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INTERNATIONAL/133: Indien - Google für Arme, neue Kommunikationsplattform verschafft Indigenen Gehör (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. November 2013

Indien:
Google für Arme - Neue Kommunikationsplattform verschafft Indigenen Gehör

von Keya Acharya


Bild: © Purushottam Thakur/IPS

Frauen im indischen Bundesstaat Chhattisgarh entdecken neue Kommunikationstechnologien
Bild: © Purushottam Thakur/IPS

Raipur, Indien, 26. November (IPS) - Mitten in den Wäldern Zentralindiens lebt das Volk der Gond. Viele Angehörige der von Staat und Medien weitgehend vergessenen ethnischen Minderheit sind Analphabeten. Doch dank der neuen Nachrichten-Plattform 'CGNet Swara' und der rapiden Verbreitung von Mobiltelefonen auf dem Subkontinent können sie sich nun Gehör verschaffen.

Der 38-jährige Naresh Bunkar aus dem Bundesstaat Chhattisgarh ist begeistert. "Computer mein Chhappa jata hai (Alles erscheint auf dem Computer)", sagt er stolz auf Hindi und zeigt, wie sich Nachrichten mit Hilfe von CGNet Swara im Internet verbreiten. Die Gond leiten auf diesem Weg Beschwerden weiter oder teilen Neuigkeiten mit anderen, ohne dass ihnen dabei Kosten entstehen.

Über CGNet Swara machte Bunkar als Erster publik, dass ein Forstaufseher Bestechungsgelder in Höhe von umgerechnet 1.000 US-Dollar von 33 Familien angenommen hatte. Im Gegenzug hatte ihnen der Beamte unter Berufung auf das Forstgesetz von 2006 Landtitel versprochen. Zwei Monate später berichtete Bunkar, dass der Beamte das Geld zurückgegeben und sich entschuldigt hat.

Wie groß der Einfluss der Plattform ist, zeigte sich auch in der Suspendierung eines Lehrers. Dieser hatte Geld, Möbel und Getreide gestohlen, die die Regierung Schulkindern aus ethnischen Gemeinschaften bereitgestellt hatte.


Modell verbreitet sich in Indien rasch weiter

Von solchen Erfolgsgeschichten ermutigt, haben sich viele Indigene inzwischen mit CGNet Swara beschäftigt, was auf Deutsch so viel wie 'Stimme von Chhattisgarh' bedeutet. In dem Bundesstaat ist ein Drittel der Bevölkerung indigener Herkunft. Inzwischen verbreitet sich das Modell auch rasch in anderen Teilen des riesigen Landes, um diejenigen zu erreichen, die bisher keinen Zugang zu moderner Kommunikation hatten.

"Die indischen Bundesstaaten sind durch verschiedene Sprachen getrennt, und die Gond im Zentrum des Landes sind einfach vergessen worden", erläutert Shubhranshu Choudhary, ein ehemaliger BBC-Journalist. "Es gibt keine Zeitung in ihrer Sprache. Das einzig Neue ist, dass die meisten dort inzwischen Handys haben."

Choudhary nutzte sein Wissen, um 2010 CGNet Swara einzuführen. In Chhattisgarh, wo maoistische Rebellen aktiv sind, geraten Zivilisten häufig in die Schusslinie zwischen Guerilla und Armee. Dass es in der Region unruhig ist, hängt seiner Ansicht nach mit der jahrelangen Vernachlässigung zusammen.

"Wir versuchen ein neues 'Entwicklungs-Paradigma' zu schaffen", erklärt Choudhary. "Dieses Kommunikationssystem könnte das Google für Arme werden." Und so funktioniert es: Wenn jemand die Nummer +91 80 500 68000 wählt, kommt eine Nachricht auf einem Server in Bangalore an. Der Anrufer legt dann wieder auf und wartet auf einen Rückruf, der binnen weniger Sekunden erfolgt. In einer automatischen Ansage wird er aufgefordert, nach dem Signalton zu sprechen. Dafür hat er zwei Minuten Zeit.

Der Server wurde von Bill Thies eingerichtet, einem Computerfreak des 'Massachusetts Institute of Technology (MIT), der im Forschungslabor von Microsoft in der indischen IT-Kapitale Bangalore arbeitet. Thies verwendet ein einfaches Desktop und Modem sowie die frei erhältliche Software 'Asterisk'

Als ausschlaggebend für den Erfolg sieht Thies das von Choudhary geschaffene Mediennetzwerk. GGNet Swara verzeichnet täglich rund 400 Anrufer, die Thies' Server in Bangalore anwählen, um Nachrichten abzuhören oder selbst welche zu hinterlassen. Alle Nachrichten kommen bei Choudhary an, der als Moderator fungiert und sie an ein Team aus etwa 50 Freiwilligen weiterleitet, die die Fakten überprüfen.


Freiwillige Helfer checken Fakten

Die Freiwilligen sind Inder, die Erfahrungen mit der webbasierten Gruppe CGNet des Internetkonzerns Yahoo gesammelt haben. Die Gruppe war 2004 von Choudhary und dem Journalisten Frederick Noronha aus Goa gegründet worden.

Bunkars Mitteilung zu dem Korruptionsfall wurde zuerst von örtlichen Freiwilligen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und dann an den obersten Forstaufseher geschickt, der die Vorwürfe bestätigte und den Beamten vom Amt suspendierte.

Die Regierung von Chhattisgarh zögert jedoch offensichtlich, das Potenzial von CGNet Swara offiziell anzuerkennen. Choudhary sieht das Netzwerk als eine Form von 'Bürgerjournalismus', da es lokale Informationen verbreitet, die in den großen Publikumsmedien nicht auftauchen. CGNet Swara ist inzwischen in ganz Chhattisgarh erreichbar und erfreut sich auch in den angrenzenden Staaten Madhya Pradesh und Jharkhand großer Beliebtheit.

Doch ausgerechnet die ultralinken Maoisten, die von sich behaupten, die Interessen der marginalisierten Bevölkerungsgruppen wahrzunehmen, haben Choudhary bedroht und ihn aufgefordert, CGNet Swara zu schließen. Dem Journalisten zufolge, der zwischen Delhi and Bhopal hin und her reist, fühlen sich die Rebellen von dem Nachrichtensystem in ihrer Daseinsberechtigung gefährdet, da die Menschen ihre Probleme nun selbst angehen.

Dank der Mundpropaganda haben die indigenen Bewohner von Gebieten in Gujarat, Rajasthan, Odisha und Andhra Pradesh, die nicht von den offiziellen Medien mit Informationen versorgt werden, von der neuen Nachrichtenübermittlung erfahren. GGNet Swara entwickelt sich derzeit mit Mitteln des UN-Demokratiefonds und der US-Universität Stanford zu einem Radiosystem weiter, das in naher Zukunft finanziell auf eigenen Beinen stehen soll.

Auch befindet sich ein Gesundheitsberatungsnetzwerk mit dem Namen 'Swasthya Swara' in Aufbau, das traditionellen Heilern die Möglichkeit geben wird, die Wirkungen von Heilpflanzen bekannt zu machen. Ferner wird an einem Online-Klassenzimmer gearbeitet - eine gute Nachricht für die Zig Millionen Indigenen Indiens. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:
http://cgnetswara.org/
http://knight.stanford.edu/
http://www.ipsnews.net/2013/11/a-google-for-indias-poor/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2013