Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FACHMEDIZIN


GYNÄKOLOGIE/659: Generationswechsel in der Geburtshilfe - Hat der Hebammenberuf eine Zukunft? (Securvital)


Securvital 2/22, April - Juni 2022
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Generationswechsel - Hat der Hebammenberuf eine Zukunft?

Astrid Froese sprach mit einer erfahrenen Hebamme und ihrer Tochter, die sich für diesen im Wandel befindlichen Beruf entschieden hat.


Jana Benecke, 49, ist seit 2008 als Hebamme tätig. Sie arbeitet am Städtischen Klinikum Lüneburg und zusätzlich freiberuflich. Sie betreut Schwangere und Wöchnerinnen, hat eine Akupunkturausbildung und gibt Rückbildungskurse. Ihre Tochter Lina, 21, studiert Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Hochschule Hannover.


Securvital: Während viele schwangere Frauen händeringend nach einer Hebamme suchen, geben viele Hebammen ihren Beruf gerade auf: aus Altersgründen, wegen der Schichtarbeit oder weil sie angesichts der teuren Haftpflichtversicherung nicht rentabel arbeiten können. Haben wir einen Hebammenmangel?

Jana Benecke: Ja, auf jeden Fall. Ich selbst bin bereits im Januar bis September so ausgebucht, dass ich keine weiteren Frauen annehmen kann. Und es stimmt, der Beruf verlangt viel ab. Doch der Mangel entsteht vor allem durch zu wenig Ausbildungsplätze. Schon während meiner Ausbildung gab es rund 1800 Bewerbungen auf 20 Plätze und das ist kaum besser geworden. Viele würden gern als Hebamme arbeiten - trotz der Bedingungen. Kliniken füllen die Lücken daher mittlerweile durch ausländische Fachkräfte. Auch bei uns auf der Geburtsstation in Lüneburg arbeiten einige italienische Hebammen, für deren Unterstützung wir sehr dankbar sind.

Securvital: Wie wirkt sich der Wandel in der Kliniklandschaft auf die Geburtshilfe aus?

Jana Benecke: Leider werden immer mehr kleine Häuser geschlossen, weil ihr Betrieb nicht wirtschaftlich genug ist. Große Kliniken werden noch größer und das Arbeitsaufkommen immer höher, weil Frauen von weiter weg kommen, die nicht wissen, wo sie sonst hinsollen. Die flächendeckende Versorgung geht damit verloren.

Securvital: Parallel dazu verändert sich gerade die Ausbildung. Haben Hebammen früher Hebammenschulen besucht, absolvieren sie heute ein Bachelorstudium an medizinischen Hochschulen. Wieso?

Jana Benecke: Die Akademisierung der Ausbildung folgt Vorgaben der EU. Dadurch soll ein europäischer Standard entstehen, sodass man auch im Ausland arbeiten kann und die Ausbildung anerkannt wird.

Securvital: Wie sieht die neue Ausbildung konkret aus?

Lina Benecke: Sie gliedert sich in das theoretische Studium an der Hochschule und den praktischen Teil auf den für die Geburtshilfe relevanten Stationen. Im Studium lernen wir Anatomie, Biochemie und die Basics, die im Klinikalltag wichtig sind. Gerade sprechen wir über die Ernährung von Neugeborenen. Zu den Inhalten der früheren Ausbildung kommt das Erlernen des wissenschaftlichen Arbeitens.

Jana Benecke: Dies finde ich sehr wichtig. Denn viele Dinge aus dem Hebammenwissen werden nun wissenschaftlich überprüft. Über Jahrhunderte haben Hebammen ihr Wissen von Generation zu Generation weitergegeben, aber sie konnten die Wirksamkeit nicht belegen. Das ändert sich nun. Die wissenschaftliche Arbeit stärkt uns Hebammen in unserem Wissen, aber auch in unserem Standing gegenüber den Ärzten. Wir tragen viel Verantwortung im Kreißsaal, aber wir werden schlecht bezahlt. Dabei sind wir es, die am meisten mit den Frauen zu tun haben.

Securvital: Hat die Akademisierung auch Nachteile?

Lina Benecke: Der Zugang zum Beruf ist beschränkter, da ihn nur noch Leute mit Abitur erlernen dürfen. Und das Abitur sagt nicht zwangsläufig etwas darüber, ob du eine gute Hebamme sein wirst. Auch haben wir weniger Praxisstunden als zu Zeiten der Ausbildung meiner Mutter, das finde ich schade. Beim Hebammenberuf kommt es stark auf den Kontakt zur werdenden Mutter an. Da muss man viel Zeit mit der Frau verbringen, mit den Händen arbeiten und nicht nur in Büchern stecken.

Securvital: Die Arbeit von Hebammen ist sehr vielfältig und für viele werdende Mütter enorm hilfreich. Was gehört alles dazu?

Jana Benecke: Zunächst mal ist es sehr unterschiedlich, wann Frauen zu uns kommen. Manche melden sich früh, andere warten ein paar Wochen. In der Vorbereitung auf die Geburt helfen wir den Frauen bei Schwangerschaftsbeschwerden wie Übelkeit oder Kreislaufproblemen - aber auch bei psychischen Problemen. Denn natürlich gibt es auch Frauen, für die ist die Nachricht erst mal ein Schock. Die beraten wir. Bis auf die Ultraschalldiagnostik können wir auch die Schwangerschaftsvorsorge übernehmen. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Begleitung rund um die Geburt. In Deutschland ist es Pflicht, dass im Kreißsaal eine Hebamme zugegen ist. Ein Arzt greift nur ein, wenn es Komplikationen gibt. Solange alles natürlich verläuft, begleiten wir.

Lina Benecke: Wir bezeichnen Frauen auch nicht als Patientinnen. Sie sind schwanger, das ist normal und schön.

Jana Benecke: Genau. Und unsere Aufgabe als Hebamme ist es, Frauen in diesem natürlichen Prozess zu unterstützen, sie in ihren physischen und psychischen Möglichkeiten zu stärken und sie während der Geburt zu schützen. Es ist ein sehr schöner Beruf, da die Frauen für unsere Hilfe unheimlich dankbar sind. Manchmal entstehen daraus bleibende Kontakte, wenn man als Familienhebamme die Geburt des ersten, zweiten, dritten Kindes betreut. Im Anschluss an die Geburt übernehmen wir für 8 bis 12 Wochen die Wochenbettbetreuung, bei Stillschwierigkeiten auch länger. Dazu kommen noch die Rückbildungskurse.

Securvital: Die neue Bundesregierung möchte die Geburtshilfe mit verschiedenen Maßnahmen stützen. Dazu gehört, dass sie die Betreuungssituation im Kreißsaal verbessern und die Rolle von Hebammen stärken möchte.

Jana Benecke: Die Pläne gehen auf jeden Fall in die richtige Richtung. Zum Beispiel der Ausbau von hebammengeleiteten Kreißsälen, in denen Hebammen Geburten eigenverantwortlich begleiten. Ich habe in einem solchen Kreißsaal gelernt. Die Frauen kommen bereits vor der Geburt zu Vorsorgeuntersuchungen und lernen dabei die Hebammen kennen. Es ist erwiesen, dass hebammengeleitete Geburten natürliche Entbindungen fördern und medizinische Eingriffe während der Geburt, wie zum Beispiel den Kaiserschnitt, verringern.

Lina Benecke: Ich persönlich finde, dass über Kaiserschnitte viel zu wenig aufgeklärt wird. Darüber, wie viele Schmerzen die Frauen danach haben und wie schwer es für sie ist, wieder beschwerdefrei zu werden. Und dass sie sich auch nicht so gut um das Kind kümmern können, wie sie es gern würden.

Jana Benecke: Das stimmt. Auch über das Thema Geburtseinleitung müsste vorab mehr gesprochen werden. Denn so wie es Wunschkaiserschnitte gibt, gibt es auch Wunscheinleitungen, wenn zum Beispiel der errechnete Geburtstermin erreicht ist. Dabei sind die Wehen deutlich schmerzhafter und werden schon Tage vorher eingeleitet, sodass die Frauen bei der Geburt häufig sehr gestresst und entkräftet sind. Wir sollten natürliche Geburten so weit wie möglich fördern. Und dafür wünsche ich mir eine allgemein gute Zusammenarbeit von Ärzten und Hebammen - den jungen und den erfahrenen.

*

Quelle:
Securvital 2/22, April - Juni 2022, Seite 14-15
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte
Lübeckertordamm 1-3, 20099 Hamburg
Telefon: 040/38 60 800
E-Mail: presse@securvita.de
Internet: www.securvita.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang