte. "Ich habe das Apartment vom Staat erhalten und fühle mich der Regierung gegenüber nicht verpflichtet."

Aygun Muradkhanly, die als Journalistin für Yeni Musavat arbeitet, ist sogar der Meinung, dass der Staat dazu verpflichtet sei, Medienberichterstattern finanziell unter die Arme zu greifen. Als ihr Name kurz vor Bezug des Gebäudes von der Liste der neuen Bewohner gestrichen worden war, wandte sie sich persönlich an Alijew. "Ich habe 22 Jahre Berufserfahrung und in den vergangenen 14 Jahren selbst eine Wohnung gemietet", erklärte sie. "Auch ich verdiene jetzt ein Apartment."

Beobachter fühlen sich durch solche Ansprüche allerdings an Sowjetzeiten erinnert, als der Staat diejenigen Kreativen unterstützte, die auf seine Linie einschwenkten.

Unterdessen wurde bekannt, dass mindestens ein Bewohner des Wohngebäudes in Bibi Heybat bereits ein anderes Apartment besitzt. Damit hat er gegen die Aufnahmebedingungen verstoßen. Doch der Chefredakteur Rashad Majid von der '525-ci Gazet' sieht sich völlig im Recht: "Ich arbeite seit vielen Jahren im Journalismus und verdiene eine solche Wohnung. Mein Sohn, der auch in den Medien tätig ist, wird in dem neuen Apartment leben. Für meine beiden anderen Söhne möchte ich nun von der Regierung ebenfalls Unterkünfte haben."

Präsident Alijew hat inzwischen Geld für den Bau eines weiteren Wohnhauses für Journalisten freigegeben. Die Bauarbeiten haben bereits begonnen. (Ende/IPS/ck/2013)

(*) Dieser Artikel ist zuerst bei EurasiaNet.org erschienen.


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/09/opposition-journalists-in-azerbaijan-face-free-flat-conflict/

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IPS-Tagesdienst vom 12. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2013